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MUSEEN
I TÜRCKISCHE CAMMER IN DRESDEN


Halbmond über Elbflorenz


von Elke Linda Buchholz

Über eine Million Dönertüten haben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresdens bedrucken lassen. Denn nicht nur die alleingesessenen Bildungsbürger Deutschlands sollen mitbekommen, dass die sächsische Hauptstadt um ein Highlight reicher ist. Wenn übermorgen die "Türckische Cammer" im Residenzschloss eröffnet wird, dann ist auch die türkischstämmige Bevölkerung einladen, in den neu eingerichteten Sälen die Schätze ihrer Herkunftsregion zu entdecken. 240 türkische Familien haben sich für das Eröffnungswochenende angemeldet. Auch Bundesaußenminister Westerwelle und sein türkischer Kollege Ahmet Davutoğlu reisen zum Festakt an. 

Die Türckische Cammer, deren Name auf das 17. Jahrhundert zurückgeht, ist alles andere als ein kleines Kämmerchen. Auf 750 Quadratmetern breiten sich 600 Objekten aus, die größtenteils seit 70 Jahren nicht zu sehen waren: eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen osmanischer Kunst. Doch hier erwarten einen keine islamischen Kalligrafien, Miniaturmalereien oder Keramiken. Die Türckische Cammer ist in erster Linie eine Waffenkammer, bestückt mit goldglitzernden Prunkschwertern, Damaszenerklingen, Streitäxten, Feuerwaffen und Janitscharenfahnen. Die seit dem 16. Jahrhundert von Kurfürsten und Königen zusammengetragene Sammlung erzählt von einem interkulturellem Austausch, der nicht nur friedlich vonstatten ging. Seit jeher war sie Teil der Rüstkammer. Nun bildet sie deren Vorhut beim Umzug aus dem Zwinger ins wiederaufgebaute Residenzschloss.

Aus nachtblauem Dunkel kommen einem im ersten Ausstellungsraum vier lebensgroße Pferde so machtvoll und lebendig entgegen, dass man fast zurückschreckt vor der Wucht ihres Auftritts. Aufgezäumt mit goldbeschlagenem Reitzeug und Prunksätteln lassen sie die Faszinationskraft und zugleich den Schrecken ahnen, den die türkischen Reiterheere auf die Westeuropäer ausübten. Die eigens aus Holz geschnitzten, naturalistischen Pferde bieten nicht nur einen prächtigen Schaueffekt, sondern schaffen im Dämmerlicht der perfekt entspiegelten Großvitrinen zugleich einen konservatorisch idealen Aufbewahrungsort für die fragilen Sättel, Schabracken und Zaumzeuge aus Leder, Samt und Seide. In Wandvitrinen blinken Prunkwaffen in Reih und Glied.

August der Starke hat diese Luxusobjekte nicht als Kriegsbeute nach Dresden verschleppt, wie häufig angenommen. Nur ein geringer Teil der Türckischen Cammer sei Beutegut, betont der Generaldirektor der Dresdner Kunstsammlungen Martin Roth. Stattdessen ließ August der Starke sämtliche im ersten Raum versammelten Objekte auf einer Ankaufsreise im osmanischen Reich erwerben, wie Sammlungskurator Holger Schuckelt in akribischen Forschungen herausfand. Augusts Mittelsmann Johann Georg Spiegel war 1712-14 in diplomatischer Mission unterwegs und hatte nebenbei eine wahrhaft fürstliche Einkaufsliste zu erledigen. Neben Prunkwaffen bestellte der Kurfürst mehrere Eunuchen, Musiker samt Instrumenten, Pferde, Teppiche, Zelte, Möbel, Wein und Süßigkeiten. Andere Stücke gelangten seit dem 16. Jahrhundert als diplomatische Geschenke etwa von den Medici-Großherzögen oder russischen Zaren an den Dresdner Hof.

Zwei der orientalischen Prunkzelte Augusts des Starken sind bis heute erhalten. Wie ein Traum aus tausendundeiner Nacht umfängt einen das riesige osmanische Staatszelt, zwanzig Meter lang und über fünf Meter hoch. Über und über ist das Inneren mit einem ornamentalen Paradiesgarten aus farbig applizierten Blüten, Blattranken, Früchten und goldenen Wolkenbändern verziert. 35 Restauratorinnen haben 6 Jahre lang in einem niedersächsischen Kloster daran gearbeitet, diesen märchenhaften Eindruck wiederherzustellen. Im Juni 1730 ließ August der Starke dieses prächtige Zelt zusammen mit tausend weiteren osmanischen Zelten im "Zeithainer Lustlager" bei Dresden aufschlagen, um eine groß angelegte Truppenschau mit 27.000 Soldaten und fürstlichen Gästen aus dem In- und Ausland zu veranstalten. Die gewaltige Zeltstadt erinnerte an das türkische Heerlager vor Wien 1683. Dort hatte der Vater Augusts des Starken, Kurfürst Johann Georg III., mit dem sächsischen Heer entscheidend zum Sieg über die Osmanen beigetragen. Sein Brustharnisch in der Ausstellung zeigt bis heute eine tiefe Delle, wo ihn eine osmanische Kugel ums Haar getötet hätte. August der Starke hingegen war bei seinen kriegerischen Aktionen gegen die Türken weniger erfolgreich. Umso lieber imaginierte er sich bei Festen und Paraden als machtvoller Sultan und sonnte sich im orientalischen Glanz seiner Prunksammlung. Für ihn war die Türckische Cammer vor allem ein Fundus für herrschaftliche Festinszenierungen. Das Gros der Textilien wurde dabei verschlissen: Nur zwei leuchtend rote Seidenkaftane samt Schuhen sind erhalten.

Wie neu glänzt der mit Saphiren und Diamanten geschmückte Krummsäbel aus dem 16. Jahrhundert, den August der Starke von seinem Hofjuwelier Georg Christoph Dinglinger überarbeiten ließ. Zahlreiche orientalisierende Stücke aus heimischer Fertigung zeugen von der Aneignung osmanischer Vorbilder. Ein Schimmel trägt - prächtiger als eine fürstliche Braut ausstaffiert - eine Prunkgarnitur, bei der jeder Zentimeter des Zaumzeugs und des Sattels "alla turca" mit Edelsteinen, Gold und Email verziert sind. Blutrote Granatsteine formen darauf den Namen des sächsischen Kurfürsten Christian II. Er gab das Luxusobjekt 1610 bei dem Prager Goldschmied Johann Michael in Auftrag. So dokumentiert die Türckische Cammer zweihundert Jahre Türkenmode, von den Anfängen bis ins späte 18. Jahrhundert.

Doch die blankgezogenen, messerscharfen Klingen auf den dunkelroten Seidenbespannungen lassen für keinen Moment vergessen, zu welchem Zweck sie ursprünglich geschaffen wurden. Sie sind todbringende Waffen - und zugleich zauberhafte, zierlich gearbeitete Kunstwerke! Bis heute bewahren sie den Reiz des Geheimnisvollen: Nur wer sich auf das Arabische versteht, kann die auf den Klingen eingravierten Koranzitate entziffern. Nur wer mit der islamischen Kultur vertraut ist, versteht Symbole wie die auf einer Fahne schwebende Hand Fatimas, der Tochter Mohammeds, als schützendes Zeichen zu deuten.

Könnte August der Starke heute durch die Säle wandeln, er wäre stolz auf seine Nachfahren. Sie haben nicht nur das Schloss, in dem er einst residierte, nach Kriegszerstörungen detailgenau wieder aufgebaut, sondern rücken nun auch seine Kunstschätze und Waffen wieder ins Licht der Öffentlichkeit. So gelingt dem starken August, den die Osmanen aufgrund seiner legendären Körperkraft "Na´lqiran", den "Hufeisenbrecher" nannten, was er schon zu Lebzeiten am liebsten tat: Die Zeitgenossen mit glitzernder Pracht zu beeindrucken.

Geöffnet täglich außer Dienstag 10-18 Uhr
Meisterwerke-Katalog, 176 S., Deutscher Kunstverlag, 24,90 Euro
Wissenschaftlicher Sammlungskatalog, 383 S., Sandstein Verlag, 39,90 Euro

www.skd-dresden.de

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 4. März 2010

© Text und Fotos: Elke Linda Buchholz



 

Das Dresdner Residenzschloss kehrt zurück


Schon zu DDR-Zeiten wurde der Wiederaufbau des im Krieg bis auf die Grundmauern ausgebrannte Residenzschlosses beschlossen, 2006 war der Außenbau weitgehend fertig. Portionsweise wird der Renaissance- und Barockbau mit dem markanten schwarz- weißen Sgraffitoschmuck im Großen Schlosshof nun im Inneren wieder zugänglich gemacht. Als erstes zog 2004 die Schatzkunst in die modern gestalteten Räume des "Neuen Grünen Gewölbes", 2006 eröffnete auch das rekonstruierte "Historische Grüne Gewölbe". Seit 2009 ist der Kleine Schlosshof als Foyer überdacht. Ende März 2010 wird die Englische Treppe freigegeben. Dann steht bis Ende 2011 die Wiederherstellung des barocken "Riesensaals" im Obergeschoss an, danach die Paraderäume und Audienzgemächer. Fünf Jahre, so die sächsische Kulturstaatsministerin Sabine von Schorlemer, wird es noch dauern, bis das Schloss fertiggestellt ist. 337 Millionen Euro sind für das gesamte Bauprojekt vom Land Sachsen veranschlagt, 248 Millionen bereits verbaut.

Jubliäumsjahr 2010

Die Dresdner Kunstsammlungen feiern 2010 ihr 450jähriges Bestehen. Am 18. April eröffnet dazu eine große Sonderausstellung im Residenzschloss, im Mai eine Schau zum 300. Jubiläum der Meißener Porzellanmanufaktur im Japanischen Palais. Den Höhepunkt bildet dann im Juni die Wiedereröffnung des generalsanierten Albertinums mit der Sammlung Neuer Meister. Der historische Bau erhält im Inneren mittels einer spektakulären Konstruktion neugeschaffene Depoträume unterm Dach.







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