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KULTURMENSCHEN I CORNELIA SCHLEIME

"Die Zeit fließt schneller als die Farbe..."

Von Elke Linda Buchholz

Sie fährt sich mit den Händen durchs blonde Haar, lacht und steckt sich gleich die nächste Zigarette an. Die 53jährige Malerin Cornelia Schleime ist eine quirlige Person. Grüne Schuhe mit orangefarbenen Knöpfen, Kniebundjeans und Zickzackstrümpfe, dazu eine elegante dunkelbunte Kostümjacke. Kurzer Pony, knallrote Lippen, schnell noch mal nachgezogen: eine Mischung aus Pippi Langstrumpf und Diva. Sie ist eine Großstadtpflanze, die sich selbst aufs Land verpflanzt hat, in ein winziges Kaff irgendwo nördlich von Berlin. Hier kann sie morgens einfach die Malhosen über den Schlafanzug ziehen und mit dem Pinsel loslegen. Oder die ganze Nacht malen. Im Sommer mit der Schubkarre im Garten herumfuhrwerken, die Brennnesseln mit den Wurzeln ausreißen, viermal im Jahr Kartoffeln ernten, zum Staunen der alteingesessenen Nachbarn. Letztes Jahr hat sie die kleine Schirmplatane gepflanzt, die so romantisch ihre Äste in den weiten märkischen Himmel reckt. Heute ist der Himmel grau, der Wind eisig. Die Idylle zeigt ihre Krallen. In der nahen Kreisstadt Neuruppin ist zum Monatswechsel mehr los als sonst, meinte der Taxifahrer: Die Hartz-IV-Empfänger aus den Dörfern holen ihr Geld ab. Dabei geht es Fontanes Geburtsstadt noch gut, Berlin liegt nur eine Autostunde entfernt, ein Dorf weiter wohnt der Kulturstaatssekretär der Hauptstadt.



Cornelia Schleime hat sich in einer zum Atelierhaus umgebauten Scheune eingenistet. Ein Klingelschild, wozu? „Meine Freunde“, sagt die Künstlerin, „kommen sowieso hinten übers Feld, über die Terrasse ins Atelier.“ Und von da übergangslos in den großen Wohnraum, der zugleich Küche und Musiksalon ist. Dieses Haus voller Winkel, Ecken und Kanten, mit der überraschend sich öffnenden, 7 Meter hohen Decke über dem großen Esstisch ist wie in ein Selbstbildnis der Künstlerin. Bestückt mit coolen Kunstleder-Freischwingern, kitschigen Jagdmotivkissen, afrikanischen Schnitzfiguren, ausgestopften Vögeln. Mittendrin steht ein schwarzer Konzertflügel. Die Tassen auf dem Tisch hat Schleime selbst bemalt, mit nackten Mädchen und weiblichen Zentauren, wie sie auch ihre Aquarelle bevölkern.

Neben der Eingangstür feixt auf großformatiger Leinwand der Papst als aufmüpfige Vaterfigur. Vis á vis räkelt sich keck ein Mädchenakt mit heruntergerutschtem Schlüpfer. Ein gemalter Riesen-Porree stößt fast an die Decke: Schleime malte ihn als Kommentar auf die New Yorker Hochhauskulisse, die sie als Stipendiatin erlebte. Überm Esstisch tritt aus waldiger Kulisse überlebensgroß ein „Falscher Hase“ im rotem Ballkleid, vor dem Schlafzimmer wacht Beagles Jackie in Öl, mit Jagdhundblick und apportiertem Fasan im Maul. Von jeder ihrer Bildserien behält Schleime ein Bild für sich. Wie sie ihre Motive in umfangreichen Folgen auslotet, wird im Juni diesen Jahres erstmals in einer großen Museumsretrospektive zu sehen sein. Im Juni zeigt die Kunsthalle Tübingen Schleimes Werk unter dem Titel „Meine Hand ist deine Bewegung“. Das titelgebende Gemälde hängt jetzt noch überm Sofa der Künstlerin: Verzweifelt presst eine Frau ihre behandschuhte Rechte an den Mund und schaut jemandem hinterher, der ihren (und unseren) Blicken längst entschwunden ist. Ein Abschied für immer, unfassbar.

Die anderen großen Leinwände ihrer neuesten Serie „Love Affairs“ lehnen noch mit dem Gesicht zur Wand im Atelier. Cornelia Schleime holt sie hervor, Gesichter in Naheinstellung, riesig wie Landschaften, Küsse, Paare, nah an nah. Unterschwellig blitzt Brutalität auf, Abgründiges grundiert die Zärtlichkeit, Dämonisches, Fieses, Unsagbares. Im Malen, erzählt sie, haben sich die Bilder unversehens verdüstert, fast schwarz sind manche Hintergründe jetzt. Geplant wird das nicht. Manchmal lässt Schleime Schellack über die Oberfläche ihrer Bilder fließen, das zerfrisst die Oberfläche und unterminiert die zu glatte Schönheit der Gesichter wie eine Hautkrankheit.

Momentan allerdings kommt sie kaum zum Malen. Fast täglich hat sie Interviewtermine, das Polit-Magazin Cicero war da, Hörfunk, Fernsehen, Lokalpresse. Alle wollen nur eins: über Schleimes Buch reden, ihren ersten Roman „weit fort“. Denn die Erzählung ist nicht so romantisch, wie das mit rosa Blüten umkränzte Mädchenantlitz auf dem Cover suggeriert. Es ist eine schonungslos präzise Liebesgeschichte, die den Leser unaufhaltsam in den Sog der vergessen geglaubten DDR-Vergangenheit zieht und dabei in jedem Moment absolut gegenwärtig bleibt. Dass Täter und Opfer von einst ja noch leben, vergisst man nach der Lektüre nicht mehr so leicht. Den Staat, den sie stützten oder hassten, haben beide überlebt.

Cornelia Schleime ist in der DDR geboren, hat in Dresden Kunst studiert, nach einigen Umwegen als Maskenbildnerin und Friseurlehre. Von Natur aus aufmüpfig probte sie Individualismus in jeder Form. Drehte experimentelle Super 8-Filme, trat als Sängerin einer Punkband auf, machte Körperkunst und Performances, malte Bilder, die sie nie ausstellen durfte. Denn kaum waren ihre ersten Arbeiten an die Öffentlichkeit gekommen, als die Stasi die Künstlerin ausbremste. Hintenrum erfuhr Cornelia Schleime von ihrem Ausstellungsverbot. Das war ein Jahr nach Ende des Studiums. Was kam war bleierne Zeit, wütender Aktionismus, Wir-Gefühl mit der Dissidenten-Boheme im Prenzlauer Berg. Als Schleime nach vier Ausreiseanträgen 1984 endlich in den Westen durfte, blieben ihre Bilder im Atelier zurück, unter Obhut ihres besten Freundes. Sie sind nie wieder aufgetaucht.

Jahre später erfuhr Schleime aus ihren Stasi-Akten, wer sie über all die Jahre bespitzelt und verraten hatte. Es war ihr bester Freund: Sascha Anderson. „Jeder Satellit hat einen Killersatelliten“ hieß sein erster Gedichtband. Der Impresario der Prenzlauer Berg-Szene hatte sein Doppelspiel so perfekt durchgezogen, dass niemand Verdacht schöpfte. Selbst Cornelia Schleime nicht. Er war ja ihr Freund. So hatte sie geglaubt. So steht es in ihrem Buch: „Aber sie beide bleiben ja. Bleiben Freunde, für immer.“
 
Klar, präzise rollt die Vergangenheit in Rückblenden vor den Augen des Lesers und seiner Protagonistin auf. Clara heißt sie. Sie ist Malerin, wie Schleime selbst. „Ihr Blick fällt durch das hohe Atelierfenster auf die Weite der Felder... Ihre Bilder sind in Arbeit, in letzter Zeit nur noch Jagdszenen.“ Bis ins Detail lässt sich das Autobiographische im Leben der Autorin verorten. Hier im Obergeschoss der Atelierscheune surft Clara an ihrem Computer im Internet und klickt mehr aus Langeweile als aus Leidensdruck eine Internetpartnerbörse an. Sie schlittert in ein kurzes, heftiges Abenteuer, das mit heftigem Email-Verkehr beginnt, und - kaum dass das virtuelle auch körperliche Realität wird - schon wieder vorbei ist. Denn Lover Ludwig, ein TV-Journalist aus der Wetterredaktion, verschwindet, als Clara beginnt, ihre Ostvergangenheit samt Verrat und Verletzung auszupacken. Von diesem Moment an lotet der Roman vorwärts und rückwärts, sammelt Verdachtsmomente, sichtet Irritationen, hortet Informationen: Sollte auch Ludwig ein Spitzel gewesen sein, ein größerer gar?

Es ist ein schmales Bändchen geworden. Für Überflüssiges hat CMP, wie sie ihre Bilder signiert, keinen Sinn. Freimütig erzählt Schleime davon, wie sie den Roman in drei Monaten heruntergeschrieben hat, wie in einem Rausch, nächtelang, tagelang.  Doch dann blitzen ihre Augen in Abwehr, ihr Ton wird eine Nuance schärfer: Nein, als Autobiografie will sie ihr Buch nicht verstanden wissen. Inwieweit dies alles wirklich passiert ist oder wieweit in ihrer Phantasie, das wird von ihr niemand erfahren. Überprüfen lässt sich die bittere DDR-Vergangenheit. Und daran ist nichts erfunden.

Ein Enthüllungsbuch ist es nicht, die Tatsachen sind ja bekannt. Es ist keine Antwort auf die poetisch verschwurbelte Autobiographie jenes Dichters und Stasizuträgers, dessen Namen Cornelia Schleime lieber gar nicht mehr nennen will, um seinem schwarzen Ruhm nicht noch zu mehren.

Brisant daran ist vor allem, wie diese Vergangenheit ihre Finger und Fäden bis in die Gegenwart erstreckt. Das zu sehen und nicht daran zu ersticken, ist der Kraftakt dieser Erzählung. Ihr nächstes Buch wird anders, sagt Schleime. Ganz anders. Mehr wird nicht verraten. Dann steigt sie in ihren Kombi, schaukelt über Feldweg und Schlaglochpiste auf die Landstraße und fährt zum Baumarkt, weil die Dusche tropft.

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG, 31. Mai 2008
© für Text und Fotos: Elke Linda Buchholz





 
Cornelia Schleime
Weit fort

Erschienen im Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2008 >

 



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