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NEUES MUSEUM I DER ARCHITEKT DAVID CHIPPERFIELD

Räume sind wichtiger als Bilder


von Michael Bienert

„Ich bin nicht der Schinkel des 21. Jahrhunderts“, hat der Architekt David Chipperfield in einem Zeitungsinterview klargestellt. Er fühle sich eher verunsichert von der Vorstellung, mit seinen Planungen für die Berliner Museumsinsel in die Fußstapfen des großen Baumeisters Schinkel und seines Nachfolgers August Stüler zu treten. Das von Chipperfield wiederhergestellte Neue Museum Stülers, seit dem Zweiten Weltkrieg eine Kriegsruine, wird an diesem Wochenende gewiss einen Besucheransturm erleben. Dabei steht der Bau noch ganz leer da. Erst im Herbst 2009 wird Nofretete einziehen.

Chipperfield ist überzeugt, dass die Berliner seine Rekonstruktion lieben lernen, trotz heftiger Kritik in den vergangenen Jahren. Der Brite hat die alte Pracht des Museumsbaus nicht vollständig wiederhergestellt, sondern nur die erhaltene Substanz teils behutsam, teils selbstbewusst ergänzt. Als Zerstörer des Neuen Museums wurde er deshalb beschimpft, so als sei das Museum nicht schon zu 70 Prozent im Krieg vernichtet worden. Chipperfield spricht von „historischer Ehrlichkeit“, die sich darin ausdrückt, dass die Kriegsverluste sichtbar bleiben.

Er hat Respekt vor seinen Vorgängern, vor dem Lauf der Geschichte, vor seinen Auftraggebern. Es passt nicht zu seinem zurückhaltenden Naturell, sich als Stararchitekt in den Vordergrund zu spielen. Ein Jahr lang hat er mit Museumsleuten, Denkmalpflegern und Mitarbeitern seines Büros über die Haupttreppe in der Mitte des Neuen Museums diskutiert, bis er alle auf seiner Seite hatte. In Anlehnung an Stülers Idee entstand eine strenge Neuschöpfung aus hellem, feinem Beton, unverkennbar Gegenwartsarchitektur, die jedoch mit größter Rücksichtnahme die alten Proportionen des Treppenhauses wiederherstellt. Ihre farblose Eleganz ist typisch für Chipperfields individuelle Architektenhandschrift.

Man kann sie auch in Marbach bewundern, wo er das Literaturmuseum der Moderne so behutsam in die Neckarlandschaft, neben das Schillermuseum und das Literaturarchiv gesetzt hat, dass alle Teile des Ensembles davon profitieren.
Chipperfield gelingt es wie wenigen Architekten, die Wünsche nach Wahrung einer lokalen Tradition, nach räumlicher Erweiterung und selbstbewusster Erneuerung zu versöhnen. Das hat ihn weltweit zu einem gefragen Museumsarchitekten gemacht. Im Dezember erst hat sein Büro den Wettbewerb für die Erweiterung des Kunsthauses Zürich gewonnen. In Essen vergrößert er das Museum Folkwang. Seit elf Jahren ist er mit den Planungen für die Berliner Museumsinsel beschäftigt, der Bau eines neuen Empfangsgebäudes steht noch aus: ein Lebenswerk.

Ein ähnlich sensibler Bauplatz wie die zum Weltkulturebe zählende Museumsinsel ist St. Michele, die Friedhofsinsel von Venedig, die nach Chipperfields Plänen erweitert wird. Weniger bekannt ist, dass er als Produktdesigner auch Möbel, Geschirr, Wasserhähne und Lampen entworfen hat. Schlichte, klare, benutzbare, elegante Objekte, die seine Liebe zur klassischen Moderne verraten. Wie auch die kühle Innenausstattung eines Orthopädiezentrums in München, der graue Kubus der Landeszentralbank in Gera oder das Ladengeschäft eines Herrenausstatters in seiner Heimatstadt London.

Der 1953 geborene Chipperfield sieht sich als Vertreter einer Generation, die aus den Fehlern der Moderne gelernt und aus dem „Desaster des Postmodernismus“,  einen Ausweg gefunden hat. Die Qualität des Bauens in Europa sei in den vergangenen 20 Jahren deutlich besser geworden, findet er. Gefährlich sei jedoch der wachsenden Druck auf die Architekten, möglichst werbewirksame Bauten für Firmen, Städte oder Museen abzuliefern. Zu oft gehe es nur noch um ihre Optik. Für Chipperfield steht, ganz altmodisch, das Erfinden von Räumen im Mittelpunkt des Entwurfsprozesses. Unabhängig von ihrer Dekoration sollen sie die Kraft besitzen, Menschen emotional anzusprechen. Seinen Studenten rät er: „Hört auf, Euch Bilder anzugucken, denkt lieber über Ideen nach!“

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG v. 7. März 2009



© Text und Fotos: Michael Bienert


 
Michael Bienert
Elke Linda Buchholz
Stille Winkel in
Potsdam


Ellert & Richter Verlag

Hamburg 2009

ISBN:
978-3-8319-0348-1

128 Seiten mit
23 Abbildungen und Karte Format: 12 x 20 cm; Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: 12.95 EUR

 



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