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Volker Ludwig und Stefan Fischer-Fels im Grips-Theater, 28. Juni 2010
VOLKER LUDWIG IM PORTRÄT >>>
Der Wunschnachfolger
von Michael Bienert
Mannomann! So heißt eines der Kindertheaterstücke, die Volker Ludwig
für sein Grips-Theater geschrieben hat. Es erzählt von zwei Kindern,
deren Stiefvater sich zuhause wie ein Pascha aufführt. Sie wollen
ausreißen, aber als sie mitkriegen, dass der Haustyrann sich im Beruf
zusammenstauchen lässt, zetteln die Kinder zuhause ein Revolution an.
Der Vater muss lernen mit anzupacken, dann wird alles gut. Die Idee zu
dem Stück über die männliche Emanzipation stammte von Kindern, ein
Theaterkollektiv sollte den Stoff zur Bühnenreife bringen, doch das
klappte nicht recht, also wurden Volker Ludwig und sein Kompagnon
Reiner Lücker mit dem Schreiben beauftragt. Das war 1972, in jenem
Jahr, als das schon seit sechs Jahren aktive Kindertheater des Berliner
„Reichskabaretts“ sich den Namen Grips-Theater zulegte. Verdammt lang
her, Mannomann!
Das
Stück mit Musik erlebte 230 Aufführungen in Berlin, unter anderem wurde
es in Australien, auf den Philippinen, in Peru und der Türkei
nachgespielt. Eine typische Grips-Erfolgsgeschichte, wie sie sich
seither oft wiederholte, mit Stücken wie „Max und Milli“ oder „Linie
1“. Volker Ludwig als Geschäftsführer, künstlerischer Direktor und
Hausautor in Personalunion sorgte dafür, dass das Theater quicklebendig
blieb, so gingen über 40 Jahre ins Land. Sein Bart ist schon lange
grau, vor zwei Wochen feierte der Chef seinen 73. Geburtstag. Dass es
so nicht ewig weitergehen kann, war ihm längst klar. Volker Ludwig
hielt Ausschau nach einem geeigneten Nachfolger, keine einfache
Aufgabe, denn die am Grips-Theater erfolgreichen Regisseure und Autoren
sind auch an anderen Kinder- und Jugendtheatern begehrt. Nun bot sich
eine einmalige Gelegenheit. Volker Ludwig hat sie ergriffen und am 28.
Juni 2010 in seiner Eigenschaft als weiterhin amtierender
Geschäftsführer des Grips-Theater einen Vertrag mit einem neuen
künstlerischen Leiter abgeschlossen. Stefan Fischer-Fels wird ab der
Spielzeit 2011/12 in sein großes Erbe eintreten. Er kommt vom Jungen
Schauspielhaus Düsseldorf, das unter seiner Leitung seit 2003 zu einem
der führenden Kinder- und Jugendttheater in Deutschland aufgestiegen
ist. „Düsseldorf hat in den letzten Jahren mehr Preise eingeheimst als
wir“, knurrte Volker Ludwig bei der Pressekonferenz anerkennend. In
Düsseldorf steht ein Intendantenwechsel bevor, der künftige
Schauspielchef Staffan Holm interessierte sich nicht brennend für die
berufliche Zukunft von Fischer-Fels, also lockte ihn Ludwig nach
Berlin, im Bewußtsein: „Wenn ich ihn nicht jetzt kriege, dann nie.“
Der
gebürtige Berlin Fischer-Fels, Jahrgang 1964, ist eine Idealbesetzung,
nicht nur wegen seiner Düsseldorfer Meriten, sondern weil er das
Grips-Theater bestens von innen kennt. 1993, gleich nach dem Studium,
begann er im Keller das Archiv des Theaters zu sortieren und arbeitete
sich rasch zum Chefdramaturgen hoch. Mit Autoren wie Lutz Hübner und
Anja Tuckermann entwickelte er erfolgreich neue Stücke, in Düsseldorf
blieb er der Grips-Theaterphilosophie treu. Fischer-Fels bekennt sich
wie Volker Ludwig zu einem generationsübergreifenden Volkstheater, das
die Alltagsprobleme seines Publikums ernst nimmt und sie unterhaltsam
präsentiert. In seiner neuen Funktion will er besonders die nächste
Autorengeneration der heute Dreißigjährigen fördern. Dass Volker Ludwig
weiterhin Hausautor bleibt, versteht sich von selbst. „Es ist wichtig,
dass es eine freundschaftliche Übernahme ist“, sagt der künftige
künstlerische Leiter. „Ich musste sicher sein, dass das Grips-Theater
kein Theater wird wie jedes andere“, unterstreicht Volker Ludwig. Neun
Monaten haben die beiden über die Modalitäten der Übernahme gesprochen,
dabei ging es um Besonderheiten wie das einzigartige
Mitbestimmungsmodell am Grips-Theater. Ein Mitarbeitergremium kann den
Chef überstimmen, wenn es um Schauspielerengagements oder den
Spielplan geht, das ist Volker Ludwig auch manchmal passiert. Stefan
Fischer-Fels fühlt sich stark genug, mit dieser Begrenzung seiner
Intendantenmacht zu leben, hat sich allerdings eine merkliche
Verjüngung des Mitbestimmungsgremiums ausbedungen.
Von einer Heimkehr des verlorenen Sohns wollte gestern bei der
offiziellen Präsentation des Nachfolgers niemand reden. Doch die
Staffelübergabe fühlt sich so an, auch für die direkt Beteiligten.
„Außer der Geburt meiner drei Kinder ist das vielleicht der schönste
Moment in meinem Leben“, gestand Stefan Fischer-Fels. „Haben Sie noch
Fragen?“ - Mannomann!
Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 29. Juni 2010
© Text und Fotos: Michael
Bienert
■ Zum aktuellen Spielplan des Grips-Theaters >>>
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Michael Bienert
Mit Brecht durch Berlin
Insel
Verlag it 2169
272 Seiten
Mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 3-456-33869-1
10 Euro
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