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Carl Blechen: Vorfühling Villa Borghese, 1829  

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Der Romantiker als Expressionist

Wie Max Liebermann Carl Blechen kuratierte: Eine Ausstellung in der Liebermanvilla verfolgt Blechens Rezeption bis in die NS-Zeit. 


Von Elke Linda Buchholz

Kein anderer Zeitgenosse ließ das Licht so heftig und ungebremst strahlen wie Carl Blechen in seinen Mini-Ölskizzen aus Italien. Kaum postkartengroß sind die Formate bisweilen. Dafür steckt die Intensität des erlebten Moments drin. Sonne pur! Auf ockerfarbenen Felsen, auf Blattwerk, auf dem Rasen vor der Villa Borghese, die winzig klein zur Randerscheinung wird. Da hat ein eigensinniger Maler hingeschaut und umgesetzt, was er sah. Genau das faszinierte Max Liebermann. Er fand, Blechen sei damit „das Einfachste und daher Schwerste“ gelungen.

 

Auf dem Höhepunkt seiner Anerkennung als Malerstar des deutschen Impressionismus kuratierte der frisch gebackene Präsident der Berliner Akademie der Künste seine erste Ausstellung: eine Retrospektive Carl Blechens. Das Begleitheft listete 120 Werke auf, nebst einem selbst verfassten Einleitungstext von Liebermann. Mindestens fünf Blechen-Werke besaß er selbst, in seinem Haus am Pariser Platz und in seiner Villa am Großen Wannsee. Dort gruppieren sich jetzt an die 30 Gemälde und ein paar Zeichnungen zu einer kleinen, feinen Blechen-Retrospektive. Sie rekonstruiert nicht die Liebermann-Schau, kann aber vergleichbare Motive aufbieten. Hauptleihgeber ist die Carl-Blechen-Sammlung im Fürst-Pückler-Museum Cottbus. Winters bleibt deren Stammsitz Schloss Branitz geschlossen. So durften die ausgewählten Werke mitsamt ihrer gespeicherten Sonnenenergie an den Wannsee ausweichen.

 

Kein Wunder, dass der Impressionist Liebermann diesen Lichtzauberer liebte. Er stellte Blechen in eine Reihe mit dem Franzosen Jean-Baptiste Camille Corot, der als Pionier der Plein-Air-Malerei die Schule von Barbizon mitbegründete. Tatsächlich gleichen manche von Blechens auf transportable Papptafeln gepinselte Ölskizzen aus Italien frappierend den Studien des Zeitgenossen. Sie alle eroberten sich damals mit dem Malen im Freien eine neuen, freieren Zugriff auf die Wirklichkeit und experimentierten mit helleren Farben als je zuvor in der Landschaftsmalerei. Für Liebermann war das, klar, der Weg zum Impressionismus. Er sah sich als Erbe des früh verstorbenen Blechen, zumal sein eigener Lehrer Carl Steffeck ja selbst dereinst bei Blechen gelernt hatte. Bis zum Professor für Landschaftsmalerei und Akademiemitglied brachte es der in Cottbus geborene Künstler, der als Bankangestellter in Berlin begann, bevor er zum Pinsel griff und von Schinkel protegiert wurde. Seine kleinen Ölskizzen galten zu Lebzeiten nicht als ausstellungswürdige Werke. Dafür stürzte sich die Kunstöffentlichkeit um die Jahrwende mit Begeisterung darauf. „Max Liebermann gibt uns den modernen Blechen“, jubelte der Kritiker Julius Elias 1921 in seiner Rezension. Jetzt, 100 Jahre später, hat sich der Blick wiederum gewandelt. Romantiker oder Impressionist? Carl Blechen passt in keine Schublade. Seine Landschaftsbilder sind für viele Zugriffe offen. Und Lucy Wasensteiner, seit Februar 2020 Direktorin der Liebermann-Villa am Wannsee, erzählt die Geschichte ein Kapitel weiter.

 

Denn nicht nur Max Liebermann, auch Adolf Hitler und Hermann Göring schätzten Blechen. Unter den Frühwerken im ersten Raum der Ausstellung prangt eine kapitale „Winterlandschaft mit Kieferngruppe“ von 1823. Dramatisch beleuchtet kämpft sich darauf ein Mann mit Kind auf verschneitem Weg durch die Nacht. Das Gemälde wurde 1939 für das geplante Führermuseum in Linz erworben. Heute ist es im Besitz der Bundesrepublik, der Vorbesitzer wird noch gesucht. Vor allem solche feinmalerisch ausgeführten, deutschen Sujets passten ins NS-Kunstkonzept. Gotische Ruinen, klappernde Mühlen, deutscher Wald: die nationale Lesart der Romantik wurde auch bei Blechen fündig. Die von der internationalen Moderne geprägte Sicht des frankophilen Liebermann auf den südlich inspirierten Maler war nun passé. Auch in Cottbus, wo die Stadtväter seit 1913 eine phänomenale Sammlung ihres berühmten Sohns zusammentrugen, setzte man nun, in der Ankaufspolitik der NS-Zeit, verstärkt auf deutsche Motive: zwei Beispiele sind ausgestellt.

 

Als einzige Leihgabe nicht aus Cottbus, sondern aus einer Privatsammlung kommt „Höhenzug mit blauen Schatten“, 13 mal 24 Zentimeter klein. Weit fliegt der Blick über sanfte Hügel, der Himmel ist hoch, das Bild an den Rändern unvollendet: eine fragmentarisch gebliebene Momentaufnahme von miniaturhafter Schärfe. Max Liebermann erwarb das Stück von seinem Galeristen Paul Cassirer. Wie es später in die Hände der Nationalsozialisten gelangte, ist unklar. Beschlagnahmt? Veräußert von Liebermanns Witwe Martha, die zunehmend drangsaliert wurde und sich 1943 das Leben nahm, um ihrer Deportation nach Theresienstadt zu entgehen? Auf jeden Fall sollte auch dieses Bildchen dem Führermuseum einverleibt werden. 2012 wurde das Werk an Liebermanns Erben restituiert. Die feingemalte Oberfläche ist von unzähligen feinen Rissen durchzogen. Das fragile Ölbild hat einiges mitgemacht. Ob es überhaupt von Blechen gemalt wurde, gilt heute als fraglich. Zu feinmalerisch die Pinselführung, zu fernglasartig der panoramatische Weitblick. Aber einerlei: Für Liebermann war es ein Blechen.

 

„Carl Blechen. Das Einfachste und daher Schwerste“

Liebermann-Villa am Wannsee

Bis 24. Januar 2022

Täglich außer dienstags 11-17 Uhr

Infos









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Das romantische Berlin
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Berlin. Literarische Schauplätze
Verlag für Berlin-Brandenburg, 2. Auflage, 2021, 176 Seiten, 193 Abbildungen, 25 Euro
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