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Thomas Demand in der Neuen Nationalgalerie vor seinem Werk "Parlament"
(rechts)


AUSSTELLUNGSKRITIK THOMAS DEMAND NATIONALGALERIE

Das Bildgedächtnis der Republik

von Michael Bienert

Alles nur Papier und Pappe. Auf einigen Bildern von Thomas Demand sieht man sofort, dass dieser Künstler keine Realität abfotografiert, sondern Modelle, die er in seinem Berliner Atelier nachbaut und anschließend zerstört. Bei anderen erliegt man fast der Illusion: Stimmungsvoll bricht das Licht auf einem neun Quadratmeter großen Hochglanzfoto durch einen grünen deutschen Blätterwald. Auf einem ganz neuen Bild täuscht der leere Kanzlerstuhl auf der Regierungsbank im Bonner Bundestag unseren Wahrnehmungsapparat. Aus einigem Abstand scheint es sich um ein dokumentarisches Foto zu handeln, beim Nähertreten glaubt man an ein hyperrealistisches Gemälde und von ganz nah gibt es gar keinen Zweifel, dass die Stuhlbespannung aus grauem Papier besteht.

Der Betrachter sieht sich auf sich selbst zurückverwiesen, auf die eigenen Bilder im Kopf. Wie mischen sie sich in unsere Wahrnehmung ein? Wo kommen sie überhaupt her? Warum denken zumindest die Älteren sofort an den Selbstmord des Ministerpräsidenten Uwe Barschel, wenn man ihnen einen Badezimmerauschnitt aus einer bestimmten Perspektive zeigt, obwohl doch von einer Leiche auf dem Foto nichts zu sehen ist? Der 1964 geborene Thomas Demand hat unser von gemeinsamen Erfahrungen und Medienbildern geprägtes Bildergedächtnis zum Gegenstand seiner Kunst gemacht.

Zwingend gehört so jemand in ein Museum der Hauptstadt, das den Namen Nationalgalerie geerbt hat. Udo Kittelmann, seit diesem Jahr neuer Museumsdirektor, setzt mit seiner ersten Ausstellung im gläsernen Kubus des Mies-van-der-Rohe-Baus ein Aufbruchssignal. „Nationalgalerie“ ist der lapidare Titel der Ausstellung, die 40 Bilder von Thomas Demand nach Motiven der jüngeren Geschichte präsentiert: das nüchterne Treppenhaus eines modernen Nachkriegsschulbaus, die Umkleidekabine eines Fußballplatzes, einen Zeichensaal oder das Studio der Rateshow „Was bin ich?“

Wie Ansichten menschenleerer Bühnenbilder schweben die Motive vor grau gefältelten Theatervorhängen aus edlem Wollstoff. Die Architekten Adam Caruso und Peter St. John haben damit Räume geschaffen, in denen die Irritation der Wahrnehmung durch Demands Bilder nachwirken kann. Udo Kittelmann will den Ort auch künftig für Ausstellungen reservieren, die in dieser Form anderswo gar nicht möglich wären. Diesen hohen Anspruch löst die Präsentation ein.

Eine weitere Überraschung ist die Öffnung des modernen Kunsttempels für die Literatur. In den Bildräumen von Thomas Demand gibt es keine Schrift, selbst wenn darin Schilder oder Akten zu sehen sind. Er verzichtet auf Bildtitel, die eine bestimmte Interpretation nahe legen. Die Ansicht eines verwüsteten Behördenzimmers evoziert Erinnerungen an die gestürmte Stasizentrale in Berlin, heißt aber lapidar: „Büro“. Botho Strauß, eine Generation älter als Thomas Demand, hat zu allen ausgestellten Bildern Texte verfasst, die in respektvollem Abstand zu den Großfotos in Vitrinen ausliegen. Die Dichterworte drängen sich nicht vor, sie wollen die Wahrnehmung der Bilder nicht engführen, sondern eine zusätzliche Lesart anbieten. So ist in dem Text von Strauß zu „Büro“ überhaupt nicht von der Stasi die Rede, sondern ganz generell vom Verlust der individuellen Erinnerung, die durch das Anwachsen technischer Erinnerungsspeicher im 21. Jahrhundert drohe: „Der Erinnernde...wird als Phänotyp ausgeschaltet“.

Die unaufdringliche Anwesenheit der Texte in der Ausstellung regt die Nachdenklichkeit stärker an als übliche Formen der Betextung, gerade weil man das zivilisationskritische Räsonnement und das Prätentiöse in der Sprache von Strauß nicht einfach abnicken kann. „Die Blüte einer Sprengung öffnete sich, das Jähe schlug ein in die gewöhnliche Stunde“: So blumig klingt Bombenterror aus  Dichtermund.

ERSTDRUCK: STUTTGARTER ZEITUNG VOM 24. September 2009

Bis 17. Januar 2010. Das Künstlerbuch zur Ausstellung ist im Verlag Steidl Mack erschienen, Preis 35 Euro

Bilder von Thomas Demand, Öffnungszeiten und weitere Informationen auf der Homepage zur Ausstellung >>>




© Text und Fotos: Michael Bienert
















 














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