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AUSSTELLUNGEN
I ZWANZIGER JAHRE


Blick in die Mythenwerkstatt: Fritz Langs Metropolis und das Universum von George Grosz

von Michael Bienert

 
Einen besseren Ort für eine Ausstellung über Fritz Langs Filmfantasie „Metropolis“ als das Sony-Center am Potsdamer Platz kann es nicht geben. In den gläsernen Aufzügen fühlt man sich augenblicklich in die schwindelerregende  Hochhausarchitektur des Films versetzt. Und das war von den Stadtplanern der Nachwendezeit ja auch so gewollt: Endlich sollte Berlin so aussehen wie in den Zukunftsträumen der Zwanziger Jahre. Nirgendwo ist dieser Wahn so fassbar wie am Potsdamer Platz mit seiner Hochhausdekoration, die kulissenhaft wirkt wie die Stadt in Fritz Langs Science-Fiction-Klassiker. Die Räume des Museums für Film und Fernsehen erlauben keine Fensterblicke nach draußen, dennoch überlagern sich die Bilder. Die Ausstellung führt durch die Schauplätze, genauer: Stadtteile von Metropolis. Von den Gärten der Reichen führt sie in die Maschinenräume, die unterirdische Arbeiterstadt und Katakomben, dann wieder hinauf in den Dom. Dort kommt es im Film zur späten Versöhnung von Unten und Oben, Arm und Reich, Herz und Hirn. „Metropolis“ war ein Märchen wie jetzt „Avatar“, der im Kinocenter unter den Ausstellungsräumen läuft.

Doch „Metropolis“ spielte seine immensen Kosten 1927 nicht sofort ein. Nach einer lau aufgenommenen Berliner Uraufführung mit 153 Minuten Filmlänge kamen gekürzte Versionen in die Kinos. Seit den Sechzigern tüfteln Filmarchivare an der Rekonstruktion der Urfassung. 2001 präsentierte die Murnau-Stiftung eine digital überarbeitete Version und 2005 eine Studienfassung, doch etwa eine halbe Stunde Film blieb verschollen - bis vor zwei Jahren in einem Archiv in Buenos Aires die bisher längste Kopie entdeckt wurde. Am 12. Februar hat die vorerst letzte  Rekonstruktion Premiere.

Für die Ausstelllung „The Complete Metropolis“ wurden alle Materialien zur Entstehung des Films herangezogen: Drehbuch, Partituren, Dekorations- und Kostümskizzen, vor allem aber hunderte Fotos von den Dreharbeiten. Die Ausstellung und das opulente Begleitbuch versetzen den Betrachter mitten in den Produktionsprozeß. So beeindruckend, dass man die Längen und Schwächen des fertigen Films vergisst.

Fußläufig zum Filmmuseum eröffnet die Akademie der Künste einen weiteren   Werkstattblick in den Mythos der Zwanziger Jahre. Eine Ausstellung mit rund 500 Zeichnungen und Collagen von George Grosz wurde komplett aus dem Akademiearchiv bestückt. Es hütet 207 Skizzenbücher aus allen Schaffensphasen, aber auch zahlreiche Jugendzeichnungen, die erst 1984 in einem Berliner Kohlenkeller wiedergefunden wurden. Seit Grosz 1933 vor den Nazis aus Deutschland fliehen musste, waren die Arbeiten dort versteckt.

Der junge Grosz orientierte sich an Wilhelm Busch, Adolph Menzel und den Karikaturisten des „Simplicissimus“, ehe er im Ersten Weltkrieg zu seinem unverwechselbar scharfen Strich und der frechen Montagetechnik fand. Seine satirischen Gesellschaftsbilder kamen durch Zeitschriften, Mappenwerke und Buchumschläge massenhaft unter die Leute. Dabei verwendete Grosz prägnante Typen oft mehrfach: feiste Kapitalisten, stiernackige Militärs, abgemagerte Arbeiter oder Kokotten. Dieses Personal bevölkert unsere kollektive Erinnerung an die Weimarer Jahre. Grosz montierte es in Szenen, die den Widerspruch zwischen Arm und Reich oder das Nachleben des Obrigkeitsdenkens in der Demokratie anprangerten. Der genaue Beobachter registrierte schon in den ersten Tagen der Weimarer Republik die Gründe für deren Untergang.

Aus dem Berliner Kohlenkeller stammen auch die erstmals komplett ausgestellten 23 Porträtskizzen zu den beiden Ölgemälden des Dichters Max Hermann-Neisse, von denen eines in Mannheim hängt, das andere in New York. Man sieht, wie Grosz das Motiv umkreist, bis er seine Perspektive gefunden hat. Im amerikanischen Exil kam ihm die Treffsicherheit abhanden. Grosz schnitt bergeweise Hände, Füße, Nasen und Ohren aus bunten Illustrierten aus, montierte das Material auf Postkarten und archivierte es in Musterbüchern. Die amerikanische Konsumgesellschaft mit ihrem Überangebot an Bildern machte ihn hilflos. Auch fühlte er sich nicht berechtigt, das Land seiner Gastgeber so wütend zu attackieren wie zuvor die hässlichen Deutschen.

Die Typen, die Grosz in den Zwanzigern messerscharf porträtierte, gibt es so nicht mehr. Kapitalisten müssen heute smarter und schlanker auftreten, die Armen sind fülliger geworden. Und dennoch: Aus der Akademie tretend, blickt man in lauter Grosz-Gesichter. So als hätten sich die Gespenster der Zwischenkriegsjahre nur neue Kleider übergeworfen.


■„The Complete Metropolis“ ist im Museum für Film und Fernsehen bis 25. April zu sehen. Das Begleitbuch:

Stiftung Deutsche Kinemathek (Hg.)
Fritz Langs Metropolis
400 Seiten, 600 Abbildungen
ARTE EDITION im belleville Verlag
München 2010
49,80 Euro

www.deutsche-kinemathek.de

■„George Grosz. Korrekt und anarchisch“, bis 5. April in der Akademie der Künste am Pariser Platz 4. Das Begleitbuch George Grosz montiert. Collagen 1917-1958 der Akademie der Künste hat 112 Seiten und kostet 17 Euro.

www.adk.de

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG v. 25. Januar 2010



Die Skizzenbücher von George Grosz in der Akademie der Künste
© Text und Fotos: Michael Bienert 




 


Michael Bienert
Elke Linda Buchholz
Die Zwanziger Jahre
in Berlin. Ein Wegweiser durch die Stadt

Berlin Story Verlag
280 Seiten
19,80 Euro



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