www.text-der-stadt.de
Suchen I Finden
Georg Kolbes Atelier um 1930 (oben) und 2015 (unten)

GEORG KOLBE MUSEUM

Nichts als den Himmel
und die Zweige der
Kiefern über dem Kopf


Das Georg Kolbe Museum gewinnt seine schöne, klare
Originalsubstanz zurück –
und erschließt den Besuchern neue Räume


Von Elke Linda Buchholz

Wer auf das Dachatelier Georg Kolbes tritt – ein beherzter Schritt auf eine eiserne Trittstufe und schon steht man drin, in dem Zimmer unter freiem Himmel – kann sich gut ausmalen, wie der Bildhauer seine Modelle zum Aktstudium hier herauf bat. Der nach oben offene Raum ist wie gemacht für die ungestörte Zwiesprache mit dem hüllenlosen Gegenüber. Rundum schützen geschlossene Backsteinmauern die Terrasse vor zudringlichen Blicken. Nur nach Nordwesten ist ein breites Panoramafenster ausgespart: Es gibt den Blick frei in die Richtung, wo hinter Bäumen und Villen der Friedhof an der Heerstraße liegt. Dort ist Kolbes 1927 unerwartet verstorbene Frau begraben. Ihr wollte der Künstler mit seinem 1928/29 erbauten Wohn- und Atelierhaus nah sein.

Noch nie wurde das bedeutende Bauensemble an der Sensburger Allee 25 grundlegend saniert. Höchste Zeit! befand die seit drei Jahren amtierende Direktorin Dr. Julia Wallner, und die Lotto–Stiftung Berlin stimmte ihr zu, indem sie die 1,2 Millionen Euro teure Maßnahme ermöglichte. Schon ist das Gebäude hinter Baugerüsten verschwunden. Man will zügig vorankommen, um den Ausstellungsbetrieb möglichst bald wieder aufnehmen zu können. Denn knappe Budget des Hauses, so Wallner, kann lange Schließzeiten gar nicht verkraften.

Der renommierte Architekt Winfried Brenne, ein ausgewiesener Experte im Umgang mit sensiblen Baudenkmalen der Moderne, lenkt bei der Baustellenbegehung an diesem trüben, windigen Novembertag den Blick liebevoll auf die Details des ihm anvertrauten Objekts. Die feinen Profile der Türrahmen etwa oder das originale Eichenparkett. Besonders die hohe Lichtdecke im Hauptatelier hat es ihm angetan. Längst sind deren Scheiben blind, durch Schmutz getrübt.
Dass man über Jahre und Jahrzehnte bei der Bauerhaltung notdürftig improvisieren musste, zeigt sich, wenn man – von der Dachterrasse aus – von oben auf den Atelierraum blickt: Plastikplanen und Netze schützen das fragile Glasdach des Raums, in dem Kolbe an seinen Skulpturen arbeitete. In dem großen Atelier selbst sind sogar die Schienen, auf denen der Künstler seine schweren Tonbatzen, Gipsmodelle und Bronzeplastiken bewegte und rangierte, noch erhalten. Auch der eiserne Lorenwagen steht, so die Direktorin, noch im Keller.

Auch sie schwärmt davon, wie viel Originalsubstanz noch erhalten ist: Türklinken, Fenstergriffe, selbst die metallenen Lampenschirme nebst den im Archiv erhaltenen Rechnungen von deren Anschaffung. Das ehemalige Esszimmer überrascht mit einer nahezu komplett  vorhandenen Ausstattung von Wandschränken, -regalen und Schiebetüren, alles ganz schlicht und funktional gestaltet. Hier soll in Zukunft ein Bookshop Platz finden. Bislang war der wohnlich dimensionierte Raum für Besucher gar nicht zugänglich, diente als Aktendepot. Denn in der Tat müssen sich in diesem historischen Künstlerhaus die Wissenschaftler und Mitarbeiter auf sehr wenig Platz beschränken. Georg Kolbe ließ sich eben keine herrschaftliche Villa errichten, sondern wollte ein bescheiden dimensioniertes Domizil, das ganz auf seine Bedürfnisse zugeschnitten war.

Der größte und hellste Raum ist – natürlich – das Atelier mit Blick auf den Garten, der schon damals von hohen Kiefern bestanden war: Ein Stück Grunewald vor den wandhohen Fenstern. Wie schön diese schlichten Räume in ihren Proportionen und mit den rhythmisch angeordneten Fenstern eigentlich sind, bemerkt man erst jetzt, wo sie leer sind – und nicht als Ausstellungsflächen nur Hintergrundfolie für die hier gezeigten Kunstwerke bilden. Mit anspruchsvollen Wechselausstellungen hat sich das Haus internationales Renommee erworben.

Auf die erste Ausstellung nach der Sanierung freut sich Chefin Wallner schon. Nächsten Juni kommt Auguste Rodin aus Paris zu Gast. Die Leihverträge mit dem Musée Rodin, das seinerseits ebenfalls in zwei historischen Atelierhäusern residiert, sind bereits unterzeichnet. Den Hausherrn Kolbe hätte es gefreut. Er bewunderte den eine Generation älteren Rodin.

Winfried Brenne betont, wie wichtig die gewandelte Nutzung für das Sanierungskonzept des Atelierhauses ist. Wo früher Kolbe am Kamin entspannte oder im Atelier seine Modellierwerkzeuge sortierte, ist jetzt musealer Raum nötig. Die Konsequenz daraus: Im großen Atelier etwa werden die zahlreichen Heizkörper verschwinden, um mehr Wandfläche für die Präsentation von Kunst zu gewinnen. Geheizt wird künftig durch Fußbodenheizung. Um das Bauwerk energetisch zu ertüchtigen, waren spezielle Lösungen gefragt. Brenne will innen dünne Kalzium-Silikat-Platten auf die Wände aufbringen, die die bauphysikalische Situation verbessern, aber die Optik nicht beeinträchtigen.

Warum die Sanierung längst überfällig ist, zeigt sich allenthalben – an Abnutzungsspuren, maroden Fensterbrettern, schäbigen Wasserschäden. Durch undichte Decken drang Regen ein, etwa im ehemaligen Schlafzimmer des Künstlers im Obergeschoss. Es soll künftig als Büroraum genutzt werden, dazu werden die originalen Einbauschränke behutsam aufgearbeitet. Und wo war Kolbes Küche? Im Keller, verrät Judith Wallner. Erhalten hat sich davon nichts. Aber der Künstler, der allein lebte, unterstützt von einer Haushälterin, hat hier vermutlich wohl ohnehin nicht gekocht. Eher aß er nebenan bei seiner Tochter, der er auf demselben Grundstück ein Haus errichten ließ (das heute das Museumscafé beherbergt). Oder Kolbe ging ins Restaurant.

Dass er ein sehr eigensinniger Bauherr war, bezeugen Briefe, Notizen und Pläne aus der Bauzeit. Der aus der Schweiz stammende Architekt Ernst Rentsch, der selbst nicht weit von hier am Theodor-Heuss-Platz wohnte, wollte Kolbes Atelierhaus eigentlich unter einem einheitlichen, weißen Putz verschwinden lassen. Das hätte dem modern gestalteten Haus ein ähnlich klare, kühle Anmutung gegeben wie den berühmten Meisterhäusern des Bauhauses Dessau, die Walter Gropius kurz zuvor für seine Lehrkräfte entworfen hatte. Aber Georg Kolbe optierte dagegen und setzte die Ziegelsichtigkeit durch. Überall am Außenbau und nicht zuletzt oben auf dem Dachatelier kommen so die schönen, unregelmäßig strukturierten Handstrichziegel zur Geltung. Den Restauratoren bereitet das der Witterung ausgesetzte Material heute Kopfzerbrechen. Aber es gibt dem Kolbe-Haus seinen ganz eigenen Charakter. Der klarlinig und konzipierte Baukörper wirkt aus der Nähe lebendig und regelrecht haptisch in seinen Oberflächen und Details. Derart belebt zeigen sich ja auch die Plastiken des Künstlers, vor allem die frühen Körperbilder von schlanken, sportlichen Mädchen und Männern: Wie der bewunderte Rodin modellierte Kolbe die Außenhaut seiner Figuren nicht glatt und einheitlich, sondern gab ihnen eine offene, lebendige Textur. Sie fängt das Licht, macht die Konturen weich und lässt die aus Bronze gegossenen Körper nicht starr, sondern eben lebendig wirken.

Zur Museumswebsite
Zum Museumscafe (während der Bauarbeiten geöffnet)

Eingestellt: 19. 11. 2015












 MODERNES BERLIN
 DER KAISERZEIT
 von Michael Bienert
 und Elke Linda Buchholz
 320 Seiten, ca. 250 Abb.
 Berlin Story Verlag
 Berlin 2016, 24,95€

 (erscheint August 2016)
 Weitere Informationen




Startseite
Apps I Digitale Guides
Die Bücher
Audioguides
Stadtführungen 
Vorträge
Literatur und Kunst
Kulturrepublik
Theaterkritiken
Ausstellungen
Reisebilder
Kulturmenschen
Denkmalschutz

Michael Bienert
Elke Linda Buchholz
Impressum
Kontakt
Aktuelles im Blog