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KULTURMENSCHEN I HERMANN PARZINGER

Archäologie als Leistungssport

Von Elke Linda Buchholz

Wuchtige Tische, wandhohe Bücherschränke, holzvertäfelte Wände und Eichenparkett: Das riesige Arbeitszimmer von Hermann Parzinger im Deutschen Archäologischen Institut könnte würdevoller nicht sein. Vor fast hundert Jahren hat der Architekt Peter Behrens die klassizistische Villa für den Direktor der Berliner Antikensammlung entworfen. Aus großen Fenstern geht der Blick in einen arkadengesäumten Gartenhof, wo die Bronzeskulptur eines antiken Kugelspielers zum großen Wurf ausholt.

„Im Alltag vergisst man, dass es ein Privileg ist, hier zu arbeiten,“ sagt Hermann Parzinger, der seinen Chefsessel demnächst räumen wird. Gesprächsbereit und offen wirkt er, ein freundlicher Zeitgenosse mit dunklem Vollbart, sonnengebräunter Haut und markanten Zügen. Wenn er im kommenden März die Präsidentschaft der Stiftung Preußischer Kulturbesitz übernimmt, wird er 49 Jahre alt sein, fast zwanzig Jahre jünger als sein Vorgänger Klaus-Dieter Lehmann. Heute trägt er Anzug. Von Fotos kennt man ihn in wetterfester Outdoorkluft auf Grabungsexkursion im mongolischen Altaigebirge, wo er im vergangenen Jahr eine skythische Eismumie barg. „Da hat es im Sommer geschneit, jede Nacht unter null, man schläft im Schlafsack. Aber das muss man auf sich nehmen, wir hatten ja ein Ziel.“ Er spricht ruhig, mit einem sanft rollendem „R“, das seine Münchener Herkunft verrät. Keine Spur von professoraler Arroganz. Ihm traut man zu, mit Bauern in der mongolischen Steppe genauso auf Augenhöhe zu reden wie mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Der ist sein oberster Vorgesetzter, denn sein weltweit agierendes Institut untersteht dem Auswärtigen Amt. Wie politisch brisant die Altertumswissenschaft ist, zeigt ein Blick auf die Feldforschungen Parzingers: In Russland, Usbekistan und Kasachstan hat er ebenso gegraben wie im Iran oder in der Türkei. Das Institut unterhält Außenstellen in Teheran, Baghdad, Damaskus, Ulaanbaatar. Ohne internationale Kooperationen ist die archäologische Forschung heute undenkbar. „Wenn man dort als der typische Deutsche auftritt, der immer alles besser weiß, ist das schon mal ganz schlecht. Man muss eine gemeinsame Ebene finden, sich sehr stark mit Menschen auseinandersetzen. Das macht mir Spaß“, sagt Parzinger. Er versteht die Kunst, sich durchzusetzen, ohne dass der andere sich als Verlierer fühlt. 

Zugute kommt ihm dabei, dass er zehn Sprachen beherrscht, darunter Russisch, Serbokroatisch, Türkisch. Gemeinsam mit Kollegen aus Russland stieß er 2001 in Arzhan (Republik Tuva) auf seinen sensationellsten Fund: das 2500 Jahre alte Grab eines Skythenkriegers, ausgestattet mit Tausenden von Goldobjekten. Eine Sternstunde der Archäologie. „Der Schatzfund war pures Glück,“ sagt Parzinger: „Uns interessierte eigentlich vor allem die Architektur der riesigen Königskurgane, dieser fürstlichen Grabhügel. Denn es sind architekturgewordene Rituale: Sie geben uns Auskunft über soziale Hierarchien.“ Mehr als 100 000 Besucher haben seine große Skythen-Ausstellung in Berlin und München gesehen.

Parzinger ist ein Grenzgänger zwischen den Welten, zwischen West und Ost, zwischen Sprachräumen und Nationalitätengrenzen, zwischen computergestütztem Wissenschaftsbetrieb und uralten Steingräbern. „Ich bin Jahr vielleicht zwei Monate auf Grabung. Den Rest sitze ich am Schreibtisch. Das Schreiben ist ein Lebenselexier. Wenn ich nicht dazu käme, die Dinge zu durchdenken, wäre die Ausgrabungszeit verlorene Zeit.“

Das Interesse für Geschichte packte den 1959 in München geborenen Hermann Parzinger schon als Kind, auf Ferienreisen in Italien. Nach dem Abitur fiel ihm eine Broschüre über den Beruf des Archäologen in die Hände und Parzinger wusste: das ist es. Raus in die Welt, reisen, sich mit Geographie beschäftigen, Sprachen lernen, Entdeckungen machen, nicht nur die bekannten Denkmäler und Quellen interpretieren. „Eine archäologische Grabung kann unser Geschichtsbild völlig auf den Kopf stellen! Das fand ich sehr attraktiv.“

Mit sicherem Instinkt für wenig abgegraste Forschungsbereiche wählte Parzinger die Vor- und Frühgeschichte, eine Epoche, aus der sich keine schriftlichen Zeugnisse erhalten haben. „Am Institut in München war eine tolle Arbeitsatmosphäre, ungeheuer stimulierend, geradezu eine Offenbarung für mich, ganz anders als in der Schule.“ Bereits nach 9 Semestern war die Magisterarbeit fertig, parallel dazu die Dissertation in Arbeit. Mit 32 Jahren hatte sich Parzinger habilitiert und war in leitender Funktion im Deutschen Archäologischen Institut tätig. 1998 erhielt Parzinger die höchstdotierte deutsche Forschungsauszeichnung, den ersten Leibniz-Preis für einen Prähistoriker. Ein akademischer Überflieger, aber kein stromlinienförmiger. Anders als die Fachkollegen mochte Parzinger sich nie auf ein einziges Spezialgebiet festlegen. Das alte Idealbild eines Universalhistorikers schimmert durch, wenn Parzinger von seinen Forschungsschwerpunkten erzählt.

Als man 1995 einen Direktor für die neugegründete Eurasien-Abteilung suchte, war er gerade der richtige. Denn die Ostblockländer waren bis zum Fall des eisernen Vorhangs für deutsche Archäologen ein weißer Fleck auf der Landkarte. So kam Parzinger zu den Skythen, die ihn unverhofft in die Spitze der internationalen Archäologenzunft katapultierten. Als Präsident seines Instituts genießt er es, das gesamte Spektrum der Archäologie im Blick zu haben. Auch den Kollegen mutet er zu, die großen Fragen nicht aus den Augen zu verlieren. „Wie entwickeln sich politische Räume? Unter welchen Bedingungen entstehen Heiligtümer? In Südamerika, in China, in Griechenland: Wenn man das im globalen Maßstab vergleicht, ist man den Grundmechanismen menschlichen Handelns auf der Spur.“ Forschungscluster nennt man das neudeutsch. Nach Jahrzehnten extremer wissenschaftlicher Spezialisierung setzt Parzinger einen Paradigmenwechsel durch.

Der Prähistoriker entpuppt sich als Wissenschaftsmanager modernen Typs. In den knapp fünf Jahren als Institutschef hat er seiner alterwürdigen, vor über 175 Jahre gegründeten Anstalt eine Modernisierungskur verpasst, dass manchen Kollegen Hören und Sehen verging. Nicht nur die Effizienz der Verwaltung kam auf den Prüfstand. Statt sich über lästige Organisationsaufgaben zu ärgern, entdeckte Parzinger seine Aufgabe als kreative Herausforderung. Er ging daran, die Personalpolitik flexibler zu machen, das Forschungsprofil schärfer, die Außendarstellung zugkräftiger, die Kommunikation im Haus und zu den Geldgebern in der Politik offensiver. Manch einer dürfte froh sein, wenn der dynamische Präsident bald seinen Schreibtisch räumt.

Für sich selbst verbucht Parzinger diese Zeit als Gewinn: „Ich habe festgestellt, dass das eine sehr schöne Aufgabe ist. Das ist auch ein Stück Persönlichkeitsentwicklung.“ Jetzt weiß er, dass er so etwas kann. Und dass er es will.

Woher nimmt dieser Mann seine Energie? Im Büro liegt eine Judo-Zeitschrift zwischen Stapeln archäologischer Fachliteratur. In seiner Jugend war Parzinger Leistungssportler. Seit einigen Jahren trainiert er wieder und war schon mehr Berliner Meister, im Einzel und mit der Mannschaft. „Jogging wäre mir zu langweilig.“ Beim Kampfsport powert er sich aus, vergisst allen Stress und schätzt die sportliche Fairness: Es wird mit harten Bandagen gekämpft, aber danach gibt man sich in Freundschaft die Hand. Auseinandersetzungen auszuweichen ist - bei aller Konzilianz - nicht Parzingers Art.

Alleinerziehender Vater in Teilzeit ist er auch noch: immer dann, wenn seine Ehefrau, eine spanische Althistorikerin, während des Semesters an der Universität in Madrid ihre Vorlesungen hält. Dem väterlichen Verhältnis zur inzwischen 13jährigen Tochter hat das nicht geschadet. Aber gut organisiert muss man sein, um alles unter einen Hut zu bringen.

Jetzt steht der Wechsel an die Spitze der größten deutschen Kultureinrichtung bevor. Ob dann noch Zeit für archäologische Exkursionen in ferne Steppen bleibt? Alles eine Frage des Zeitmanagements: „Ich bin nicht der Typ, der sich im Sommer wochenlang ans Meer legt.“ Eher schon kann Parzinger sich vorstellen, seinen nächsten Jahresurlaub im Südosten Kazachstans zu verbringt. Dort gibt es ein paar Kurgane, die er gerne noch ausgraben würde.

Sein weltläufiges Verhandlungsgeschick und seine guten persönlichen Kontakte in Osteuropa wird Parzinger auch weiterhin gut brauchen können: Tausende Kunstobjekte aus ehemals preußischem Besitz lagern noch immer in den Depots russischer Museen: Beutekunst.

Die Sanierung der Berliner Museumsinsel hat Amtsvorgänger Lehmann bestens auf den Weg gebracht, aber es bleibt noch viel zu tun: „Das sind ja nicht nur Baumaßnahmen. Es geht ja auch um Inhalte.“ Das Pergamonmuseum als archäologisches Filetstück der Stiftung steht kurz vor der dringend überfälligen Generalsanierung. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Aufstellung der Objekte die gleiche bleiben wird wie bisher. Keine Dauerausstellung sollte 30 Jahren stehen, das kann nicht gut sein.“ Sein großer Traum ist es, das Humboldtforum im wieder aufgebauten Stadtschloss als neuen Ort für die außereuropäischen Sammlungen zu verwirklichen. Ihm Lebendigkeit und Strahlkraft zu geben für Besucher aus aller Welt. Die meisten vergleichbaren Museen, die er kennt, haben ihm nicht gefallen. Er will es besser machen, die Objekte kontextualisieren, Geschichten erzählen. „Dieser Aufgabe muss man sich stellen. Gemeinsam mit den Kollegen.“ Seine Ansprüche sind hoch, sein Ehrgeiz auch. „Wenn es in den normalen Trott hineingeht, dann lässt die Aktivität nach. Man muss immer eine bestimmte Spannung halten.“ Mit der Museumsruhe in den Häusern der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist es vorbei, wenn Hermann Parzinger seinen Schreibtisch wechselt.

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG, 5. Januar 2008
© für Text und Fotos: Elke Linda Buchholz


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Michael Bienert
Elke Linda Buchholz
Stille Winkel in
Potsdam


Ellert & Richter Verlag

Hamburg 2009

ISBN:
978-3-8319-0348-1

128 Seiten mit
23 Abbildungen und Karte Format: 12 x 20 cm; Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: 12.95 EUR

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