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Johann Erdmann Hummel,
Die Schachpartie (Ausschnitt), 1818-20 |
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Magische Sachlichkeit
Spieglein, Spieglein an der
Wand: Niemand hat im frühen 19. Jahrhundert
vertracktere Licht- und Schattenspiele in
verspiegelten Bildräumen konstruiert als der
Berliner Malerprofessor Hummel. Die Berliner
Nationalgalerie feiert ihn als magischen
Realisten, hundert Jahre vor dem Triumphzug
der Neuen Sachlichkeit.
Von
Michael Bienert
Von
Kassel nach Berlin Recht
unauffällig hängt dieses Hauptwerk der Kasseler Zeit
nun in der Alten Nationalgalerie in Berlin, die Hummel
die erste große Retrospektive seit fast 100 Jahren
widmet. Der Fokus liegt hier auf der Entwicklung, die
Hummel nach dem Abschied von seiner Heimatstadt in
Preußen genommen hat. Mit Anfang Dreißig kam er nach
Berlin, ein halbes Jahrhundert lebte, arbeitete und
lehrte Hummel an der Spree, ehe er 1852 hochbetagt mit
83 Jahren starb. Er war demnach ein Zeitgenosse Caspar
David Friedrichs, dessen Ikonen romantischer
Malerei – wie der „Mönch am Meer“ und die „Abtei am
Eichwald“ – im Oberlichtsaal nebenan das Publikum
fesseln. Beide Maler erregten im frühen 19.
Jahrhundert maximales Aufsehen in den
Kunstausstellungen, die die Berliner Akademie
regelmäßig ausrichtete. Doch anders als dem Popstar
Caspar David Friedrich war Hummel postum nur
bescheidener Ruhm beschieden. Die
ewige Schüssel Dass
Hummel heute in Berlin überhaupt noch einen Namen hat,
verdankt sich vor allem einem einzigen Motiv. Als
Maler begleitete Hummel um 1830 den Entstehungsprozeß
der riesigen Granitschale, die vor Schinkels Altem
Museum im Lustgarten steht. Die 75 Tonnen schwere
Riesenschüssel aus märkischem Granit galt seinerzeit
als kunsthandwerklich-technologisches Weltwunder und
vaterländisches Symbol. Hummel schuf mehrere Bilder,
in denen der Koloss im Mittelpunkt steht. Auf seiner
berühmtesten Stadtansicht spiegeln sich Spaziergänger,
Lustgarten und Schloss in der auf Hochglanz polierten
Oberfläche der Schale. So unverrückbar wie der Trumms
auf der Museumsinsel steht, so unverzichtbar schmückt
dieses Gemälde Hummels die Dauerpräsentation von
Berliner Malerei des 19. Jahrhunderts in der
Nationalgalerie. Ein One-Hit-Wonder, welches fast das
gesamte übrige Oeuvre Hummels in den Schatten stellt.
Ein
vergessener Champion? Zu
Unrecht, versichert die Ausstellungskuratorin Birgit
Verwiebe und rühmt Hummel als „hidden champion“ der
Malerei des 19. Jahrhunderts. Mit ihrer großen
Retrospektive unternimmt die Nationalgalerie einen
dritten Anlauf, der auch als „Perspektiv-Hummel“
bespöttelten Künstlerpersönlichkeit Gerechtigkeit
widerfahren zu lassen. 1904 hatte der Museumsdirektor
Hugo von Tschudi drei Werke des fast vergessenen
Malers für die Nationalgalerie erworben und damit
seine Wiederentdeckung angestoßen. Tschudis Nachfolger
Ludwig Justi widmete Hummel 1924 eine
Gedächtnisausstellung. Sie fiel in die Zeit des
Übergangs der zeitgenössischen Berliner
Großstadtmalerei vom Expressionismus zur Neuen
Sachlichkeit. In diesem Kontext wurden Hummels
Raumkonstruktionen, seine Dingwelten und Porträts neu
wahrgenommen. Zumindest suggeriert das die aktuelle
Ausstellung, die eine Handvoll Werke der Neuen
Sachlichkeit unter die Hummelschen Bilder mischt. Je
komplizierter, desto lieber Tatsächlich
schlägt
bereits in Hummels Malerei das Interesse an der Welt
des objektiv Sichtbaren in eine Art Hyperrealismus mit
magischer Wirkung um. Die Berliner Ausstellung erlaubt
spannende Einblicke in die Konstruktion solcher
Bildwelten, indem sie verschiedene Versionen von
Werken mit Vorstudien zusammenführt. Bei den
Granitschalen-Bildern etwa war Hummel daran
interessiert, die Farbigkeit des Granits unter
verschiedenen Lichtverhältnissen einzufangen. Obsessiv
hat er sich mit Licht und Schatten, Spiegelungen und
Reflexen auf Materialoberflächen befasst. Erstmals
sind beide Versionen des Auftragswerks „Die
Schachpartie“ in einer Ausstellung zu sehen. Sie
zeigen einen Berliner Freundeskreis in einem von
Kerzen und Mondlicht erhellten Innenraum. Aus der
Distanz glaubt man zweimal exakt das gleiche Motiv zu
sehen, beim Nähertreten jedoch fallen zahllose Details
ins Auge, die den Bildraum in der späteren großen
Fassung noch vertrackter wirken lassen. Rechts
montiert der Maler einen zweiten Spiegel ins Bild, der
eine Lampe und eine durchscheinende Glasflasche
verdoppelt und einen Kaminofen im Rücken des
Betrachters sichtbar macht. Eine Gardine fehlt in der
späteren Fassung, damit sich die Anwesenden auch in
der Glasscheibe spiegeln können. Das neu
hinzukomponierte zarte Muster der Wandtapete wird
durch durch Lichtreflexe und Schatten zusätzlich
belebt. Und das Auge des Hundes, der unbeteiligt neben
der Herrenrunde um das Schachbrett steht, beginnt aus
einer Schattenzone heraus unheimlich zu leuchten. Optische
Forschungen Hummel
muss einen nerdhaften Riesenspaß an der Lösung
komplizierter malerischer Probleme gehabt haben. Er
konnte das in Berlin zu seinem Beruf machen: Seit 1809
lehrte er als Professor für Perspektive, Optik und
Architektur an der preußischen Akademie der Künste. Er
verfasste mehrere Lehrbücher und bildete den
künstlerischen Nachwuchs aus, ohne eine Schule zu
begründen. Dabei attestierte ihm der Bildhauer und
Akademiepräsident Johann Gottfried Schadow, das Niveau
der Berliner Malerei merklich gehoben zu haben. Hummel
selbst wurde nicht müde, sich immer kompliziertere
Aufgaben zu stellen. Als Siebzigjähriger malte er ein
achteckiges Spiegelkabinett, in dessen Wandspiegeln
sich Figuren, Säulen und Fenster ins Unendliche
vervielfältigen. Leider ist dieses Werk ein
Kriegsverlust, nur ein Foto ist überliefert. Es
eröffnet als Großfoto in einem spiegelnden Oktogon die
Ausstellung, die insgesamt 45 Gemälden und 50
Zeichnungen umfasst. Im Nachbarraum mit den
Granitschalen-Bildern schlägt ein Werk Olafur
Eliassons von 2015 eine Brücke zu Gegenwartskunst.
Mitten in eine Berliner Stadtansicht hat Eliasson
einen runden Glaskörper montiert. Darin steht eine
Stadtsilhouette auf dem Kopf steht und zugleich
spiegelt sich darin das Ausstellungspublikum. Wie
Hummel studiert Eliasson optische Phänomene mit
wissenschaftlicher Akribie und gründete in Berlin ein
eigenes Forschungsinstitut.
Inspiration
für E. T. A. Hoffmann und Eichendorff Die
Ausstellung zeigt Hummel als vielseitig begabten
Künstler, der sein beachtliches Talent in viele
Richtungen spielen ließ. Er hinterließ anmutige
Naturstudien, manche Landschaften erinnern den fast
dreißig Jahre jüngeren Maler Carl Blechen. Bei seinen
Porträts orientierte sich Hummel an der älteren
niederländischen Malerei. Sein maltechnischer
Perfektionismus kühlte die Motive aus – hier wagt die
Ausstellung den direkten Vergleich mit Christian
Schads neusachlichem Porträt des Schriftstellers
Ludwig Bäumer vor einem Spiegelkabinett aus dem Jahr
1927. Wie
stellt man die Dynamik einer Schaukel oder einen
Moment der Stille während einer Musikaufführung dar?
Auch solche Bildtthemen haben Hummel gereizt. Der
Dichter und Komponist E. T. A. Hoffmann war so
fasziniert von Hummels Darstellung zweier Musikerinnen
in einer italienischen Kneipe, dass er seine Erzählung
„Die Fermate“ um das Motiv spann. Eichendorff kannte
die Erzählung und Hummels Bild, beide zitiert er in
seiner Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“.
Inzwischen hat sich in der Münchner Neuen Pinakothek
der literarische Titel „Die Fermate“ als Titel für das
Hummel-Gemälde etabliert, das ursprünglich
„Gesellschaft in einer italienischen Locanda“ hieß. Mit
seinen Zeitgenossen teilte Hummel die
Italienbegeisterung. Deutlich weniger fühlte sich der
Wahlberliner zu christlicher Frömmigkeit, romantischer
Innerlichkeit, Ritter- und Burgenromantik hingezogen.
Wie den Dichter E. T. A. Hoffmann inspirierte ihn viel
mehr die Magie des großstädtischen Lebens: der
Kerzenschein auf den Gesichtern einer Berliner
Abendgesellschaft oder die Spiegelungen von Passanten
in einer Pfütze vor einem Modegeschäft am
Schlossplatz. Magische Spiegelungen Johann Erdmann Hummel
Staatliche Museen zu Berlin 22.
Oktober
2021 – 20. Februar 2022 Geöffnet
Di-So
10-18 Uhr
Ausstellungswebsite:
https://hummelinberlin.de/ |
Michael Bienert Das romantische Berlin Literarische Schauplätze Verlag für Berlin-Brandenburg, 2021 184 Seiten, 171 Abbildungen, 25 Euro Verlagsinformationen Michael Bienert E. T. A. Hoffmanns Berlin. Literarische Schauplätze Verlag für Berlin-Brandenburg, 2. Auflage, 2021, 176 Seiten, 193 Abbildungen, 25 Euro Verlagsinformationen |
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