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THEATERKRITIK

Rosmersholm von Henrik Ibsen. Premiere an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz am 16. September 2011. Regie: Leander Haussmann. Mit Peter Lohmeyer, Annika Kuhl, Ralf Dittrich, Uwe Dag Berlin , Axel Wandke und Margit Carstensen.


Versuchs mal mit Werktreue!

von Michael Bienert

Alles so aufgeräumt hier. Als langjähriger Besucher der Berliner Volksbühne fremdelt man mit den renovierten und blitzblanken Foyers, wundert sich über die Beflissenheit des Abendpersonals, das jetzt in schwarzen Anzügen steckt, und blättert kopfschüttelnd im Hochglanzprogrammheft: Statt wie früher Pamphlete feuerköpfiger Dramaturgen liest man Ibsens eigene Ansichten über sein Stück „Rosmersholm”, neben Deutungen von Strindberg, Hofmannsthal und Freud. Andere Theater machen es ja auch so, aber die Volksbühne kultivierte jahrelang einen ganz anderen Stil. Instinktiv rechnet der Stammgast eher mit einem Klaps auf den Kopf, einem Tritt gegen das Schienbein, jedenfalls Opposition gegen Unterhaltungs- und Bildungsbedürfnisse eines bürgerlichen Publikums.

Laut, schrill oder anstrengend wird der ganze lange Theaterabend nicht, den der Regisseur Leander Haußmann der kriselnden Volksbühne geschenkt hat. Will er die Kreditwürdigkeit des Hauses beim Publikum retten, das unter Kapitän Castorf unaufhaltsam auf den künstlerischen Bankrott zuzutreiben schien? Statt Dekonstruktion liefert Haussmann die liebevolle Rekonstruktion einer versunkenen Bürgerwelt aus dem 19. Jahrhundert, statt mit lautstarker Besserwisserei überrascht er durch geduldiges Verstehenwollen dessen, was Ibsen seinerzeit sagen wollte.

Johannes Rosmer, gespielt vom hageren Peter Lohmeyer, ist ein ernster, leiser, sanfter Mann aus alter Familie, der von einer besseren, das heißt liberaleren Gesellschaft träumt. Er hat seinen Gottesglauben und sein Priesteramt abgelegt, doch in seinem Körper ist der revolutionäre Geist noch nicht angekommen. Rosmer bleibt in seinem pastoralen Habitus gefangen und lebt keusch mit der jungen Frau zusammen, die seine gemütskranke Gattin Beate in den Selbstmord getrieben hat. Ihre Schuld kommt im Lauf des Abends ans Licht, weil Rektor Kroll, ein alter Freund und Schwager Rosmers, diesen für den politischen Kampf gegen die Fortschrittsbewegung einspannen will. Rosmer wird so zum politischen Offenbarungseid gezwungen, der aufflammende politische Streit wühlt auch die private Vergangenheit auf. Rosmer muss sich erneut mit dem Tod seiner Frau beschäftigen. In der Konfrontation macht Kroll (Ralf Dittrich) klar die bessere Figur: Reaktionär im Kopf, aber von sympathischer Munterkeit ist er das genaue Gegenbild des emotional verklemmten Möchtegern-Weltverbesserers Rosmer.

Dessen neue Lebensgefährtin Rebekka ist eine moderne junge Frau (Annika Kuhl) mit Kurzhaarscheitel. Doch sie steckt in altmodischen Gewändern (von Doris Haußmann) und traut sich nicht, ihr Begehren dem Geliebten offen zu zeigen.

Anpassungsdruck führt bei ihr zur Persönlichkeitsdiffusion, je nach Situation gibt sie sich als brave Hausmamsell, verständnisvolle Freundin oder gefallenes Mädchen, einmal entlädt sich die ungelöste Spannung in einem hysterischen Anfall. Als Symbol der Distanz zwischen Rebekka und Rosmer hat Uli Hanisch eine riesige altmodische Treppe auf die Drehbühne gestellt. Das Monstrum verkörpert wie die Rokokosessel, der Teetisch und Ahnenporträts die Übermacht der Familientradition im Hause Rosmer, an der auch Rebekkas Lebensmut zerbricht.

Uwe Dag Berlin als Weltverbesserer Brendel, der in der Gosse endet, und Axel Wandtke als linker Zeitungsredakteur Mortensgard bleiben in diesem Drama ein wenig grell gemalte Nebenfiguren. Geisterhaft ist die altersschwache Haushälterin Helseth (Margit Carstensen) immer zur Stelle, wenn ihre Dienste gebraucht werden. Mit unheimlicher Ruhe wartet sie auf das, was in diesem Spukhaus kommen muss: dass der Geist von Rosmers ertrunkener Frau den Witwer und seine Geliebte zu sich ins feuchte Grab hinabzieht. Leander Haussmann lässt den beiden Figuren reichlich lange Zeit, sich zum gemeinsamen Suizid durchzuringen. Der romantische Liebestod führt sie buchstäblich über alle familiären, sozialen und triebhaften Verstrickungen hinaus, auf der riesigen Bühnentreppe schrauben die zwei sich immer höher in den Theaterhimmel, wo sie sich dann mittels einer Trickprojektion im Unendlichen verlieren.

Der linke Sitznachbar schlief ein, bei Rebekkas hysterischem Ausbruch schreckte er hoch, sank dann wieder in sich zusammen und verpasste die Himmelfahrt der Liebenden. Trotzdem: kein langweiliger Abend, aber die Volksbühnengemeinde muss sich an ein weitgehend werktreues Theater der leiseren Töne erst gewöhnen.

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 19. September 2011

© Text und Foto: Michael Bienert







Michael Bienert
Mit Brecht durch Berlin
Insel Verlag it 2169
272 Seiten
Mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 3-456-33869-1
10 Euro








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