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Stadtführungen
"IKEA IST NICHT DIE VOLLENDUNG DES BAUHAUSES"
 

Ein Interview mit Annemarie Jaeggi vom Berliner Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung über Zukunftskonzepte, schallschluckende Cellophanfolie und Männermacht am Bauhaus.

Das 100-jährige Bauhaus-Jubiläum 2019 rückt rasant näher. Viele denken beim Bauhaus nur an Stahlrohrstühle und moderne Architektur. Aber das Bauhaus war mehr. Annemarie Jaeggi, Direktorin des Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung in Berlin, weiß wie kaum eine andere, was die Bauhäusler umtrieb. Wir treffen sie im temporary bauhaus-archiv in Charlottenburg, denn ihr Museum macht sich mit einem Erweiterungsneubau auf den Weg in die Zukunft.

Frau Jaeggi, Sie sind Chefin der weltweit größten Bauhaus-Sammlung. Was war eigentlich so bahnbrechend neu am Bauhaus?

Dass diese kleine Schule, die nur 14 Jahre existierte, eine solche Wirkung entwickeln konnte, hat mehr als einen Grund. Wenn man es wirklich auf einen einzigen Faktor bringen will, dann war es das Bewusstsein, radikal anders zu sein. Nicht zurückzuschauen, sondern alles anders und neu machen zu wollen. Das Bauhaus begriff sich als verändernde Kraft und wollte auch in die Gesellschaft hinein wirken.

Mies van der Rohe hat einmal gesagt, die Ursache für den ungeheuren Einfluss der Schule liege darin, "dass es eine Idee war". Was genau war diese Idee?

Das sind viele Ideen. Das wichtigste: Es war eine Schule! Das wird oft vergessen. Es war eine Schule, die etwas ganz Neues wollte, was es vorher nicht gab. Nämlich eine neue Form von Künstler auszubilden, wir würden heute sagen "Produktgestalter", aber das trifft es nicht. Dieser neue Typ des Künstlers sollte ein Alleskönner sein, ein Generalist. Der Absolvent Max Bill zum Beispiel war Architekt, Typograph, Maler, Druckgrafiker, jedes künstlerisches Feld hat er beackert. So wollte das Bauhaus die Grundlagen schaffen, um sich mit der kompletten Gestaltung der Welt auseinanderzusetzen. Das hat man sich zugetraut. Ein sehr großes Ziel! So wie am Bauhaus ja immer alles groß und utopisch gedacht ist. Ich glaube, es ist diese Kraft des absolut Neuen, des In-die-Zukunft-Denkens, vom pädagogischen Konzept bis zu den konkreten Entwürfen, die dort entstanden. Und dann kommen viele, viele andere Faktoren dazu.

Worin sehen Sie die innovativen Ansätze und Ideen, die heute noch zünden?

Als Gropius die Schule gründete, war er so klug, sich nach wirklich bedeutenden Künstlern umzuschauen, und die hat er ins kalte Wasser hineingestoßen, so wie sich selbst. Nur wenige hatten ja vorher überhaupt unterrichtet, er selbst auch nicht. Zugleich strebte er eine Synthese aller Richtungen an: Da waren der Abstrakte Kandinsky, der Figurenmaler Schlemmer, der Träumer Klee. Moholy-Nagy war Konstruktivist, Feininger eher Expressionist. Das Bauhaus war ein Sammelbecken aller Ismen der Zeit. Man sollte denken, das gibt nur Ärger und Reibung. Aber diese Reibung wusste er positiv auszunutzen.

Wenn es gar keine einheitliche Richtung, keinen Bauhaus-Stil, keine klare Marschrichtung gab,. Wie konnte das Bauhaus solche Strahlkraft entwickeln?

Das Genialste von Gropius war diese Namensfindung, sagte schon Mies. Er nannte sein Projekt nicht Vereinigte Hochschulen für Malerei und Kunsthandwerk, so hießen alle anderen progressiven Schulen in dieser Zeit. Er nimmt dieses wahnsinnig eingängige Wort: Bauhaus. Das funktionierte sogar international. Das war ein riesiger Marketing-Erfolg.

Und schon damals dachten alle, sie wissen, was dieses Bauhaus ist, weil der Begriff so einfach und knackig ist?

Ja. Und wenn Sie heute zehn Bauhaus-Kenner fragen, was war das Bauhaus, bekommen Sie zehn unterschiedliche Antworten, die alle ihre Berechtigung haben. Das ist natürlich klasse, dass es dort so lebendig war und so viele Ideen hervorgebracht wurden! Aber man muss aufpassen, dass es nicht ins Beliebige abrutscht. Viele Menschen denken bei allem, was einigermaßen funktional und einfach gestaltet ist, gleich: Bauhaus! Oder schlimmer noch: Bauhaus-Stil! Dagegen hat man schon damals angekämpft. Gropius hat die Schule ja stark publik gemacht. Er war so etwas wie ein Wanderprediger der Moderne. Keine Woche, in der er nicht irgendwo einen Vortrag gehalten hat. Er schrieb unglaublich viel. Man fragt sich, wo er diese Energie hernahm.

Unterscheidet gerade dies das Bauhaus von anderen Schulen, dass sie nicht nur nach innen geschaut haben, sondern sich ständig auch nach außen bemerkbar machten?

Ja, der Architekt Hans Poelzig sagte: Der Gropius macht zuviel Radau um sein Bauhaus. Viele fanden das aufdringlich und großspurig. Mit großen Worten an die Öffentlichkeit treten und die Welt neu erklären. Das stammt eigentlich noch aus der expressionistischen Haltung vor dem Ersten Weltkrieg. Aber die klaren Begriffe, Sätze, Formeln funktionieren und wirken bis heute.

Gropius´ Slogan "Kunst und Industrie – eine neue Einheit" würden wir heute skeptisch betrachten. Was können wir trotzdem vom Bauhaus lernen, auch gesellschaftlich?

Das Bauhaus hat unter allen drei Direktoren – Gropius, Meyer und Mies van der Rohe – die ganz grundlegenden, einfachen Fragen gestellt. Die Basics: Wie wollen wir wohnen? Wie wollen wir leben? Ich muss zuerst die Welt um mich herum analysieren und daraus muss ich meine Schlüsse ziehen, damit ich nicht an der Gesellschaft vorbeiarbeite. Egal, wo ich lebe auf dieser Welt, nicht nur in Deutschland, sondern überall – damals wie heute. Was entspricht dem Menschen? Was sollte dem Menschen zustehen an Fläche? Was ist menschenwürdiges Wohnen? Wie lässt sich das mit wenig Geld durchsetzen? Es geht nicht darum, den Leuten, die schon alles haben, eine noch bessere Villa hinzustellen, sondern es geht darum, nach Bedürfnissen zu fragen. Die Antworten des Bauhauses darauf waren natürlich sehr deutsch oder mitteleuropäisch konnotiert. Aber man hatte den Anspruch, universell zu sein. In den Grundfarben und Grundformen sah das Bauhaus ein Instrumentarium, das wirklich jeder versteht.

Gilt das noch immer?

Vielleicht ist das auch ein großer Irrtum. Aber dieser Gedanken steckte dahinter. Rot plus Blau ergibt Lila. Die Grundformen Kreis und Quadrat kennt jeder. Ob ich das in Indien, in Deutschland, in Australien oder in Russland mache, es bleicht unverändert. Gropius hat immer gesagt: Wir stehen am Anfang einer neuen Epoche. Wir fangen ganz einfach an. Deshalb arbeiten wir ornamentlos.
Man kann darin auch eine Heilsbotschaft sehen, die das Bauhaus in die Welt tragen wollte. Wenn wir heute darauf schauen, kann man das skeptisch oder kritisch betrachten. Es hat kolonialistische Züge, so zu denken. Aber dahinter stand wirklich die Vorstellung, die Welt durch Gestaltung besser zu machen. Auch da würde ich ein großes Fragezeichen setzen. Aber es ist sicher etwas, was Gropius mit Inbrunst vertreten hat.

Waren die Fragen am Bauhaus wichtiger als die Antworten?

Die Antworten, die man gegeben hat, sind die Produkte. Das sind ja alles Schülerarbeiten, nicht Meisterwerke erfahrener Künstler. Das sollte man nie vergessen. Es sind Resultate einer pädagogischen Methode, einer Absicht, eines Leitbilds. Und das wandelte sich, das Bauhaus hat sich ja weiterentwickelt. Es hatte die Größe, immer wieder den Kurs zu wechseln. Innehalten, Scheitern dürfen und aus dem Scheitern lernen, war Teil seiner Pädagogik. Unsere Antworten auf diese grundlegenden Fragen fallen natürlich anders aus, weil wir hundert Jahre später in einer völlig anderen Gesellschaft leben. Aber was an den Ergebnissen fasziniert, die das Bauhaus erarbeitet hat, ist ihre Zeitlosigkeit. Durch ihre Reduziertheit und Einfachheit wirken sie so frisch, als könne man es gar nicht besser machen.

Viele der Bauhaus-Entwürfe sind bis heute am Markt erhältlich. Aber hätte Albrecht Dürer ein Stahlrohrmöbel als ebenso zeitlos empfunden?

(Lacht.) Das ist tatsächlich die Frage!

Inwiefern war das Bauhaus auch ein gesellschaftspolitischer Experimentierraum? Lehrer und Studierende kamen aus allen Ländern. Nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs positionierte sich die Schule international.

Darin unterschied sich das Bauhaus von allen anderen modernen Kunstschulen der Zwanziger Jahre. Auch deshalb hackten die Rechtsparteien derart auf das Bauhaus ein. Vielen machte es schon damals Angst, dass fremdländische Studierende ausgerechnet an diesen kleinen Orten Weimar und Dessau eintrafen. Es gab sofort Ressentiments. Es gab Vorwürfe: Die studieren mit unseren Steuergeldern.

Welche Aspekte des Bauhauses werden Ihrer Ansicht nach übersehen?

Erstens: Was kann für uns Vorbild in dieser sich so stark veränderten Welt noch Vorbild sein: Unter allen Direktoren am Bauhaus galt das Credo, wir bilden keine Spezialisten aus, sondern Generalisten. Zweitens: Wir arbeiten zusammen, also Stichwort Teamwork. Ich denke, da steckt etwas Zukünftiges für uns drin. Und drittens: Expertise! Bauhaus ist nicht "Do it yourself". Ich werde oft gefragt: Ist denn Ikea nicht die Vollendung des Bauhauses? Das finde ich schwierig. Ein weltumspannender Konzern und eine Schule, die sich so gesellschaftsverändernde Fragen vorgenommen hat, das sind zwei völlig auseinanderklaffende Welten. Am Bauhaus wurde Expertise gelehrt! Handwerk. Man musste drei Jahre lang das Material kennenlernen. Da brauchten Sie Durchhaltewillen, Souveränität. Sie mussten Prüfungen und Abschlüsse machen. Das ist nicht einfach irgendwas, was man lustig drei Jahre macht, um dann die Welt zu ändern. Das ist ernsthaft. Zur großen Utopie gehörte das konkrete Können, Lernen, Material beherrschen.

Und das Experiment?

Natürlich! Die neuesten Materialien, die gerade auf den Markt kamen, wurden aufgegriffen. Die Weberinnen fingen an mit zerschnipselter Cellophanfolie zu arbeiten, weil sie merken, die ist schallschluckend. Sie entwarfen daraus Wandtextilien für Räumlichkeiten, in denen musiziert wurde. Aus dem Hier und heute, aus den aktuellen Technologien kamen die zukunftsweisenden Anstöße.

Sie sprechen die Weberinnen an. Warum stehen die Frauen am Bauhaus bis heute im Schatten ihrer männlichen Kollegen? Die Hälfte der Studierenden war weiblich.

Viele Menschen gehen davon aus, dass am Bauhaus alles anders war als im Rest der Gesellschaft. Diese Erwartungen werden bitter enttäuscht. Die Meister am Bauhaus sind ja alle im 19. Jahrhundert geboren und in einer männerdominierten Gesellschaft aufgewachsen. Ich will sie überhaupt nicht in Schutz nehmen. Aber wenn wir heute darauf zurückblicken, mit unserer heutigen Erwartung, dann kann man nur enttäuscht werden. Viele Frauen fühlten sich in die Weberei abgeschoben. Das war hochgradig ungerecht. Denn nicht nur die Weimarer Verfassung, auch Gropius´ Manifest proklamierte, dass unabhängig vom Geschlecht jeder am Bauhaus aufgenommen wird, der begabt ist. Das hat er nicht eingehalten. Wie so oft bei Gropius: was er verkündet, ist sehr oft utopisch, beschreibt aber nicht den tatsächlichen Zustand. Er hat viele Leute ans Bauhaus gelockt und viele enttäuscht.

Das Bauhaus war aber keine Ausnahmeinsel innerhalb einer Gesellschaft. Waren das alles Linke?

Auch da würde ich sagen, Vorsicht. Sie finden alle politischen Couleurs im Bauhaus. Sie finden Völkische, zumindest in der Frühphase in Weimar. Es gab in der Endphase, als das Bauhaus in Berlin unter dem Druck der Nazis geschlossen wurde, Partei-Mitglieder, Mitläufer, auch eine ganze Reihe überzeugte Nazis. Es gab einen ehemaligen Bauhäusler, der dann KZ-Lagerbauten entwarf. Die Bauhäusler sind nicht sakrosankt. Aber in den Köpfen der Menschen steckt bis heute dieses positive Bild einer heilen Gemeinschaft, die aufrichtig war und gut und mit hehren Absichten handelte.

Der Bauhäusler ist immer der Gute.

Das ist leider ein Trugschluss.

Wo muss man dem Bauhaus widersprechen?

Ich bin Historikerin und sehe das Bauhaus in seiner Zeit verortet. Aber für uns heute ist der Umgang mit den Frauen, das Nicht-Hochkommen- Lassen der Frauen völlig indiskutabel. Das geht überhaupt nicht.

Was fasziniert Sie persönlich am meisten am Bauhaus?

Ich habe nur noch einen einzigen Bauhäusler persönlich kennengelernt, Lux Feininger, damals schon 101 Jahre alt. Bei ihm und auch bei den Kindern von Bauhäuslern habe ich erlebt: Mit leuchtenden Augen erzählen sie von dieser besten, aufregendsten Zeit ihres Lebens am Bauhaus. Da schwingt eine wahnsinnige Inbrunst und geballte Euphorie mit. Auch das ist Teil des Mythos Bauhaus.

Was ist das Wichtigste, was wir heute vom Bauhaus lernen können?

Ich denke, sich im Hier und Heute zu positionieren. Und daraus zu überlegen, wie kann ich etwas verändern. Es ist nicht jedem gegeben, visionär zu sein.

Ist es obsolet geworden, Utopien zu entwickeln?

Vielleicht denken wir einfach nicht so groß. Großes Denken ist ja mit großen Gefahren des Scheiterns verbunden. Dieser Mut ist eher in Zeiten zu finden, in denen man nichts zu verlieren hat. Und das war definitiv in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg der Fall, anders als heute.

Ihr Haus macht sich mit einem neuen Erweiterungsbau auf den Weg in die Zukunft. Wie geht es voran mit der Baustelle Bauhaus-Archiv?

Wir sind gut aufgestellt, was unseren Bau anbelangt ebenso wie für das große  Jubiläumsjahr.. Wenn sich in Krefeld, in Arnstadt, in Weißwasser, an ganz kleinen Orten, von denen wir es gar nicht erwartet haben, Bürgerteams zusammentun und ein verwahrlostes Gebäude aus den Zwanziger Jahren in den Fokus rücken, um mit dabei zu sein im großen Jubiläumsprogramm – dann finde ich das großartig! Das ist genau das, was wir wollen: eine neue Identifikation mit einem Ort, eine neue Wertschätzung der Moderne, die unsere Kultur geprägt hat. Das Bauhaus ist nur ein Teil davon. Wir stoßen da Tore auf, das hätte ich nie gedacht.

Die Fragen stellte Elke Linda Buchholz.














 
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