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KULTURMENSCHEN IM INTERVIEW

Ein Schloss für die Welt

Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, kurz nach seinem Amtsantritt über das Humboldt-Forum, Beutekunst und Abu Dhabi


Herr Parzinger, die erste Woche als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz liegt hinter ihnen. Wie ist Ihr erster Eindruck?

Überrascht hat mich nicht viel, ich bin ja seit einigen Jahren im Gesamtbeirat der Stiftung. Aber was mir den Einstieg sehr leicht gemacht hat: Hier herrscht ein ausgesprochen guter Teamgeist, ich bekomme von allen volle Unterstützung. Das ist wirklich sehr, sehr positiv. Der verpflanzte Baum beginnt bereits, neue Wurzeln zu treiben.

In Berlin ist eine neue Debatte über das Humboldt-Forum entbrannt, das ins wiederaufzubauende Schloss einziehen soll. Kurz vor Ihrem Amtsantritt meinten Sie, Sie könnten sich dort auch eine moderne Architektur vorstellen. Wenig später traten Sie als entschlossener Verfechter der Schlossfassadenrekonstruktion auf. Wie kommt das?

Man muss Äußerungen immer in ihrem Zusammenhang sehen. Ich meinte, dass man sich vieles vorstellen kann. Es gibt drei Positionen: Die eine zielt auf das ganze Schloss, die andere auf etwas völlig Neues. Den Kompromiss, die Schlossfassaden mit einem modernen Inneren zu kombinieren, finde ich sehr gut. Weil diese Fassaden das Humboldt-Forum ins Zentrum von Berlin einbinden und die Historizität des Ortes sichtbar machen. Aber innen entwickelt sich etwas Neues. Das ist ein sehr interessanter Spannungsbogen zwischen unserer deutschen Geschichte und dem Blick in die Zukunft, hier kann sich ein traditionsbewusstes und zugleich weltoffenes Deutschland präsentieren. Andernorts  entstehen futuristische Museumsbauten des 21. Jahrhunderts, etwa das geplante Guggenheim in Abu Dhabi, das aussieht wie eine gigantische Explosion. Man mag so etwas faszinierend finden. Aber nicht am Schlossplatz, dort würde so etwas nicht hinpassen. Aber vielleicht könnte es sich an anderer Stelle ergeben: wenn Berlin einmal eine Kunsthalle bekommt.

Der Wettbewerb für das Humboldt-Forum schreibt drei rekonstruierte Schlossfassaden vor, die vierte Seite zur Spree hin ist gestaltungsoffen. Was für eine Lösung wünschen Sie sich hier? Einen scharfen Kontrast zwischen Alt und Neu?

Das kommt ganz auf die Entwürfe an, die die Jury überzeugen müssen. Diese Seite hat sich ja immer schon deutlich von den anderen Fassaden unterschieden. Sie kann auch modern werden.

Wie wird das Humboldt-Forum innen aussehen?

Die Menschen werden über eine Agora, das „Tor zur Welt“, hereinkommen und im Erdgeschoss mit der faszinierenden Vielfalt der außereuropäischen Welt in Berührung kommen. Dort gibt es Veranstaltungsräume für Film, Theater, Musik, Läden, Gastronomie und Ausstellungsbereiche für zeitgenössische Künstler außereuropäischer Regionen. Das soll die Menschen neugierig machen auf die Wurzeln dieser Welt. Im Stockwerk darüber sind die „Werkstätten des Wissens“ angesiedelt, mit den außereuropäischen Beständen der Landes- und Zentralbibliothek, den Forschungsbibliotheken und dem Phonogrammarchiv der Dahlemer Museen, den wissenschaftsgeschichtlichen Sammlungen der Humboldt-Universität und der königlichen Kunstkammer. Sie ist die Keimzelle von Sammeln und Forschen. Darüber dann die Präsentation der Kontinente von Amerika, Asien, Afrika bis Australien und Ozeanien und im obersten Geschoss zeigen wir übergreifende Menschheitsthemen wie Migration, Großstädte, Globalisierung, auch mit Blick auf Europa. Wir wollen kein bloßes Museum, sondern ein lebendiges Kultur- und Kunsterfahrungszentrum. Ich fände es sehr schön, auch außereuropäische Künstler oder Wissenschaftler zum Arbeiten einzuladen und Stipendien zu vergeben.

Könnte dabei nicht der Eindruck einer Völkerschau wie zu Kolonialzeiten entstehen?

Genau das Gegenteil wollen wir erreichen, wir wollen Respekt vor den außereuropäischen Kulturen fördern, die in der Gegenwartskunst schon eine wichtige Rolle spielen. In einer ähnlichen Richtung arbeitet auch das Haus der Kulturen der Welt, mit dem wir uns abstimmen werden.

Welche Rolle soll die Gegenwartskunst in der Stiftung insgesamt künftig spielen?

Bei der Bedeutung, die die Zeitgenössische Kunst in der heutigen Gesellschaft hat, stehen wir in der Pflicht, hier ein Zeichen zu setzen. Wir wollen den Hamburger Bahnhof zu einem Zentrum der Gegenwartskunst ausbauen und auch Berliner Künstlern dort verstärkt eine Auftrittsfläche bieten. Langfristig soll die Kunst der 60er, 70er, 80er Jahre ans Kulturforum umziehen und die Gemäldegalerie ihr neues Domizil an der Museumsinsel bekommen. Wir müssen Zentren schaffen, klare profilierte Museumsquartiere. Und wenn Berlin eine Kunsthalle  baut, dann sollte diese möglichst im Umfeld des Hamburger Bahnhofs liegen, um am neuen Hauptbahnhof mit seiner großartigen, modernen Architektur und den Galerien in der Nachbarschaft ein Zentrum zu bilden.

Friedrich Christian Flick hat der Stiftung jüngst über 160 aktuelle Kunstwerke  zum Geschenk gemacht.

Das ist eine der größten Schenkungen, die die Staatlichen Museen je bekommen haben. Das war ein großartiges Zeichen und ein Glücksfall für die Stiftung, für Berlin und für Deutschland. Der über 7 Jahre laufende Vertrag, seine umfangreiche Sammlung in Berlin zu zeigen, wird sicher verlängert werden.

Unlängst war eine Delegation der Stiftung in der Golfregion. Gibt es dort konkrete Projekte? Guggenheim und Louvre planen spektakuläre Dependancen in Abu Dhabi, die ihnen viele Millionen Euro einbringen werden.

Das war eine erste Sondierungsreise, gemeinsam mit den Museumsdirektoren von Dresden und München, flankiert vom Auswärtigen Amt. Es gibt Gespräche mit Abu Dhabi, aber auch mit anderen Orten, hier aktiv zu werden. Allerdings nicht in der Größenordnung wie Guggenheim oder Louvre und auch nicht mit deren Strategie. Natürlich sind auch für uns Einnahmen wichtig. Aber wir sollten auch in weniger wohlhabende Länder gehen, in denen es ebenfalls ein großes Interesse an europäischer Kunst gibt, dazu braucht es klare außenkulturpolitische Ziele. Über Kunst und Kultur kann man Brücken bauen. Ich war vor kurzem im Jemen, wo man großes Interesse an einer Ausstellung über deutsche Kunst äußerte. Wenn wir den Dialog mit der islamischen Welt ernst nehmen, dann müssen wir dort auch Wissen über die europäische Kultur verbreiten.

Ihnen liegt besonders das wissenschaftliche Potenzial der Stiftung am Herzen. Doch die Personaldecke ist dünn.

Man könnte überlegen, ob man die Ausstellungsaktivitäten ein wenig reduziert, doch entscheidend ist ein anderer Punkt: Die Stellenkürzungen, denen alle Bundeseinrichtungen seit Jahren unterliegen, auch im Wissenschafts- und Kulturbereich, müssen enden. Viele große Kultur- und Forschungsinstitutionen arbeiten personell am Anschlag. Fast alle Museen wollen ihren Forschungsaspekt stärken, denn ihre Aufgaben sind bewahren, sammeln, ausstellen und erforschen. Wir müssen uns aber noch stärker in den Drittmittelkampf stürzen, wir brauchen Kooperationen mit Universitäten und anderen Forschungsinstitutionen. Ich habe kürzlich mit dem Direktor des Museum of Modern Art New York gesprochen: Wir wollen gemeinsame Ausstellungen, Forschungsprojekte und Austausch von Kuratoren.

Stichwort Beutekunst. Wie wird es hier weitergehen? Man setzt große Hoffnungen in ihre Kontakte, ihre russischen Sprachkenntnisse, ihre Erfahrungen als Archäologie vor Ort.

Das kann letztlich nur auf höchster politischer Ebene entschieden werden. Eine Chance gibt es immer. Aber die Sache wird nicht einfacher, weil ich mich mit den Kollegen in ihrer Sprache unterhalten kann und viele gute Kontakte zu Wissenschaftlern habe. Aber ich könnte damit vielleicht die Grundlagen für eine mögliche spätere Lösung voranbringen. Russische und deutsche Wissenschaftler sollen gemeinsam Transportlisten auswerten, wir beabsichtigen ein Kuratorenaustauschprogramm. Und es ist eine große Ausstellung geplant mit dem Arbeitstitel „1000 Jahre gemeinsam: Russland und Deutschland“. Das war eine russische Idee. Wir wollen die Geschichte, nicht nur die politische, bis in die Jetztzeit darstellen und deutlich machen, wie viele Gemeinsamkeiten Russland und Deutschland trotz der Kriege des 20. Jahrhunderts haben. Es  soll ein Bewusstsein entstehen, dass unsere leidvolle Geschichte nicht das einzige ist, was uns verbindet. Deutschland und Frankreich haben heute ein Verhältnis, das sich unsere Elterngeneration nicht vorstellen konnte. Russland und Deutschland sollten eine ähnliche Beziehung anstreben.

Sie haben vor ihrem Amtsantritt angekündigt, auch weiterhin als Archäologe aktiv sein zu wollen. Sehen Sie das immer noch?

Ich hoffe. Es ist ja nicht notwendig, dass ich zwei Monate lang vom ersten bis zum letzten Tag neben der Grabung stehe, insofern bin ich optimistisch. Die Wissenschaft wird für mich nicht ganz verschwinden. Es ist ein anderes Denken, und wenn ich mir das erhalten kann, ist es sicher auch für meine Tätigkeit als Präsident der Stiftung gut.

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG, 13. März 2008
© für Text und Fotos: Elke Linda Buchholz




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Michael Bienert
Elke Linda Buchholz
Stille Winkel in
Potsdam


Ellert & Richter Verlag

Hamburg 2009

ISBN:
978-3-8319-0348-1

128 Seiten mit
23 Abbildungen und Karte Format: 12 x 20 cm; Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: 12.95 EUR

 



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