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Johann Erdmann Hummel, Die Schachpartie (Ausschnitt), 1818-20  

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Magische Sachlichkeit

Spieglein, Spieglein an der Wand: Niemand hat im frühen 19. Jahrhundert vertracktere Licht- und Schattenspiele in verspiegelten Bildräumen konstruiert als der Berliner Malerprofessor Hummel. Die Berliner Nationalgalerie feiert ihn als magischen Realisten, hundert Jahre vor dem Triumphzug der Neuen Sachlichkeit.


Von Michael Bienert


Als der Maler Johann Erdmann Hummel im Frühjahr 1799 nach einem siebenjährigen Studienaufenthalt in Italien in seine Heimatstadt Kassel zurückkehrte, wurde er nicht mit offenen Armen empfangen. Um sich als Hofmaler zu empfehlen, arbeitete er an einem großformatigen Bild, das die Gegend um Schloss Wilhelmshöhe als ideale Parklandschaft darstellte. Hirten, Bürger und Adelige bevölkern das Panorama, in dem eine tief stehende Nachmittagssonne die hügelige Landschaft besonders plastisch erscheinen lässt und der Herkules am Horizont im blauen Dunst verschwimmt. Doch das mit größter Raffinesse komponierte und filigran gemalte Bild mochte der Landgraf von Hessel-Kassel nicht ankaufen. Erst 1968 wurde es für die Kasseler Kunstsammlungen erworben.


Wilhelmshöhe

 

Von Kassel nach Berlin

 

Recht unauffällig hängt dieses Hauptwerk der Kasseler Zeit nun in der Alten Nationalgalerie in Berlin, die Hummel die erste große Retrospektive seit fast 100 Jahren widmet. Der Fokus liegt hier auf der Entwicklung, die Hummel nach dem Abschied von seiner Heimatstadt in Preußen genommen hat. Mit Anfang Dreißig kam er nach Berlin, ein halbes Jahrhundert lebte, arbeitete und lehrte Hummel an der Spree, ehe er 1852 hochbetagt mit 83 Jahren starb. Er war demnach ein Zeitgenosse Caspar David Friedrichs, dessen Ikonen romantischer  Malerei – wie der „Mönch am Meer“ und die „Abtei am Eichwald“ – im Oberlichtsaal nebenan das Publikum fesseln. Beide Maler erregten im frühen 19. Jahrhundert maximales Aufsehen in den Kunstausstellungen, die die Berliner Akademie regelmäßig ausrichtete. Doch anders als dem Popstar Caspar David Friedrich war Hummel postum nur bescheidener Ruhm beschieden.

 

Die ewige Schüssel

 

Dass Hummel heute in Berlin überhaupt noch einen Namen hat, verdankt sich vor allem einem einzigen Motiv. Als Maler begleitete Hummel um 1830 den Entstehungsprozeß der riesigen Granitschale, die vor Schinkels Altem Museum im Lustgarten steht. Die 75 Tonnen schwere Riesenschüssel aus märkischem Granit galt seinerzeit als kunsthandwerklich-technologisches Weltwunder und vaterländisches Symbol. Hummel schuf mehrere Bilder, in denen der Koloss im Mittelpunkt steht. Auf seiner berühmtesten Stadtansicht spiegeln sich Spaziergänger, Lustgarten und Schloss in der auf Hochglanz polierten Oberfläche der Schale. So unverrückbar wie der Trumms auf der Museumsinsel steht, so unverzichtbar schmückt dieses Gemälde Hummels die Dauerpräsentation von Berliner Malerei des 19. Jahrhunderts in der Nationalgalerie. Ein One-Hit-Wonder, welches fast das gesamte übrige Oeuvre Hummels in den Schatten stellt.


Schale

 

Ein vergessener Champion?

 

Zu Unrecht, versichert die Ausstellungskuratorin Birgit Verwiebe und rühmt Hummel als „hidden champion“ der Malerei des 19. Jahrhunderts. Mit ihrer großen Retrospektive unternimmt die Nationalgalerie einen dritten Anlauf, der auch als „Perspektiv-Hummel“ bespöttelten Künstlerpersönlichkeit Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. 1904 hatte der Museumsdirektor Hugo von Tschudi drei Werke des fast vergessenen Malers für die Nationalgalerie erworben und damit seine Wiederentdeckung angestoßen. Tschudis Nachfolger Ludwig Justi widmete Hummel 1924 eine Gedächtnisausstellung. Sie fiel in die Zeit des Übergangs der zeitgenössischen Berliner Großstadtmalerei vom Expressionismus zur Neuen Sachlichkeit. In diesem Kontext wurden Hummels Raumkonstruktionen, seine Dingwelten und Porträts neu wahrgenommen. Zumindest suggeriert das die aktuelle Ausstellung, die eine Handvoll Werke der Neuen Sachlichkeit unter die Hummelschen Bilder mischt.

 

Je komplizierter, desto lieber

 

Tatsächlich schlägt bereits in Hummels Malerei das Interesse an der Welt des objektiv Sichtbaren in eine Art Hyperrealismus mit magischer Wirkung um. Die Berliner Ausstellung erlaubt spannende Einblicke in die Konstruktion solcher Bildwelten, indem sie verschiedene Versionen von Werken mit Vorstudien zusammenführt. Bei den Granitschalen-Bildern etwa war Hummel daran interessiert, die Farbigkeit des Granits unter verschiedenen Lichtverhältnissen einzufangen. Obsessiv hat er sich mit Licht und Schatten, Spiegelungen und Reflexen auf Materialoberflächen befasst. Erstmals sind beide Versionen des Auftragswerks „Die Schachpartie“ in einer Ausstellung zu sehen. Sie zeigen einen Berliner Freundeskreis in einem von Kerzen und Mondlicht erhellten Innenraum. Aus der Distanz glaubt man zweimal exakt das gleiche Motiv zu sehen, beim Nähertreten jedoch fallen zahllose Details ins Auge, die den Bildraum in der späteren großen Fassung noch vertrackter wirken lassen. Rechts montiert der Maler einen zweiten Spiegel ins Bild, der eine Lampe und eine durchscheinende Glasflasche verdoppelt und einen Kaminofen im Rücken des Betrachters sichtbar macht. Eine Gardine fehlt in der späteren Fassung, damit sich die Anwesenden auch in der Glasscheibe spiegeln können. Das neu hinzukomponierte zarte Muster der Wandtapete wird durch durch Lichtreflexe und Schatten zusätzlich belebt. Und das Auge des Hundes, der unbeteiligt neben der Herrenrunde um das Schachbrett steht, beginnt aus einer Schattenzone heraus unheimlich zu leuchten.

 

Optische Forschungen

 

Hummel muss einen nerdhaften Riesenspaß an der Lösung komplizierter malerischer Probleme gehabt haben. Er konnte das in Berlin zu seinem Beruf machen: Seit 1809 lehrte er als Professor für Perspektive, Optik und Architektur an der preußischen Akademie der Künste. Er verfasste mehrere Lehrbücher und bildete den künstlerischen Nachwuchs aus, ohne eine Schule zu begründen. Dabei attestierte ihm der Bildhauer und Akademiepräsident Johann Gottfried Schadow, das Niveau der Berliner Malerei merklich gehoben zu haben. Hummel selbst wurde nicht müde, sich immer kompliziertere Aufgaben zu stellen. Als Siebzigjähriger malte er ein achteckiges Spiegelkabinett, in dessen Wandspiegeln sich Figuren, Säulen und Fenster ins Unendliche vervielfältigen. Leider ist dieses Werk ein Kriegsverlust, nur ein Foto ist überliefert. Es eröffnet als Großfoto in einem spiegelnden Oktogon die Ausstellung, die insgesamt 45 Gemälden und 50 Zeichnungen umfasst. Im Nachbarraum mit den Granitschalen-Bildern schlägt ein Werk Olafur Eliassons von 2015 eine Brücke zu Gegenwartskunst. Mitten in eine Berliner Stadtansicht hat Eliasson einen runden Glaskörper montiert. Darin steht eine Stadtsilhouette auf dem Kopf steht und zugleich spiegelt sich darin das Ausstellungspublikum. Wie Hummel studiert Eliasson optische Phänomene mit wissenschaftlicher Akribie und gründete in Berlin ein eigenes Forschungsinstitut.


ausst

 

Inspiration für E. T. A. Hoffmann und Eichendorff

 

Die Ausstellung zeigt Hummel als vielseitig begabten Künstler, der sein beachtliches Talent in viele Richtungen spielen ließ. Er hinterließ anmutige Naturstudien, manche Landschaften erinnern den fast dreißig Jahre jüngeren Maler Carl Blechen. Bei seinen Porträts orientierte sich Hummel an der älteren niederländischen Malerei. Sein maltechnischer Perfektionismus kühlte die Motive aus – hier wagt die Ausstellung den direkten Vergleich mit Christian Schads neusachlichem Porträt des Schriftstellers Ludwig Bäumer vor einem Spiegelkabinett aus dem Jahr 1927.

 

Wie stellt man die Dynamik einer Schaukel oder einen Moment der Stille während einer Musikaufführung dar? Auch solche Bildtthemen haben Hummel gereizt. Der Dichter und Komponist E. T. A. Hoffmann war so fasziniert von Hummels Darstellung zweier Musikerinnen in einer italienischen Kneipe, dass er seine Erzählung „Die Fermate“ um das Motiv spann. Eichendorff kannte die Erzählung und Hummels Bild, beide zitiert er in seiner Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“. Inzwischen hat sich in der Münchner Neuen Pinakothek der literarische Titel „Die Fermate“ als Titel für das Hummel-Gemälde etabliert, das ursprünglich „Gesellschaft in einer italienischen Locanda“ hieß.

 

Mit seinen Zeitgenossen teilte Hummel die Italienbegeisterung. Deutlich weniger fühlte sich der Wahlberliner zu christlicher Frömmigkeit, romantischer Innerlichkeit, Ritter- und Burgenromantik hingezogen. Wie den Dichter E. T. A. Hoffmann inspirierte ihn viel mehr die Magie des großstädtischen Lebens: der Kerzenschein auf den Gesichtern einer Berliner Abendgesellschaft oder die Spiegelungen von Passanten in einer Pfütze vor einem Modegeschäft am Schlossplatz.

 

Magische Spiegelungen

Johann Erdmann Hummel

Alte Nationalgalerie

Staatliche Museen zu Berlin
Museumsinsel Berlin
Bodestraße 1-3
10178 Berlin 

 

22. Oktober 2021 – 20. Februar 2022

Geöffnet Di-So 10-18 Uhr


Ein umfangreicher Katalog mit einem Werkverzeichnis der Gemälde ist im Sandstein Verlag erschienen.

 

Ausstellungswebsite: https://hummelinberlin.de/












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Michael Bienert
Das romantische Berlin
Literarische Schauplätze
Verlag für Berlin-Brandenburg, 2021
184 Seiten, 171 Abbildungen, 25 Euro
Verlagsinformationen

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Michael Bienert
E. T. A. Hoffmanns
Berlin. Literarische Schauplätze
Verlag für Berlin-Brandenburg, 2. Auflage, 2021, 176 Seiten, 193 Abbildungen, 25 Euro
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