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BERLINER ADRESSBUCH

Bei der Vorbereitung der Heartfield-Ausstellung der Akademie der Künste fanden Christine Fischer-Defoy und Michael Krejsa das Adressbuch des Künstlers, daraus ist jetzt ein Buch geworden (Quintus-Verlag, 18 Euro). Im Interview berichten die beiden Herausgeber:


War Ihnen schon zuvor bewusst, welcher Schatz in Heartfields Nachlass zu finden war?

CFD: Die große Überraschung war das Auffinden des Adressbuches als solches. Michael Krejsa hat mich im Januar 2019 angerufen, ob ich vorbeikommen würde, er habe da im Zuge der Digitalisierung des Heartfield-Bestandes im AdK-Archiv „etwas“ gefunden, das mich interessieren könnte. Und da lag es dann wenige Tage später vor mir: das Adressbuch von John Heartfield aus den Jahren seiner Rückkehr aus dem Exil! Ob ich Interesse habe, dieses Adressbuch mit ihm zusammen zu veröffentlichen? Und ob ich mir vorstellen könne, über erste Recherchen in diesem Kontext im Mai 2019 einen gemeinsamen Vortrag im „John-Heartfield-Haus“ in Waldsieversdorf zu halten? Es war keine Frage: Ich wollte!

Sie beide haben sich durch alle Namen, bekannt wie unbekannt, und Adressen gearbeitet. Welche Kontakte haben Sie am meisten überrascht? Gab es „Aha-Momente“?

CFD: Überrascht hat mich zunächst die Fülle von Einträgen von „A“ wie „Akademie der Künste“ am Robert-Koch-Platz bis zu „Z“ wie „Zwinger für Cockerspaniel“ in der Moskauer Straße in Woltersdorf. Es sind etwa 1 200 Namen mit Adresse und/oder Telefonnummer, wobei einige der Adressaten mehrfach vorkommen. Ich hatte mich schon in den 1970er-Jahren mit Heartfields Werk beschäftigt, aber erst jetzt, über 40 Jahre später, habe ich in den Korrespondenzen Heartfields mit Personen, die in seinem Adressbuch stehen, den so liebenswerten und von wunderbaren Freundinnen und Freunden umgebenen Menschen John Heartfield kennengelernt. Und es war deshalb besonders anrührend für mich, weil ich das Glück hatte, einige aus diesem Familien- und Freundeskreis im Kontext früherer Projekte zum Thema NS-Verfolgung und Exil noch persönlich kennengelernt zu haben, wie Heartfields Bruder Wieland Herzfelde in Ost-Berlin, seinen Sohn Tom Heartfield in New York, Peter und Marty Grosz, die beiden Söhne von George Grosz in den USA, George Wyland, den Sohn von Wieland Herzfelde, der zuletzt in der Schweiz lebte.

MK: Die Genannten waren auch mir im Zusammenhang mit meiner Archivtätigkeit an der Akademie der Künste keine Unbekannten, trugen sie doch noch aktiv bis in die 1990er-Jahre zur Anreicherung der Archivbestände des Archivs Bildende Kunst und dessen Nachbarabteilungen bei.

CFD: Zu den Überraschungen gehörten für mich auch mehrere Adressaten aus West-Berlin, die noch heute in Berlin leben, wie zum Beispiel Reinhard Strecker, ein Pionier der Aufklärung über NS-Täter in der Bundesrepublik. Herauszufinden, dass er hierüber mit John Heartfield korrespondierte, war ein echter „Aha-Moment“.

MK: Ein anderer dieser zahlreichen Überraschungsmomente war, als wir den Adressbuch-Eintrag „OTZ (Schmalhausen) 327316 Charlottenburg Savignyplatz 5“ und parallel dazu unter den 3 000 Privatfotos im Heartfield-Archiv ein besonderes entdeckten. Die Fotografie [im Buch Seite 161] zeigt laut rückseitiger Beschriftung einen „Besucher“ im Gespräch mit dem Fotomonteur in einer Ausstellung in der Ost-Berliner Akademie der Künste am Robert-Koch-Platz im Jahr 1957. Archivrecherchen ergaben, dass sich hinter dem Ausstellungsbesucher der im Westteil der Stadt lebende „OZ“ oder „OTZ“ genannte Grafiker und Maler Otto Schmalhausen verbarg, der offensichtlich zur Eröffnung der ersten umfassenden Heartfield-Ausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg eingeladen war, die zugleich die künstlerische wie politische Rehabilitierung des „Dada-Monteurs“ in der DDR bedeutete. So machte das offizielle ADN-Foto noch auf einen ganz anderen Umstand aufmerksam, der damals jedoch nur Insidern bekannt gewesen sein dürfte: auf den Fortbestand des alten „Grosz-Heartfield-Conzerns“ zu dem seit den 1920er-Jahren neben George Grosz und John Heartfield auch Grosz’ Schwager Otto Schmalhausen zählte. Die gegenseitige freundschaftlich wie künstlerische Wertschätzung sollte über die deutsche Teilung hinaus – allen Missverständnissen zum Trotz – Bestand haben.

Die Ausstellung in der AdK und auch die Edition und Kommentierung des Adressbuches widmen sich intensiv John Heartfield – aber nicht allein als Künstler, sondern auch auf weiteren Ebenen. Worin sehen Sie seinen Stellenwert, weshalb ist er auch heute noch für das Publikum von besonderem Interesse?

MK: Als das Berliner Adressbuch kurz vor seiner Drucklegung stand, gab es den äußerst informativen und zutiefst erschütternden Dokumentarfilm des Arte France Programms „Der Hitler-Stalin-Pakt“. Das historische Protokoll eines kollektiven Versagens im 20. Jahrhundert offenbart einen äußerst komplexen Blick hinter die historischen Kulissen, die in den Zweiten Weltkrieg führten und dessen Ergebnisse zum Teil noch bis heute nachwirken. Verknüpft man die hier dargestellten Zeitläufe mit der Biografie Heartfields, dessen aktivste Lebenszeit in diesen historischen Zeitraum fällt, wird deutlich, aus welchem Antrieb der Erfinder der „politischen Fotomontage“ handelte, ja vielleicht sogar handeln musste. Erstaunlich ist, was für einen Menschen diese Zeit geformt hat, der offenbar zwischen künstlerischer Kompromisslosigkeit und verbindlicher Menschlichkeit seinen einzigartigen Weg in der Kunstgeschichte fand. Vielleicht ist es auch die Erkenntnis, dass uns gerade in unsicheren Zeiten das menschliche Handeln ein Leitfaden bleiben sollte. Dies auch eingedenk der herben historischen Erfahrungen, von denen auch Heartfields Biografie nicht verschont blieb. Virtuelle Ausstellung, Katalog und das Adressbuch geben die erneute Möglichkeit, sich der Wahrheit von Leben und Werk des Künstlers mit allen Irrungen, aller Weisheit und auch mit einer Prise Ironie anzunähern.

Interview: Sophie Charlotte Bentzien / Quintus Verlag

Fischer-Defoy, Christine / Krejsa, Michael
John Heartfield
Das Berliner Adressbuch 1950–1968
200 Seiten, 91 Abbildungen
ISBN: 978-3-947215-75-1
€ 18,00 (D)










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