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![]() Im Schorfheideviertel in
Marzahn
GARTENWELTEN I 10 PROJEKTE IN MARZAHN-HELLERSDORF „In weiter Ferne, so nah“ – Rede von Michael Bienert zur Ausstellungseröffnung in der Berliner BDA Galerie am 12. September 2011 Sehr geehrte Damen und Herren, danke für die Einladung, ein paar einführende Sätze zu dieser Ausstellung zu sprechen, trotz meiner beschränkten Kompetenz: Ich bin weder Landschaftsplaner noch Akteur noch Betroffener aus Marzahn und Hellersdorf. Ich habe trotzdem spontan zugesagt, weil ich um einen unabhängigen Blick von außen gebeten wurde. Und weil Marzahn einer der Orte war, an denen ich gelernt habe, meinem persönlichen Zugang zu unbekannten Räumen in der Stadt zu vertrauen. Als ich angefangen habe, über Berlin zu schreiben, im Sommer 1990 muss es gewesen sein, schickte mich eine „taz“-Redakteurin mit einem Reportageauftrag nach Hellersdorf und Marzahn. Ich sollte ein Bezirksporträt für einen Berlin-Reiseführer schreiben, denn die Mauer war überraschend gefallen. Ich hatte so eine Art von Text noch nie geschrieben, ich war so weit im Osten von Berlin noch nie gewesen. Als jemand, der seit 1977 in West-Berlin lebte, lag mir diese ostdeutsche Lebenswelt so fern wie Wladiwostock. Wie die meisten Westmenschen fand ich die Hochhäuser und die breiten Magistralen in Marzahn auf den ersten Blick unwohnlich und unwirtlich, kam aber zu meinem Glück auf die Idee, einfach unangemeldet ins Rathaus von Marzahn zu gehen und zu fragen, ob mir nicht jemand etwas über das Leben in diesem Neubauviertel erzählen könne. Obwohl sich das Rathaus in innerer Auflösung befand – alle schienen damit beschäftigt, ihre Büros zu räumen – fand sich sofort ein willige Gesprächspartnerin, denn in dieser Übergangszeit des Jahres 1990 war es ganz normal, dass plötzlich wildfremde Leute aus dem anderen Teil der Stadt irgendwo auftauchten und was wissen oder angucken wollten. Die junge Mitarbeiterin, die sich um mich kümmerte, zerstörte sofort meinen Eindruck, in einer lebensfeindlichen Trabantenstadt gelandet zu sein. Sie erzählte von vielen jungen Familien, die aus stinkenden Altbauwohnungen freudig und stolz in die Platte gezogen waren. Von Eltern, die ihre Kinder in Gummistiefeln zur Kita brachten, weil die Straßen zwischen den Wohnblocks oft noch nicht fertig waren. Und von gemeinsamen Arbeitseinsätzen mit dem Ziel, die Umgebung der Wohnblocks zu begrünen und mit Bäumen zu bepflanzen. Das geschah vielfach ohne behördliche Vorplanung, daher können Sie sich als Ortsfremder in Marzahn heute noch vielerorts zwischen Rasenhügeln, Hecken und Obstbäumen verirren. Das Bedürfnis, die Großsiedlung zu verschönern, sich gemütlich darin einzurichten und sich zu beheimaten, schlug einem vor 20 Jahren aber auch von den Fassaden der Wohnblocks entgegen: Anders als in westdeutschen Großsiedlungen duldete die kommunale Wohnungsverwaltung, dass die Bewohner ihre reichlich vorhandenen Balkone höchst individuell bemalten, ausbauten und begrünten: So brachten sie das öde Raster der Fassaden zum Sprechen. So paradox es klingt: Die sanierten, überarbeiteten, farbig aufgehübschten Fassaden der sogenannten Eierkisten sehen heute vielfach uniformer aus als fünf oder zehn Jahre nach dem Erstbezug. Ich kann Ihnen daher als Augenzeuge versichern: Der Stadtumbau Ost hat in Marzahn nicht erst 2002 angefangen – seitdem gibt es das gleichnamige Programm des Bundes und der Länder – sondern schon Ende der 1970er Jahre. Natürlich sind die Prämissen inzwischen andere: In DDR-Zeiten gab es zum relativen Komfort des Wohnens in der Platte wenig echte Alternativen, die Bevölkerung in Marzahn war relativ jung – zwei Drittel der Bewohner jünger als 26 Jahre -, es gab kein Arbeitslosigkeit in der heutigen Form. Die Großsiedlungen hatten nach der Wende mit Wegzug, Leerstand und dem Altern ihrer Bevölkerung zu kämpfen. Das erfordert neue Methoden der Steuerung und Planung. In diesen Kontext gehören auch alle 10 Projekte, die in dieser Ausstellung gezeigt werden: Immer geht es dabei letztlich darum, langfristig die Wohn-, Aufenthalts- und Lebensqualität für die Bewohner in den Großsiedlungen zu verbessern. In meinen Augen schreiben sie damit einen Prozess fort, der schon vor 35 Jahren begann, als die Erstbewohner von Marzahn versuchten, die Fehler und Mängel des industrialisierten, normgerechten Großsiedlungsbaus zu korrigieren. Das Grundproblem ist immer noch dasselbe: Das Abfallprodukt der großmaßstäblichen Planungs- und Bauweise sind riesige Zwischenräume, die nach Gestaltung verlangen und Pflege erfordern. Davon war die DDR-Planwirtschaft völlig überfordert, aber auch die heutige Stadtverwaltung tut sich damit schwer – die Grünflächenämter und Wohnungsbaugesellschaften waren bisher nicht in der Lage, diese Riesenflächen in einen einzigen großen Park oder Garten zu verwandeln. Das Problem hat sich im demographisch schrumpfenden Berliner Osten sogar noch verschärft: Seit 1999 sind in Marzahn-Hellersdorf durch den Abriss von etwas 130 Kitas, Schulen und anderen Gemeinschaftseinrichtungen etwa 80 Hektar neue Freiflächen entstanden. Typisch für den Bezirk sind fußballfeldgroße Wiesenbrachen, auf denen (wahrscheinlich aus versicherungstechnischen Gründen) nichts steht als ein Schild mit der Aufschrift: „Privatgelände. Betreten verboten“. ![]() Was am Branitzer Karree im kleineren Maßstab gelungen ist, nämlich ein identitätsstiftendes Zentrum zu schaffen, versuchte die Stadt Berlin im Großen am U-Bahnhof Hellersdorf. Bereits 1990 schrieben Senat und Magistrat gemeinsam einen städtebaulichen Wettbewerb für die „Helle Mitte“ aus, ein Bezirkszentrum vom Reißbrett mit allem, was dazugehört: U-Bahn-Anschluss, Rathaus, Einkaufspassagen, Fußgängerzone, Multiplexkino, Arbeitsamt, Ärztehaus, Oberstufenzentrum und Jugendzentrum. Neben dem Potsdamer Platz war die „Helle Mitte“ das zweitgrößte Berliner Bauprojekt in den 1990er Jahren. Dieses kapitalistisches Kunstherz für die Retortenstadt Hellersdorf funktioniert offensichtlich gut, so finden Sie dort alle großen Ladenketten, die auch in anderen Bezirkszentren vertreten sind, aber es wirkt gerade dadurch auch austauschbar. An den Rändern sind kleinere Brachen übrig geblieben, eine davon war der Peter-Weiss-Platz. ![]() ![]() ![]() Wenn Sie die Karte des Bezirks Marzahn-Hellerdorf in die Hand nehmen, dann sehen Sie, dass genau in der Mitte – an der Nahtstelle der Altbezirke – ein künstlicher Berg liegt, der früher den sprechenden Namen „Marzahner Kippe“ trug, heute Kienberg genannt wird. Am Fuß dieses Berges sah schon die DDR-Planung einen Erholungspark vor, dort wurde – zur 750-Jahr-Feier Berlins 1987 eine „Berliner Gartenschau“ veranstaltet, das war die Antwort der „Hauptstadt der DDR“ auf die Bundesgartenschau in Westberlin zwei Jahre zuvor. Nach der Wiedervereinigung wurde daraus der „Erholungspark Marzahn“ mit den “Gärten der Welt”. Mit dieser Parkanlage hat Marzahn-Hellersdorf etwas bekommen, was man überhaupt nicht genug rühmen und preisen kann: Es ist nicht nur geografisch oder funktional eine Mitte, sondern ein Ort von der Qualität, der einer menschlichen Ansiedlung eine Identität, eine Unverwechselbarkeit geben kann. Die “Gärten der Welt” sind inzwischen eine Attraktion für die ganze Stadt, sie haben eine große Zukunft als touristische Attraktion vor sich. Sie sind ein internationaler, multikultureller und spiritueller Ort – nicht nur, weil die einzelnen Gärten etwas über die Religionen der Herkunftsländer erzählen, sondern weil dieses Mit- und Nebeneinander der kulturellen Aussagen durch das Medium Garten insgesamt eine ganz starke Botschaft darstellt. Was hier entsteht, ist das Sanssouci im Osten der Hauptstadt, das Sanssouci des beginnenden 21. Jahrhunderts, das Sanssouci nicht einer Herrscherfamilie, sondern einer demokratisch und multiethnisch verfassten Millionenstadt. ![]() Der besondere Charme der “Gärten der Welt” im Ganzen besteht aber nun gerade nicht darin, dass sie eine im großen Stil durchgeplante Anlage wären, sondern ganz im Gegenteil: Der Erholungspark ist erkennbar und fühlbar ein Patchwork, ein Kollektivwerk, in dem sich verschiedene planerische Ideen verwirklichen und überlagern. Die vielstimmige Poesie der Gärten der Welt ist – um einen Begriff aus der literarischen Romantik aufzunehmen – Sympoesie: Es gibt eine kosmopolitische Vielzahl von geistigen Urhebern, die ihre Spuren hinterlassen haben. Dadurch ist diese Anlage viel komplexer und reicher als alles, was sich ein Masterplaner alleine hätte ausdenken können. Die vier nach dem Orientalischen Garten realisierten Projekte aus den “Gärten der Welt” in dieser Ausstellung dokumentieren eine Rückbesinnung auf die europäischen Traditionen der Gartenkunst und sie zeigen auch den Mut, diese Traditionen zeitgenössisch zu interpretieren und transformieren. So knüpft der Karl-Foerster-Staudengarten von Johannes Schwarzkopf und Christian Meyer an die modernen Reformvorstellungen des frühen 20. Jahrhunderts an, genau dort, wo dies schon zu DDR-Zeiten angelegt worden ist. Es ist eine sehr unprätentiöse Anlage mit einer geometrisierten Mitte, umgeben von einem Laubwaldrand, einem offenen Gehölzsaum, einem Steingarten und einer Heidelandschaft – ein Garten für den zweiten Blick, dessen Besonderheit sich nicht so rasch erschließt wie bei den exotischen Gärten, aufgrund der Vertrautheit, die wir inzwischen mit dieser Art der Gartengestaltung haben; und dessen Qualitäten sich – auch das knüpft an Foerster an – recht eigentlich erst in der Langzeitbeobachtung der Vegetation erschließen. Noch nicht ganz fertig ist die Süderweiterung in Form eines Landschaftparks (von Rehwaldt Landschaftarchitekten), die einen schönen gleitenden Übergang schafft zwischen dem angrenzenden Wuhletal und der exotischen Binnenwelt des chinesischen Gartens. Bisher endete dieser Themengarten ziemlich abrupt an einem Zaun, jetzt wird man durch eine für die Gegend typische Feuchtwiesenlandschaft herangeführt und dezent auf deren Qualitäten und Schönheiten aufmerksam gemacht. ![]() ![]() Was jeder dort sehen kann, ist die enorme Verantwortung, die der Landschaftsarchitektur in Quartieren zufällt, deren gebaute Architektur austauschbar und ausdruckslos geworden ist. Es reicht ganz offenbar nicht aus, den Raum dawischen einfach nur bedarfsgerecht und pflegeleicht zu gestalten, also in der Logik weiterzumachen, die den industriell gefertigten DDR-Großsiedlungen zugrunde lag. Die ästhetische und intellektuelle Armut der Architektur werden Sie nicht überwinden, indem sie bloß über Funktionsverbesserung nachdenken. Sie müssen mit ganz neuen Ideen und Gestaltungswillen in so ein Quartier hineingehen, wenn Sie einen wirklichen Qualitätssprung erreichen wollen – oder Sie müssen diese überschießenden Ideen mit den Anwohnern gemeinsam entwickeln, wie das zum Beispiel beim Schorfheideviertel gelungen ist. Mich freut es zu sehen, dass alle in dieser Ausstellung vertretenen Büros und Auftraggeber die Chance dazu genutzt haben, den im fernen Berliner Osten reichlich vorhandenen Raum schöpferisch zu nutzen: Ich bin ganz sicher, Ihr Einsatz, Ihre Experimentierfreude und Ihr Mut zur Fantasie nützen auf längere Sicht nicht nur den Bewohnern dort, sondern der ganzen Stadt. ■ AUSSTELLUNG "In weiter Ferne, so nah..." Neue Freiräume in Marzahn und Hellersdorf. Ausstellung des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekten, Landesgruppe Berlin, in der BDA Galerie, Mommsenstraße 64, 10629 Berlin. Geöffnet vom 13. bis 24. September 2011 jeden Montag, Mittwoch, Donnerstag um 10 bis 15 Uhr und nach telefonischer Voranmeldung. Eintritt frei. ■ STADTSPAZIERGÄNGE zu den Projekten am 17. und 18. September 2011, Treffpunkte und Programm unter www.bdla.de ■ LITERATURHINWEISE Michael Bienert: Naher und Ferner Osten. Die Gärten der Welt in Marzahn. In: Ders.; Stille Winkel in Berlin, Hamburg 2008, S. 108-116. Michael Bienert: Relais zur Gegenwart. Rede zur Ausstellung "Der geschriebene Garten" in der Stuttgarter Weißenhof-Galerie am 9. Februar 2011, dokumentiert auf www.text-der-stadt.de Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf (Hg.): Im Wandel beständig. Stadtumbau in Marzahn-Hellersdorf. Berlin 2007. ■ LINKS ZU DEN PROJEKTEN BRANITZER KARREE PETER-WEISS-PLATZ NEUE STADTWIESEN SCHORFHEIDEVIERTEL KIEZPARK GÄRTEN DER WELT ORIENTALISCHER GARTEN KARL-FOERSTER-GARTEN SÜDERWEITERUNG RENAISSANCEGARTEN CHRISTLICHER GARTEN ■ COPYRIGHT © Text und Fotos: Michael Bienert |
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