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SCHILLERGEBURTSTAG 2009

Stirbt die Schillerlocke aus?

Früher war sie ein preiswerter Massenartikel, heute ist die Schillerlocke eine gesuchte Fischspezialität. Vielleicht wäre es das beste, sie verschwände ganz vom Markt.

Von Michael Bienert

Und der Haifisch, der hat Zähne, aber das nützt ihm gar nichts mehr, wenn er als Schillerlocke auf dem Teller landet. Die Räucherdelikatesse stammt aus den Bauchlappen des Dornhais. Damit sie sich in Schillerlocken verwandeln, müssen die Fische fachmännisch filetiert und von Haut befreit werden, beim Räuchern kringeln die Bauchlappen sich dann ganz von selbst zusammen.

Früher galten Haie nicht als feine Speisefische, landeten aber unvermeidlich mit in den Netzen der Nordseefischer. Wer auf die geniale Verkaufsidee kam, den geräucherten Dornhai zur Schillerlocke zu veredeln, liegt etymologisch im Dunklen. Grimms Wörterbuch kennt den Begriff nicht einmal. Für die Theorie, dass die Namensgebung die wahre Herkunft der Speise verschleiern sollte, sprechen auch andere Handelsnamen. So kommen die Rückenfilets des Dornhais hierzulande als Seeaal auf den Markt. In England verbirgt sich das Haifleisch in  den allbekannten „fish an chips“.

Vor 30 Jahren wurden in den nordatlantischen Küstengewässern der Europäischen Gemeinschaft jährlich bis zu 50.000 Tonnen Dornhai gefangen, mittlerweile bleibt nur noch ein kleiner Bruchteil in den Netzen hängen. Die kleineren Exemplare werden oft als lästiger Beifang entsorgt. Da die hiesigen Bestände stark überfischt sind, stammen die meisten Schillerlocken in den Fischläden aus dem Pazifik.

Der Dornhai (Squalus acanthias) steht auf der internationalen Roten Liste der bedrohten Tierarten. Denn es handelt sich um sensible Tiere, die sich mit ihrer Fortpflanzung fast noch schwerer tun als ihre ärgster Feind, der Mensch. Dornhaie wachsen nur langsam und werden erst mit etwa 20 bis 30 Jahren geschlechtsreif. Die Weibchen bringen nach 22 Monaten Schwangerschaft ganz wenige Nachkommen zur Welt. Die Wahrscheinlichkeit, schon vorher als Schillerlocke oder Seeaal verspeist zu werden, ist extrem hoch. Sind die Bestände erst einmal dezimiert, erholen sie sich nur sehr langsam.

Die Europäische Kommission hat das Problem erkannt und die Fangquoten für den Dornhai in den letzten Jahren drastisch gesenkt. Im Februar 2009 verabschiedete sie einen Aktionsplan zum Schutz der Haie, im März beschäftigte das Thema den Bundestag, ohne dass die Öffentlichkeit jedoch davon Notiz nahm. Ein von den damaligen Regierungsparteien abgelehnter Oppositionsantrag forderte intensivere  Schutzmaßnahmen, aber auch mehr Aufklärung der Bevölkerung. Die Grünen warnten vor der hohen Quecksilberbelastung von Haien und möglichen Gesundheitsgefahren beim exzessiven Verzehr von Schillerlocken.

Im Oktober 2009 schlug die Europäische Kommission nun vor, die Fangquoten für Dornhai in den atlantischen Küstengewässern nochmals um 90 Prozent zu kürzen: der Griff nach der Notbremse, kurz vor dem 250. Schillergeburtstag. Den kann man auch mit süßen Schillerlocken aus der Bäckerei feiern, für den Fischladen gilt eher der weise Rat des Dichters: „An dem Scheine mag der Blick sich weiden, / Des Genusses wandelbare Freuden / Rächet schleunig der Begierde Flucht.“ 

ERSTDRUCK: STUTTGARTER ZEITUNG v. 7. November 2009.




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© Texte und Fotos: Michael Bienert














 
Michael Bienert
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