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Prinzessinnen
Foto: Michael Bienert 

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PRINZESSINNEN IM SPIEGEL

von Michael Bienert

Das Porträt der Prinzessinnen Luise und Friederike ist ein Hauptwerk Johann Gottfried Schadows und des deutschen Klassizismus um 1800. Nach der Restaurierung der älteren Gipsfassung präsentiert die Berliner Nationalgalerie das lebensgroße Doppelstandbild im Doppelpack.

Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor ist das bekannteste Werk des Bildhauers Johann Gottfried Schadow, in der aktuellen Ausstellung auf der Berliner Museumsinsel aber wird sie nur am Rande erwähnt. Das letzte runde Schadow-Jubiläum ist schließlich noch nicht lange her: Zum 250. Geburtstag vor acht Jahren widmete das Stadtmuseum dem Begründer der Berliner Bildhauerschule des 19. Jahrhunderts die letzte Retrospektive. In der Alten Nationalgalerie dreht sich nun alles um Schadows bis heute beliebtestes Werk, das lebensgroße Doppelstandbild der preußischen Prinzessinnen Luise und Friederike.

„Bitte berühren“ steht unter dem weiß lackierten Tastmodell am Ausstellungseingang, das die beiden Prinzessinnen in zärtlicher Umschlingung zeigt. Wenn man dagegen klopft, klingt es metallisch und hohl. In ähnlicher Verkleinerung dienten die beiden Schwestern in der Alten Nationalgalerie auch schon mal als Tischdekoration, ausgeführt in weißer Schokolade anlässlich eines Festmahls. Wer hatte damals den Mut, einen der zarten Mädchenarme abzubrechen oder einen Prinzessinnenkopf abzubeißen? Nun hat die Museumspädagogik am Eingang der Schadow-Sonderausstellung eine Kulisse aufgestellt, vor der sich Kunstfreundinnen als „Doppelpack“ fotografieren lassen können: Die preußischen Prinzessinnen sollen auch die Insta- und Tiktok-Welt erobern!

Wer zwei Etagen tiefer den Kunsttempel auf der Museumsinsel betritt, wird mit einem Schockmoment auf die Sonderschau unterm Dach hingewiesen. Normalerweise sind die beiden Prinzessinnen die Topstars in einer Galerie mit marmorweißen Spitzenwerken der Berliner Bildhauerschule, die auf den Parcours durch die Malerei des 19. Jahrhunderts einstimmt. An gewohnter Stelle steht nun eine mattbunt angestrichene Gipskopie der lebensgroßen Mädchenfiguren wie aus einem billigen Comic entsprungen. Ein Werk des Konzeptkünstlers Hans-Peter Feldmann, der Auratisierungsstrategien des Museumsbetriebs in seinen Installationen immer neu hinterfragt.

Spieglein, Spieglein an der Wand 

Die kostbare Marmorversion der Prinzessinnengruppe findet sich nun oben im Schinkelsaal zwischen zwei riesigen Spiegelwänden. Die Skulptur teilt sich den weiten Raum mit einer gleich großen Gipsversion. Diese diente als Vorlage für die später ausgeführte Marmorskulptur. Die Spiegelwände erleichtern die vergleichende Betrachtung von allen Seiten. In dieser ernüchternden Ballettsaal-Atmosphäre sieht man die beiden Prinzessinnen unendlich oft dupliziert. Auch das ein Angriff auf Seh- und Ausstellungsgewohnheiten. Man kann das unendlich oft reproduzierte Werk nicht anschauen, ohne mit dem Phänomen seiner Vervielfältigung konfrontiert zu sein.  

In einer Ecke des Saals stehen Büsten der Prinzessinnen aus Ton, Gips und Pappmaché, in einer Ecke anderen liegt der Vertrag aus, den der Hofbildhauer Schadow mit einem Kollegen geschlossen hat, damit dieser die Gipsfassung der Skulptur in Marmor übertrug. Die endgültige Ausarbeitung vor allem der Gesichter und der Mädchenarme behielt Schadow sich vor.  

Was ist hier denn nun das eigentliche Werk, was ist Original, was Kopie? Eine klare Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Die Gipsfassung der Mädchengruppe verließ die Schadowsche Bildhauerwerkstatt bereits 1795 und wurde auf der alle zwei Jahren stattfindenden Berliner Kunstausstellung in der Akademie der Künste gezeigt. Die Gipse wurden also als fertiges Werk präsentiert und wahrgenommen. Sie waren damals eine Sensation. Zwei Jahre später stellte Schadow dann die vom König in Auftrag gegebene Marmorfassung aus. Doch bereits die lebensgroßen Gipsfiguren der Mädchen beruhten zumindest teilweise auf 3-D-Reproduktionstechniken. Ganz am Anfang des Prozesses stellte der Bildhauer zwei Terrakottabüsten der Mädchenköpfe nach der Natur her. Von diesen wurden Gipsabgüsse genommen und diese wiederum in die Ganzfiguren aus Gips eingebaut. Ob die Prinzessinnen selbst jemals in der gezeigten Pose Modell gestanden haben, ist fraglich.

Schöner in Gips

Spieglein, Spieglein an der Wand, welche ist nun die schönste Prinzessin im ganzen Land? Der steinharte, aber glatt polierte und leicht transparente Marmor wirkt wie ein Weichzeichner. Die Gipsfiguren sind nicht weniger anmutig, trotz oder wegen ihrer rauhen Oberfläche. Sie wirken nahbarer, man sieht Spuren von Arbeit und Alterung des Materials. Das macht die Figuren noch berührender. Denn Gips ist fast so vergänglich wie ein Mensch.

In einem Nebenkabinett liegt demonstrativ ein „Skulpturen-Blasebalg“ in einer Vitrine. Ein Werkzeug zum Wegpusten von Staub, der sich auf den Gipsen absetzt und ihn mit der Zeit alt aussehen lässt. Feucht abputzen sollte man sie besser nicht. Also wurden Gipsskulpturen früher gern übermalt, um sie wieder hell strahlen zu lassen. Eine Galerie von schwer geschädigten Gipsbüsten aus dem Depot demonstriert die Langzeitwirkung von unsachgemäßen Restaurierungen. Auch die Gipsprinzessinnen galten im Ergebnis als unrestaurierbares Werk. In den letzten drei Jahren wurden sie mit modernsten Methoden behutsam dem  Ursprungszustand angenähert. Bis zu sieben Farbschichten tupften Restauratorinnen mit Wattebäuschen vom Gips des 18. Jahrhunderts ab.

Aus der Restaurierungswerkstatt geht der Blick zurück in Schadows Bildhaueratelier: Wie hat er gearbeitet, was ging in seinem Kopf vor? Mit der Prinzessinnengruppe schrieb er Kunstgeschichte: Sie gilt als erstes skulpturales Doppelporträt historischer Persönlichkeiten. Aber es gab Vorbilder. Von 1785 bis 1787 studierte der junge Schadow in Rom, daher kannte er die Darstellungen der Zwillingsbrüder Castor und Pollux aus der Antike. Ausgestellt sind auch Skulpturen von Frauenpaaren, die sich ähnlich umarmen wie die preußischen Prinzessinnen. Schadow zitiert diese Vorbilder verblüffend genau. Auch die Kinnbinde der Kronprinzessin Luise findet sich bereits bei der antiken „Zingerelle“, die zu Schadows Zeiten in der Villa Borghese ausgestellt war. Der Stoffwickel sollte, so schreibt er es selbst, eine unschöne Schwellung am Hals des Mädchens verdecken. Um 1800 wurde die Kinnbinde zum modisches Accessoire. 

Ein erotischer Skandal

In der Nachahmung der Antike war Schadow ebenso selbstbewusst wie sein großer Berliner Zeitgenosse, der Architekt Schinkel. Damit haben beide Schule gemacht. Überlieferte Formen und Formeln hat Schadow frei benutzt und zeitgenössisch interpretiert. Seine Prinzessinnen im antiken Gewand sind nicht als griechische Mythologiewesen kostümiert. Ihre adlige Herkunft spielen nur insofern eine Rolle, als die ranghöherer Kronprinzessin eine etwas aufrechtere Haltung einnimmt. Die körperliche Intimität der beiden Schwestern, ihre Ungezwungenheit ist hier das Thema. Als von gesellschaftlichen Fesseln befreite Naturgeschöpfe scheinen sie ganz bei sich. Wenn überhaupt eine Ideologie, dann ist es die bürgerliche Verklärung der Natur, die sich in den beiden Mädchengestalten materialisiert.

Der erotomanische Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. hatte kein Problem damit, seine Schwiegertochter Luise in fast durchscheinender Gewandung den Blicken der Öffentlichkeit preiszugeben. Sein Sohn, der Ehemann Luises, ließ die Marmorskulptur nach seiner Krönung in einem Winkel des Berliner Stadtschlosses verschwinden. Nicht als die Sinne reizendes Mädchen sollte Luise nach ihrem frühen Tod im Gedächtnis bleiben, sondern als liebende Ehefrau und tapfere Kämpferin gegen Napoleon. Die Schwester Friederike wurde wegen ihres lockeren Lebenswandels vom Hof verstoßen. Erst 1906 war die Prinzessinnengruppe wieder öffentlich ausgestellt. 

Schadows virtuose, an der Antike geschulte Darstellung von Ungezwungenheit machte trotzdem Schule in der preußischen Bildhauerei des 19. Jahrhunderts. Friedrich den Großen porträtierte er nicht als Heros, sondern als Spaziergänger mit seinen Windspielen. Die Ausstellung zeigt zwei seltene Vorstudien in Ton, sogenannte Bozetti, zu seinem berühmten Denkmal des Generals von Zieten: Die klassische Offizierspose ersetzte Schadow durch die lebensnahe Haltung eines Feldherrn, der grüblerisch den Kopf in die Hand stützt, die Beine über kreuz. Aus dem Heldenbild in antiker Manier wurde ein Charakterbild.

Schadow – ein Rassist?

Auf der Suche nach Naturwahrheit widmete sich Schadow intensiv einer Pseudowissenschaft, der Phrenologie. Die Schädelkunde war um 1800 groß in Mode. Durch exakte Vermessung der Köpfe sollte ein Rückschluss auf ihren Inhalt, genauer den Charakter von Menschen möglich sein. Schadow zeichnete und vermaß Köpfe in verschiedenen Lebensaltern. Goethe, von dem Schadow eine wenig schmeichelhafte Porträtbüste schuf, lehnte dieses Ansinnen dankend ab. Seine Studien veröffentlichte Schadow unter dem Titel „Polyclet“. Als Fortsetzung erschien 1835 ein Band mit „National-Physiognomien“, der nicht frei ist von damals gängigen rassistischen Stereotypen. Auch die Büste eines „Kaffers“ ist in der Ausstellung zu sehen. Es handelt sich um das Porträt eines Südafrikaners, dessen Kopf als zoologisches Präparat nach Berlin verschifft worden war. Schadows ethnologisches Interesse belegen auch Zeichnungen von den Köpfen eines Chinesen, eines Hawaiianers, des türkischen Botschafters in Berlin und einer schwer übergewichtigen Schweizerin, die auf Jahrmärkten auftrat. Die Ausstellungstexte weisen explizit auf die Spuren von Kolonialismus in diesen Arbeiten hin, ohne den Künstler einem pauschalen Rassismusvorwurf auszusetzen.

Unter dem Titel „Berührende Formen“ stellt die Ausstellung die Schadowsche Prinzessinnengruppe zuletzt den größeren Kontext der Darstellung von Geschwister- und Freundespaare seit dem 18. Jahrhundert. Der 1764 in Berlin geborene Bildhauer war ja nicht nur ein Kind des Zeitalters der Aufklärung, sondern auch der Empfindsamkeit und der Freundschaftskulte. Hinreißende Schwesternporträts des englischen Malers Thomas Gainsborough belegen die Zeitstimmung, aus der heraus Schadow die Bildnisse junger Frauen geschaffen hat. Johann Friedrich August Tischbein die preußischen Prinzessinnen in ähnlicher Haltung gemalt. Vom preußischen Klassizismus zieht die Ausstellung eine Linie bis zu einem queeren Porträt zweier Freunde von Karl Hofer aus den 1920er-Jahren und bis zu einem Tänzerinnenpaar von Gerhard Marcks in den 1930er-Jahren. Während Marcks sich explizit mit Schadows Prinzessinnen auseinandersetzte, ist bei einem Skulpturenpaar von Henri Laurens nicht klar, ob er sie gekannt hat. Wie auch immer: Alle diese Werke sind auf einer elementaren Ebene miteinander verwandt, denn sie sprechen ein Urbedürfnis nach körperlicher Nähe und intimer Verbundenheit zwischen zwei Menschen an. Und so bleibt, obwohl diese Ausstellung die schönen Prinzessinnen auf den Seziertisch legt, am Ende ein warmes Gefühl.

Alte Natioonalgalerie, 21. 10. 2022 bis 19. 2. 2023, geöffnet täglich außer montags 10-18 Uhr

Weitere Informationen: https://schadowinberlin.de



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Michael Bienert
DAS ROMANTISCHE
BERLIN

184 Seiten, 171 Abb., Verlag für Berlin-Brandenburg, 25 €
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