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Barbetrieb in der "Tronkaburg" hinter dem Maxim-Gorki-Theater

THEATERKRITIK


Das Käthchen von Heilbronn von Heinrich von Kleist. Premiere am Maxim-Gorki-Theater am 4. November 2011. Regie: Jan Bosse. Mit Anne Müller, Joachim Meyerhoff, Matti Krause, Rith Reinecke, Albrecht A. Schuch und der Puppentheatergruppe "Das Helmi".

Kleist-Festival
rund um das Maxim-Gorki-Theater und das Centrum Hungaricum Berlin, 4. bis 21. November 2011, Programm unter www.gorki.de


Gulaschsuppe im Kleistpark

von Michael Bienert

Im Heckengarten der Tronkaburg dampfen Kessel über offenem Feuer, es wird Glühwein ausgeschenkt und eine sehr scharfe und dünne Suppe, die ein ungarisches Gulasch sein soll. Nebenan in der Burg lärmen die Zecher. Eine schöne milde Novembernacht in Berlin. Wann kommt Michael Kohlhaas, der Rächer Kleists, und lässt die Burg in Flammen aufgehen?

Er hätte leichtes Spiel, denn die Tronkaburg ist eine zwar imposante, aber doch nur aus alten Theaterkulissen zusammengenagelte Holzbude hinter dem Maxim-Gorki-Theater. Den labyrinthischen Burggarten hat das Künstlerduo Franz Höfner und Harry Sachs aus militärischen Tarnnetzen gebaut. Ihr „Kleistpark“ steckt voller ironischer Anspielungen auf Motive des Dichters. Bis zum 200. Todestag am 21. November 2011 findet in dem  Themenpark mit mehreren Spielstätten ein großes Kleistfestival statt. Die hölzerne Burg bietet reichlich Platz für die Vortragsreihe „Kleist im Diskurs“ und „Fachbesuche“ von Kriminalisten, Erdbebenforschern, Juristen und Psychiatern. In klaustrophobischen Kellergängen des Theaters ist eine Videoinstallation der Filmemacher Harun Farocki und Antje Ehrmann sehen, zusammengeschnitten aus Kriegsfilmen. Im schrammeligen Dachgeschoss wartet die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi auf Besucher, die ihren Lieblingstext von Kleist vor der Kamera lesen wollen.
 
Zum Kleistpark gehört auch das nahe ungarische Kulturinstitut. In Ungarn genießt der preußische Dichter – man höre und staune – geradezu Kultstatus. Der ungarischen Kleistforscher  László Földényi (Foto links) ist Stichwortgeber für viele Veranstaltungen. So kommt es, dass Bundestagspräsident Norbert Lammert am morgigen Dienstag im Collegium Hungaricum über Kleists gescheiterte Karrierepläne im Staatsdienst spricht. Eine Videoinstallation an der Fassade des Kulturinstituts (Foto ganzunten) zeigt Kleist ab Einbruch der Dunkelheit als überlebensgroßen Engel, der mit einer Laterne das Dunkel erleuchtet.
Ja, neben all den Medien- und Diskursexperimenten mit Kleist wird tatsächlich auch noch Theater gespielt. Das vom künftigen Stuttgarter Theaterintendanten Armin Petras geleitete Maxim-Gorki-Theater präsentiert das komplette Dramenwerk in alten und neuen Inszenierungen. Der Regisseur Jan Bosse machte den Anfang mit dem „Käthchen von Heilbronn“. Vorab ließ er verlauten, dass er das Stück für nicht sehr gelungen hält. Mit seinem großen historischen Ritterschauspiel habe Kleist den Erfolg als Dramatiker erzwingen wollen, deshalb funktioniere des überladene Stück hinten und vorne nicht. Doch es ist Kleistjahr und so muss auch dieses Werk irgendwie auf die Bühne.

Jan Bosse und die Dramaturgin Gabrielle Bußacker
während der Lichtprobe vor dem Bühnenbild


Bosse seinerseits will den Erfolg  erzwingen, indem er dem Stück erst alle verdächtige Romantik austreibt und es dann mit Spässchen, Mätzchen, Puppenspiel, Pyrotechnik, Schaumbad und sonstigen Budenzauber zu einem Bühnenspekakel aufbrezelt. Das hat Bosse allerdings auch schon besser gemacht. Die alles beherrschende Figur ist ein Graf Wetter vom Strahl, der nicht mehr sein darf als ein tumber Rittersmann in rasselnder Rüstung. Joachim Meyerhoff gibt mit seiner enormen physischen Präsenz den Haudegen, Grobian, Großsprech, Kindskopf und Gefühlskrüppel, einen furchtbar lächerlichen Ritter von trauriger Gestalt.

Zu zärtlichen Gefühlen für Käthchen ist dieser Kriegsmann nicht in der Lage, sein Begehren drückt sich in geilem Gestammel aus. Im dem berühmten  „Käthchen, Mädchen“-Monolog legt Meyerhoff die Betonung so penetrant auf das Wort „Erguss“, dass alle andere Sehnsuchtsformeln nur noch wie verlogenes Beiwerk klingen. Damit ist – schon am  Anfang des zweiten Aktes – der Abend gelaufen: Dieses Mannsbild bleibt so hohl wie seine Rüstung. Da steckt inwendig rein gar nichts, worum man in den noch folgenden drei Stunden bangen oder worauf man hoffen könnte.

Armes Käthchen! Mit wachsender Resignation rennt Anne Müller gegen diesen Panzer an. Kein zartes Mädchen, sondern eine knabenhafte Person mit weißblonder Kurzhaarfrisur. Käthchen weiß selbst nicht, wie ihr geschieht, als rätselhaft Getriebene zieht sie hinter dem Geliebten her. In einer trostlosen Bühnenwelt klammert sie sich an ihren Traum, dass dieser Ritter sie einst heiraten wird. Es gibt ja auch nichts sonst, was hier Halt geben könnte. Am Ziel aber wirkt sie erst recht verloren. Mit diesem groben Klotz an der Seite ist doch alles ganz anders als in dem Traum. Als der Ritter von Strahl das Käthchen als Braut in die Arme schließen will, seufzt sie „Schütze mich Gott und alle Heiligen!“ – und ist plötzlich durch einen Theatertrick spurlos verschwunden. Aufatmen: Es gibt doch noch Götter und Regisseure, die am Ende Gnade walten lassen.

Käthchens Gegenspielerin Kunigunde (Sabine Waibel) ist eine Verführungsmaschine, die blitzschnell die Kostüme und die Haarfarbe wechselt. Matti Krause, Ruth Reinecke und Albrecht Schuch teilen sich alle übrigen Rollen souverän mit den drei Puppenspielern der Gruppe „Das Helmi“. So rettet ein geflügelter Engel aus weißen Schaumstoffabfällen das todesmutige Käthchen aus der brennenden Burg von Thurneck. Der Bühnenbildner Stéphane Laimé hat einen Gestängewürfel mit Theatervorhängen mitten auf die Drehbühne gestellt, der sich geschwind in alle benötigen Schauplätze verwandeln lässt.
Die Aufführung passt in das ganze Kleistspektakel drumherum. Oberflächlich hält sie sich ans Kleists Text, lässt sich aber nicht wirklich darauf ein. Sie macht viel Wind um den Kleist, ohne ihn als Dramatiker ernst zu nehmen. So aber bleibt fraglich, warum man sein Stück heute überhaupt noch spielen muss.

Nach diesem Muster funktionieren viele Projekte in diesem Kleistjahr, das die Bundeskulturstiftung mit 2,3 Millionen Euro gefördert hat. Es wird munter alles Mögliche ausprobiert, angeblich um die Anschlussfähigkeit des Projektemachers Kleist an die Gegenwart zu beweisen. In Wahrheit dient sein großer Name aber dann doch nur der Legitimation eigener Beliebigkeit. Gewiss, am Ende des Jahres wird niemand mehr in Abrede stellen können, dass man mit Kleist heute ganz viel anfangen kann. Aber wer überzeugt uns, dass man es auch muss?

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 4. November 2011


Der Engel Kleist an der Fassade des Collegium Hungaricum

© Text und Fotos: Michael Bienert







Michael Bienert
Mit Brecht durch Berlin
Insel Verlag it 2169
272 Seiten
Mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 3-456-33869-1
10 Euro








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