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Anna Dorothea Therbusch: Henriette Herz
(Ausschnitt), um 1778 |
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WACHER GEIST, LOCKERER PINSEL
Die Gemäldegalerie zeigt die
großartige Berliner Malerin Anna Dorothea
Therbusch zwischen Rokoko und Aufklärung Beruf
Künstlerin? Für eine Frau des 18. Jahrhunderts war das
keine Option. Schon gar nicht für eine Gastwirtsgattin
im Berlin zwischen friederizianischem Rokoko und
bürgerlicher Aufklärung. Anna Dorothea Therbusch hat
es trotzdem geschafft. Wie? Mit Hartnäckigkeit und
Durchhaltevermögen, stupendem Ehrgeiz und hinreißendem
künstlerischen Talent biss sie sich durch. In den
1770er Jahren gehörte Therbusch zu den wichtigsten
Akteuren in der Kunstszene der preußischen Hauptstadt.
Adel und Bürgerliche saßen ihr Modell. Der arrivierte
Daniel Chodowiecki, selbst vor allem als Grafiker
gefragt, schwärmte nach einem Atelierbesuch von ihren
„ganz herrlichen“ Porträts. Tatsächlich
zeichnet Therbuschs Bildnisse etwas aus, was nicht
viele Maler liefern konnten. Sie haben diese spezielle
Lebendigkeit. Gesicht und Körperhaltung vermitteln
unwillkürlich ein Gefühl für den Menschen, den sie
festhält. Da ist nichts Formelhaftes, selbst wenn die
Malerin ganz selbstverständlich die Standards von
Porträtsetting und Peinture bedient. In einer
konzentrierten Ausstellung kann man sich jetzt von
Therbuschs Standing überzeugen. Es ist ein Dialog auf
Augenhöhe, ob mit den Berliner oder den Pariser
Kollegen ihrer Zeit. Leider
umfasst die Schau nur zwei Räume. Und es braucht
Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen, sie im letzten
Winkel der derzeit teilweise gesperrten Gemäldegalerie
überhaupt zu finden. Aber immerhin: 12
Therbusch-Gemälde, sonst berlinweit in verschiedenen
Museen verstreut, kommen hier zusammen. Auf engstem
Raum gelingt Nuria Jetter dabei ein echtes
Kuratorenkunststückchen. Pointiert und erhellend
spickt sie den Parcours mit Vergleichsarbeiten von
Antoine Pesne bis Antoine Watteau, von Elisabeth
Vigée-Lebrun bis Chardin. Bei den Vorbereitungen hat
sie so viel Neues herausgefunden, dass es längst nicht
auf die Objektschildchen und Wandtexte passt. Sie
hofft auf eine Publikation. Fokus Berlin:
Ein historischer Stadtplan mit Therbuschs Lebensorten
zeigt, wie nah sich Hofgesellschaft und Bürgertum
damals auf engstem Raum kamen. In ihrem Atelier Unter
den Linden, das sie mit ihrem Bruder teilte, gingen
die VIPs ein und aus. Einen Bildhauer, wohl Carl
Philipp Glume, verewigte sie mit frisch gerötetem
Gesicht und Pelzmütze bei der Arbeit. Das
unprätentiöse, nahbare Bildnis verzichtet auf große
Pathosgesten, ganz im Kontrast zu Largillierres
pompösem Bildhauerbildnis daneben. Gegenüber
schmunzelt ein unbekannter Pariser Intellektueller,
worüber auch immer. Er gehörte wohl zum Umkreis Denis
Diderots. Mit dem Aufklärer freundete sich Therbusch
in Paris an. Den gewagten Trip in die französische
Hauptstadt trat die Malerin mit über 40 an. Drei
Töchter hatte sie geboren, zwei Söhne auch. Jetzt
verfolgte sie ihre eigene Karriere, und zwar gezielt.
Paris brachte
ihr den Durchbruch: Die Preußin schaffte es, in die
Académie Royale aufgenommen zu werden und durfte
fortan als „Peintre du Roi de France“ signieren. Ein
strategisches Plus, zumal um später Aufträge des
frankophilen Preußenkönigs Friedrich II. zu erringen.
In Schloss Rheinsberg und in den Neuen Kammern von
Sanssouci hängen Therbuschs Werke. Wie gerne hätte man
sie jetzt in der Schau gesehen! Aber mehr war derzeit
nicht drin, wie die neue Direktorin der Gemäldegalerie
Dagmar Hirschfelder erklärt. Sie hat gerade vor zwei
Wochen ihr Amt angetreten und freut sich darauf,
künftig stärker den weiblichen Anteil in der Kunst zu
beleuchten: auch in Themen und Motiven der Alten
Meister. Zur
Fleischbeschau lädt der Franzosenraum. In dem saftigen
Schinken, den Anna Vallayer-Coster gemalt hat, steckt
noch das Messer. Ebenfalls ausgesprochen rosig ruht,
gleich daneben, auf einem Therbusch-Gemälde die
hüllenlose Antiope: Lustobjekt für den hinten um die
Ecke lugenden Jupiter in Gestalt eines Satyrs.
Erotisch ebenso aufgeladen ist die Venus von François
Boucher. Seine galanten Sujets fanden die Zeitgenossen
völlig unbedenklich. Wenn eine Frau den Pinsel
handhabte, sah das anders aus. Die Pariser Salon-Jury
fand ihr Sujet zu unschicklich. Sie schaffte es
trotzdem: mit einem unverfänglicheren Motiv. Dass
Therbusch sich als Frau überhaupt an die angesehene
Historienmalerei wagte, war ungewöhnlich. Denn für die
großen Stoffe aus der antiken Mythologie brauchte es
nun einmal Aktstudien. Ein Tabu für eine Frau.
Therbusch setzte sich darüber hinweg. ![]() Ihr Rüstzeug
hatte die 1721 Geborene einst beim Vater gelernt. Ein
staubtrockenes Standesporträt aus dessen Hand
veranschaulicht, wie weit sie dessen Niveau hinter
sich ließ. Während ihr ebenfalls vertreten Bruder die
Geduld seiner Modelle durch seinen Hang zur Präzision
strapazierte, beeindruckt Therbusch mit lockerem
Pinselschwung. Darin steckt Esprit und malerische
Intelligenz. Die wissbegierige Therbusch studierte
nicht nur ihre französischen Zeitgenossen. Sie
interessierte sich offenbar auch für die Niederländer
des 17. Jahrhunderts lebhaft. Bei einem Pariser Souper
mit dem Stecher Georg Wille sah sie möglicherweise das
exquisite Terborch-Gemälde „Galante Konversation“, das
später den Weg in die Gemäldegalerie fand. Jetzt hängt
das kleine Bild neben Therbuschs großem, berühmten
Selbstbildnis mit Augenglas. Die silbrig knisternden
Seidenstoffe auf beiden Gemälden schimmern um die
Wette. Aber
Eitelkeit war nicht Therbuschs Sache. Vor ihrem
Gesicht hat die betagte Künstlerin ihr Augenglas
zurechtgerückt. Anton Graff zeigt sich, gleich
daneben, auf seinem Selbstbildnis ebenfalls mit Brille
auf der Nase. Die Sehhilfe war auch Ausweis eines
durch die Aufklärung geschärften Blicks auf die
Wirklichkeit. So holt die Ausstellung die Künstlerin
zurück in den Kreis ihrer Kollegen, in die
vielschichtigen Netzwerke und Beziehungssysteme ihrer
Zeit. Wie Angelika Kauffmann und Elisabeth
Vigée-Lebrun gehört sie in den weiblichen Olymp der
Kunst des 18. Jahrhunderts. Die Wiederentdeckung
Therbuschs steht erst am Anfang.
Erstdruck:
Der Tagesspiegel, 4. Dezember 2021 |
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