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Pop on Paper: Sonderausstellungshalle am Kulturforum. Foto: Elke Linda Buchholz (2020) 

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POP IS BACK

Am Kulturforum ist Schluss mit dem Shut Down. In den  Sonderausstellungshallen geht es bunt zu - mit Arbeiten auf Papier von Warhol, Lichtenstein und Co.

Von Elke Linda Buchholz

"BANG" ploppt der comicartige Schriftzug auf dem Autokühler in fetten Lettern auf. Eine langhaarige Frau streckt sich auf dem ralleygestreiften Dach des Cars. Grellgrün strahlt der plakative Bildgrund. Aber damit enden die poppigen Avancen auch schon. Das offenkundig handpinselte Bildchen von Antje Dorn aus dem Jahr 2000 nimmt die amerikanische Pop Art gehörig auf die Schippe. Ihre ironische Persiflage lässt kurzerhand die Luft raus aus dem männerdominierten Sex & Konsum-Gehabe der US-amerikanischen Heroen, die mit ihren Siebdrucken seit den 1960er Jahren ein neues hedonistisches Kunstzeitalter der populären Massenmedien ausriefen. Denn Dorns ungelenk bäuchlinks posierende Protagonistin wirkt ebenso wie der piefige Kleinwagen, auf dem sie liegt, alles andere als hip und cool. Die 1965 geborene Künstlerin wuchs in Aachen mit der Pop Art des Schokokönigs Peter Ludwig auf. Jetzt gehört sie wie Filmemacherin Ulrike Ottinger und Label-Kunstfigur SUSI POP zu den Künstlerinnen, deren Adaptionen, Persiflagen und Reflexionen die arrivierten Pop Art-Positionen von Warhol bis Lichtenstein erfrischend aufmischen. Was ist noch dran an der Pop Art? Was geben die Bestände des Kupferstichkabinetts her?

Kurator Andreas Schalhorn empfängt zum Rundgang durch die aus Coronagründen verschobene Eröffnung der 100 Werke-Ausstellung "Pop on Paper" stilsicher mit buntbedruckter Pop Art-Schutzmaske. Jeweils 40 Besucher dürfen mit Zeitfensterticket rein, der großzügige Raumzuschnitt gibt es her. Echte Farbe, haptisches Papier, riesige und winzige Formate: endlich wieder Kunst im Original, statt immer nur Internetvisiten in Museumssälen.

Vor genau 50 Jahren kaufte das Westberliner Kupferstichkabinett die ersten Pop Art-Blätter an, darunter Andy Warhols nachdenkliches Selbstbildnis von 1966 und "Marilyn" gleich im Zehnerpack, in bissigsten Pink-, Grün- und Silbertönen immer neu geschminkt. Das durchdeklinierte Image ist Mythos pur und zugleich dessen Demontage. Seinerzeit empfand man die brandneuen Siebdrucke aus Amerika, wie der spätere Sammlungschef Alexander Dückers sich erinnert, in der kulturellen Enge der Mauerstadt als aufregenden Hauch der großen freien Welt. Im Osten galt die großspurig auftrumpfende US-Konsumkunst selbstverständlich nicht als museumswürdig.

Keine andere Kunstströmung hat sich den Markt so programmatisch mit dem Vehikel Papier erobert. Das Medium Druckgrafik war für den gelernten Werbegrafiker Warhol und die anderen Künstler kein Nebenschauplatz mehr. Gerade die Aura der billigen Massenware reizte sie. Individuelle Pinselhandschrift adé: Das war auch ein Seitenhieb auf die emphatischen Riesengesten des zuvor marktbeherrschenden abstrakten Expressionismus à la Pollock. Warhol trat kongenial zugleich als seine eigene Werbemaschinerie auf, Self-Merchandizing inbegriffen: Auf einer 1966 bedruckten Einkaufstasche des Museums Boston prangt sein "Campbell´s Soup"-Motiv. Billiges Give-Away oder hochkarätige Auflagenkunst? Die Pop Art hebelte Kategorien aus, die heute erst recht fragwürdig erscheinen.

Im Roy Lichtenstein-Kabinett zeigt sich, wie feinsinnig und hintergründig das plakative Popidiom zugleich sein kann. In den gerasterten Repro-Dots der Comicbildsprache deklinierte er die Kunstgeschichte von Monet über Picasso bis zum singulären Pinselschwung durch. Auf Papp- und Porzellanteller gedruckt wirkt das schnittige Punkraster auf einmal hochdekorativ. Die Siebdrucktechnik, eigentlich aus der kommerziellen Werbung stammend, war eben enorm wandlungsfähig. Technisch funktioniert das Ganze nach dem Schablonenprinzip, was satte Farbflächen ermöglicht. Metallfolie, Plexiglas oder Stoffgewebe: alles kein Problem. Ein flottes Einweg-Minikleid aus Papiervlies, im Warhol-Stil mit "Campbell´s" Suppendosen-Motiv bedruckt, konnte man sich 1967 gegen Einsendung von zwei Suppendosen-Etiketten und einem Dollar bestellen. Der clevere Marketing-Gag des Lebensmittelherstellers war nicht vom Künstler initiiert.

Das hat Witz. Aber die gut abgehangene Pop Art erweist sich trotz aller ungebremsten Farbenfrische als Produkt eines fremden, fernen Zeitalters. Der unverblümte Sexismus, all die Sprühdosen, Glühbirnen, Zigarettenschachteln und heroischen Tankstellen, das ist wirklich Jahrzehnte her. "Sweet Dreams, Baby!", knallt ein Lichtenstein-Druck dem Comic-Protagonisten mit der Faust um die Ohren. Zum Schluss saust ein US-Kampfbomber quer durch James Rosenquists vierteiligen Riesenfries aus sich überlagernden Fotomotiven, Mustern und Logos. Ein bunter Sonnenschirm spannt sich über einem Atompilz, die Haut eines lachenden Kindes unter der Friseurtrockenhaube wirkt wie mit Brandmalen übersäht. Das 1974 entstandene Werk sampelt künstlerisch virtuos Motive aus dem damaligen Medienstrom zum Kaleidoskop einer Ära. Aber die ungebremste Konsum-Euphorie der Pop Art zeigt hier auf einmal Risse, wird brüchig, war es vielleicht von Anfang an. Auch Warhols rasanter Bilderfabrik-Output ist immer von Tod und Melancholie grundiert. Zur Ikone wurde Marilyn erst post mortem.

Sonderausstellungshalle am Kulturforum bis 16. August 2020
Katalog 180 Seiten, 38 €
Dienstag bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 18 Uhr
Mit Zeitfensterticket, Mund-Nasen-Bedeckung und Mindestabstand von 1,5 Metern.
Nähere Infos zu den Zugangsbedingungen und Ticketbuchung unter: www.smb.museum

Erstdruck: Tagesspiegel vom 14. Mai 2020





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