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Anna Dorothea Therbusch: Selbstporträt, um 1782
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ZU GUT FÜR EINE FRAU
Zum 300. Geburtstag der Malerin Anna Dorothea Therbusch Von Elke
Linda Buchholz Die Augen
der Malerin folgen einem auf
Schritt und Tritt im Raum: ein Künstlertrick, den viele
beherrschten; die
klassischen Porträtgalerien sind voll davon. Aber Anna
Dorothea Therbusch setzt
noch eins drauf. Ein kreisrundes Einglas hängt an einem
schwarzen
Nieten-Lederband vom duftigen Kopftuch vor ihrem Auge
herab. Es schärft ihren
Blick und fokussiert. Das aufmerksame Künstlerinnenauge
wird zum Mittelpunkt
der Bildinszenierung. Im Zeitalter der Aufklärung ist
diese uneitel dokumentierte
Sehhilfe Programm: Nachweis eines glaubwürdigen Strebens
nach Wahrheit. Dicke Folianten
am Boden betonen die Intellektualität der Dargestellten.
Ihr silbriger Rock
schillert als Bravourstück lässig-lockerer Peinture.
Anna Dorothea Therbuschs
lebensgroße
Selbstdarstellung in der Gemäldegalerie nimmt einen Ehrenplatz
zwischen
Antoine Pesne und Anton Graff, dem älteren und dem
jüngeren Kollegen ein. Im
Highlightkatalog firmiert
das Gemälde als „eines der bedeutendsten
Künstlerselbstbildnisse des 18.
Jahrhunderts“. Die am 23.
Juli 1721 geborene
Berlinerin Therbusch gehört längst nicht mehr zu den No
Names der
Kunstgeschichte. Sogar zur Romanheldin hat „Die
Porträtmalerin“ (Autorin
Cornelia Naumann) es gebracht. Trotzdem nutzt kein
Museum die Chance, ihr pünktlich eine
Happy Birthday-Ausstellung zum 300. zu spendieren. Erst
ab Dezember 2021 reagiert die Berliner Gemäldegalerie
mit einer Sonderpräsentation. Meh Aufmerksamkeit bekommt
dagegen der Pariser Star Antoine Watteau, der wenige
Tage vor ihrer Geburt in Paris starb, im Schloss
Charlottenburg. Auch Therbusch kannte seine in hohen
Auflagen europaweit kursierenden Nachstiche. Im gängigen
Copy&Paste-Verfahren eignete sich die junge Malerin
seine Fêtes Galantes
als Versatzstückfundus an. Zwei frühe Gemälde mit
bewegungsfreudig schaukelnden
und Federball spielenden Herrschaften im Neuen Palais
von Sanssouci zeigen
ihren autodidaktischen Vorstoß in die angesehene
Figurenmalerei: noch etwas
unbeholfen, aber koloristisch keck. Sich nur aufs
Porträtfach zu bescheiden,
wie ihr Vater, war Anna Dorothea Therbusch nicht
gewillt. Sie wurde
Gastwirtsgattin,
mehrfache Mutter und Mitglied der Pariser Akademie: eine
Malerin mit
erstaunlichen Facetten. Diderot zog sich für sie nackt
aus, um fürs Porträt zu
posieren, wie der Kunstpapst der Aufklärung selbst
kolportierte. Das kehrte die
üblichen Genderrollen um. Preußenkönig Friedrich II.
schickte sein von Therbusch
gefertigtes
Konterfei an
Voltaire, mit der Bemerkung sie habe ihn jünger gemacht
als er sei. Für ihre
mythologischen Gemälde, die den erotisch-galanten
Rokoko-Zeitgeschmack
bedienen, machte der König über 500 Reichsthaler pro
Stück locker. Eine „Venus“
und eine „Diana“ hängen, mit poppig-irreal rosiger
Palette,
noch immer in den Neuen
Kammern. Tatsächlich gleicht es einer Schnitzeljagd,
Therbuschs Werke im
Original aufzuspüren. In den Berliner Museen sitzt sie
zwischen allen Stühlen,
da ihr Oeuvre an einer Epochengrenze rangiert. Umso
besser! So ist sie im
Bode-Museum, am Kulturforum und in der Alten
Nationalgalerie vertreten. Mehr
schlummert im Depot, auch im Stadtmuseum. Rund 200
Bilder verzeichnet ihr
Werkkatalog, viele davon verschollen. Andere gelangten
nach Weimar,
Braunschweig, Stuttgart, Mannheim, Moskau und Paris: Sie zeichnen Therbuschs Erfolg
nach. Eine
Fensterausstellung in der Inselgalerie in
Friedrichshain lässt ihr Oeuvre in
einer #Therbusch300-Woche über den Bildschirm
flimmern. Ihre Basics
eignete sich die
Malerin im Familienbetrieb des Vaters an. Georg
Lisiewski war im Gefolge des
neuen Schlossbaumeisters Eosander aus Polen an die Spree
gekommen. Sechs
Töchter und einen Sohn zog er nach dem frühen Tod seiner
Frau alleinerziehend
auf. Schon als Kinder lernte der Nachwuchs Farben
anmischen, Leinwände
grundieren und ein Porträtmodell zuvorkommend behandeln.
Anna Dorothea
überflügelte ihre ebenfalls professionell tätige
Schwester Rosina. Allerdings
startete ihre spektakuläre Karriere erst so richtig nach
einer fast 20jährigen
Babypause. Ihren Ehemann, den Besitzer der „Weißen
Taube“ in der Heiliggeiststraße
in Mitte, verewigte die Malerin später als
gutmütig-sympathischen Zeitgenossen
mit extravagantem Federhut. Er ließ
seine Gattin ziehen, als
sie 1761 eine Einladung an den Stuttgarter Hof erhielt.
Für Karl Eugen von
Württemberg fertigte Therbusch in Hochgeschwindigkeit
Dekoratives im Schloss.
Auf einem Selbstbildnis aus dieser Zeit entblößt die
Malerin selbstbewusst
lächelnd ihre Schulter: der galante Sidekick führt
zugleich ihre Fähigkeiten
zur Darstellung nackter Haut vor. Dies war für Frauen
eigentlich ein No Go.
Denn das unschickliche Aktstudium blieb ihnen, auch
außerhalb der ohnehin
verwehrten Akademieausbildung, untersagt. Von Stuttgart
ging´s ins kunstsinnige
Mannheim. Kurfürst Carl Theodor nahm sie als Hofmalerin
unter Vertrag und ließ
sich im Hermelin verewigen. Stärker als der äußere Prunk
bleibt sein
eindringlicher Blick im Gedächtnis. Nächster
Meilenstein: Paris. Auf
eigene Faust brach die 44jährige in die Kunstmetropole
auf, um in die
angesehene Académie Royale aufgenommen zu werden. Der
Coup gelang allerdings
erst im zweiten Anlauf. Mit ihrem ersten Aufnahmestück,
einer schwierigen
Kunstlichtszene bei Kerzenschein ließ die Jury sie
abblitzen. Das Gemälde könne
nicht eigenhändig sein. Zu gut für eine Frau. Therbusch
musste Zeugen
beibringen und ließ nicht locker. Sie reichte eine
zweite Talentprobe ein. Die Urkunde
als „académicienne“ in der Tasche signierte sie fortan
als „peintre du roi“,
obgleich sie nie für den französischen Hof tätig war.
Aber Paris war teuer.
Hochverschuldet reiste Therbusch ab, die Gläubiger auf
den Fersen. Mit Diderot
hatte sie es sich verdorben, er schmollte und ärgerte
sich, dass er für sie
gebürgt hatte. In seinen ausufernden Salonbesprechungen
ließ er sich darüber
aus. „Sie hätte vom Verdienst unserer großen Künstler
schwärmen, bei ihnen
Unterricht nehmen, mehr Busen und eine ansehnliche
Hinterpartie haben und
beides den Künstlern darbieten müssen“, bemerkte er
gallig. Sein abfälliges
Urteil über die „indigne prussienne“, „die unwürdige
Preußin mit dem verrückten
Kopf und dem verderbten Herzen“ schadete ihrer Rezeption
nachhaltig. Aber
Therbusch fing sich. In Berlin
bezog sie mit ihrem Bruder ein Atelier Unter den Linden.
In Kooperation ließen
sich die
zahlreichen
Porträtaufträge besser erledigen. Generalmajor
Woldeck, Verleger
Friedrich Nicolai,
die
königliche Mätresse Wilhelmine
Encke in strahlendem Kolorit und ebensolchem Charisma,
die preußische
Herrscherfamilie in Lebensgröße für den russischen
Zarenhof, Architekt
Carl Gotthard Langhans, Landschaftsmaler
Jakob Philipp Hackert im blitzblauen Rock, den fleischigen
Kunstsammler
Vieth von Golßenau und den nachdenklichen Lazarettarzt
Cothenius: viele hat die
Künstlerin gemalt und durch die Linse ihres Einglases
betrachtet. Die spätere
Salonière Henriette Herz inszenierte sie 15jährig als
Mundschenkin der Götter,
frisch und freizügig. Niemanden aber malte Therbusch so
häufig wie sich selbst.
Ihr letztes Selbstbildnis ist winzig
und präzise: keine Schwäche, keine Nachlässigkeit,
volle Beherrschung des
Pinsels. Erstdruck:
Der Tagesspiegel, 23. Juli 2021 |
DIE ZWANZIGER JAHRE IN BERLIN von Michael Bienert und Elke Linda Buchholz 306 Seiten, ca. 250 Abb. Berlin Story Verlag 10. Aufl. 2020, 19,95€ Mehr Infos MODERNES BERLIN
DER
KAISERZEIT
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Bienert
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