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KULTURMENSCHEN I KLAUS-DIETER LEHMANN

Goethes Kapitän


Präsident des Goethe-Instituts zu sein ist eigentlich ein Ehrenamt, die Arbeit sollen andere machen, aber Klaus-Dieter Lehmann sieht das anders. Seit er 2008 aus Altersgründen die Leitung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz abgeben musste und zu Goethe wechselte, fährt das Flaggschiff der deutschen Kulturpolitik im Ausland unter Volldampf. Und der schnauzbärtige Kapitän steht täglich an Deck, strahlt Zuversicht, Zuverlässigkeit und Freude an der Teamarbeit aus. Das Goethe-Institut ist die dritte große Kulturinstitution, die unter Lehmanns souveräner Leitung zu neuer Regsamkeit erwacht. Der gelernte Physiker und Bibliothekar führte nach der Wiedervereinigung erfolgreich die Nationalbibliotheken in Frankfurt/Main und Leipzig zusammen, seit 1999 beendete er die Ost-West-Querelen in der Preußenstiftung und schwor sie auf ein neues Ziel ein: Als Gedächtnis der Weltkulturen und weltweit vernetzte Forschungseinrichtung soll sie sich künftig im Berliner Humboldt-Forum präsentieren. Dass Lehmann sich so leidenschaftlich für den internationalen Kulturaustausch einsetzt, hat auch mit seiner Herkunft zu tun: Am 29. Februar 1940 in Breslau geboren, ist er ein Vertriebenenkind, doch hat er früh begriffen, dass nur der grenzübergreifende Dialog alte Wunden heilen kann.

Michael Bienert hat Klaus-Dieter Lehmann für die Stuttgarter Zeitung im April 2008 zu seiner neuen Aufgabe als Goethe-Präsident befragt, hier finden Sie den ungekürzten und autorisierten Text:

STZ: Herr Lehmann, an der Seite von Jutta Limbach waren sie bereits seit 2002 Vizepräsident des Goethe-Instituts. War es von langer Hand geplant, dass sie ihr ins Präsidentenamt nachfolgen?

Lehmann: Das war keine Planung. Die Mitgliederversammlung des Goethe-Instituts hatte mich ins Präsidium gewählt, dort war ich Vorsitzender des Personalausschusses. Und da haben Jutta Limbach und ich die gegenseitige Liebe entdeckt und fanden es nicht so schlecht, dass ich sie ablöse. Für mich bedeutete das eine sehr weiche Landung im neuen Amt.

STZ: Sie haben also die Finanzkrise, in der das Goethe-Institut vor zwei Jahren steckte, hautnah miterlebt. Jetzt verbreiten Sie Aufbruchstimmung. Der Bundestag hat zusätzliche Millionen bewilligt, aber ist der Erhalt aller Institute wirklich dauerhaft gesichert?

Lehmann: Die Krise war dadurch ausgelöst, dass wir in fernen Weltgegenden aktiver werden sollten, dieses aber durch Einschnitte bei der Präsenz in Europa kompensieren sollten. Ein Unding, denn man kann nicht Europa zugunsten von Asien oder Afrika aufgeben. Inzwischen haben wir in der Politik wieder Partner gefunden, die nicht nur tagesaktuell entschieden haben. Wir mussten unsere Hausaufgaben machen: das ganze Goethe-Institut evaluieren, die Zentrale in München verschlanken, dafür die Auslandsinstitute autonomer und effizienter machen. Im Gegenzug hat uns die Politik nun zweimal hintereinander Programmmittel in Millionenhöhe gegeben, außerdem zeitlich begrenzte Sondergeldermittel für Schulprogramme oder Afrika. Diese Zuwendungen sind zeitlich begrenzt. Aber der Außenminister und Parlament haben sich so deutlich zum Goethe-Institut bekannt, dass ich davon ausgehe, wir sind auf der sicheren Seite.

STZ: Wie bekommen sie die laufenden Kosten für das Institutsnetz in den Griff?

Wir bauen viele Stellen in der Zentrale ab und verlagern Verantwortung und Aufgaben in die Institute vor Ort, das passt auch besser zur Kreativität der Goethe-Mitarbeiter. So etwas funktioniert aber nur mit neuen Managementmethoden, auch bei der Finanzierung der Institute. Eine bestimmte Region bekommt jetzt ein Budget und schließt eine Zielvereinbarung mit dem Vorstand. Die Institutsleiter können viel freier entscheiden, wofür sie das Geld einsetzen.

STZ: Für eine so große Institution wie das Goethe-Institut ist das eine Revolution.

Lehmann: Ich nenne das eher Evolution.

STZ: Das Goethe-Institut bekommen Geld vor allem vom Außenministerium. Wie stark muss sich die Kulturvermittlung den politischen und wirftschaftlichen Interessen der Bundesrepublik unterordnen?

Lehmann: Ich verspüre keinen Druck, weder von der Politik, noch von der Wirtschaft. Die Verfassung des Goethe-Instituts ist mir sehr wertvoll. Ich liebe es, dass es ein eingetragener Verein ist, mit souveräner Mitgliederversammlung und Präsidium. Diese Unabhängigkeit gibt uns Glaubwürdigkeit im Ausland. Das Auswärtige Amt als Geldgeber lässt uns große inhaltliche Freiheit.

STZ: Nun haben sie einen „Beirat Wirtschaft“ gegründet. Wozu?

Lehmann: Mit der Auffassung, wir hätten in Deutschland scharf getrennte Welten zwischen der Kultur mit ihrer Aura einerseits und der Wirtschaft mit ihrer Profitorientierung andererseits, geben wir im Ausland kein gutes Bild ab. Ich glaube, die Wirtschaft hat einen hohen Bedarf an Kultur. Das fängt bei der Ausbildung von Persönlichkeit an, die ohne Kultur nur die Hälfte des Menschen ausmacht. Die Goethe-Mitarbeiter können vermitteln, welche kulturellen Vorstellungen ein Land hat, in dem deutsche Wirtschaft arbeitet. Auch die Wirtschaftsleute werden in Brasilien oder Japan als Deutsche wahrgenommen. Wenn sie dort aus Unkenntnis der einheimischen Kultur Porzellan zerschlagen, dann können wir das als Goethe-Institute gar nicht kitten. Egal, ob es Wirtschaftsleute, Lehrer oder Kulturschaffende sind, die draußen in der Welt arbeiten - wenn wir sie mit kultureller Kompetenz ausstatten, kann das nur gut sein. Das ist keine Prostitution der Kultur.

STZ: In dem Beirat sitzen die Josef Ackermann von der Deutschen Bank, der Telekom-Chef René Obermann oder der Unternehmensberater Roland Berger, alles ausgebuffte Global Players. Schielen Sie nicht auch nach mehr Geld von der Industrie?

In dem neuen Beirat werden Kultur und Wirtschaft sich nicht in der Rolle von Bittstellern und Geldgebern gegenüber sitzen, die dann Einfluss aufs Programm nehmen. Das wird es nicht sein. Wir werden gemeinsam Handlungsfelder definieren: Wo können wir der Wirtschaft etwas vermitteln, wo kann die Wirtschaft uns etwas vermitteln. Ich habe keine Berührungsängste. Und ich habe als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sehr gute Erfahrungen in Berlin mit dem "Kuratorium Museumsinsel" gemacht, da waren auch zwanzig Unternehmen drin und deren Leute waren fasziniert von unserer Aufgabenstellung. Zu meiner Überraschung hat nie einer der Vorstands- oder Aufsichtsratsvorsitzenden einen Vertreter zu diesen Sitzungen geschickt, die sind immer selbst gekommen, auch weil wir Topleute aus den Museen aufgeboten hatten. Da kam es zu einem richtig spannenden Dialog.

STZ: Derzeit richten sich alle Augen auf China, wo sich das Goethe-Institut in den letzten Jahren stark engagiert hat.

Lehmann: Noch zuwenig!

STZ: Die chinesische Führung geht rabiat gegen die regionale Kultur und politische Opposition in Tibet vor. Was bedeutet das für ihre Mitarbeiter?

Lehmann: Wir machen keine Programme, die sich an der tagesaktuellen Sprunghaftigkeit orientieren. Wenn wir in China arbeiten, dann müssen wir unseren eigenen Überzeugungen folgen können. Das heißt zum Beispiel, im Pekinger Institut muss die freie Zugänglichkeit zu den Angeboten gewährleistet sein. Wir versuchen, den Dialog in China aufrecht zu erhalten und alles zu vermeiden, womit wir uns selbst verleugnen würden. Wenn unsere Arbeitsfähigkeit eingeschränkt würde, dann müsste man neu über unser Engagement nachdenken. Im Augenblick haben wir keine Zensur in Peking, unsere Programme laufen in verschiedenen Städten. Wenn wir uns nun wegen der Tibet-Krise zurückziehen würden, würden wir kulturelle Brücken abbrechen, so dass gar keine Veränderung möglich ist. Vielleicht bin ich zu sehr Idealist und Berufsoptimist. Aber ich denke, solange wir einen offenen Dialog führen können, erzeugen wir auch irgendwo Nachdenklichkeit.

STZ: In den nächsten drei Jahren soll die Präsenz in Afrika stark ausgebaut werden.

Lehmann: Einerseits gibt es ein breit angelegtes Partnerschulprogramm: Wir bringen uns in einer gemeinsamen Intitiative mit dem Auswärtigen Amt und der Zentrale für Auslandschulwesen in afrikanische Schulen ein, indem wir Deutschlehrer ausbilden, Lehrmaterialien zur Verfügung stellen und Anreize zum Deutschlernen über den Schüleraustausch schaffen. Andererseits hoffe ich, dass wir werden wir noch in diesem Jahre die neuen Institute in Luanda und Daressalam eröffnen. Dann hätten haben wir mit dem Institut in Johannesburg auch im südlichen Afrika mehrere Zentren. Wir sehen das diese zusammen mit kleineren Präsenzen – Kulturgesellschaften etwa oder einzelnen Kulturexperten, die in verschiedene Länder ohne Goethe-Institut entsendet werden –  als Netzwerk, um eine innerafrikanische Öffentlichkeit herzustellen. Wie in China wollen wir auch in Afrika einen Dialograum schaffen, wo Menschen sich treffen und unbehindert mit uns Kulturprojekte realisieren können.

STZ: Das erste große Projekt ihrer Amtszeit ist eine Konferenz mit den Staatlichen Museen in Berlin unter dem Motto „Wiedervorlage: Nationalkultur“. Zum Erfolgsrezept der Goethe-Institute gehörte bisher, dass sie keinen verstaubten und verengten Begriff von Nationalkultur pflegten. Wieso muss jetzt die Nation wieder auf die Tagesordnung?

Lehmann: Das muss nicht verstaubt sein. Wir haben seit 1989 eine veränderte Weltordnung. Nicht nur in Deutschland, auch in Mittel- und Osteuropa spielen die Nationalkulturen bei der Selbstvergewisserung eine größere Rolle. Gerade die jungen Leute dort haben die Hoffnung, dass die Nationalkulturen ein Teil einer größeren europäischen Gemeinschaft werden. Die Westeuropäer wiederum haben ihre Gangart beim Integrationsprozess verlangsamt. Der Prozeß hin zu einer gemeinsamen europäischen Verfassung ist zum Stillstand gekommen, weil offensichtlich eine Überforderung da war. Man muss auch deshalb über Nationalkulturen reden, damit daraus nicht Abschottungstendenzen werden. „Wiedervorlage. Nationalkultur“ heißt nicht: Wir ziehen uns jetzt wieder auf unsere Territorien zurück.
Eine große Chance bei dieser Diskussion ist unsere föderale Verfasstheit in Deutschland. Unsere Nationalkultur ist nicht zentralistisch, sondern sie ergibt sich aus den Regionen und den Ländern. Die Engländer mit ihrer Kolonialgeschichte haben ein völlig anderes Verständnis von Nationalkultur. Alleine in Europa ist der Begriff so vielfältig, dass es lohnt, darüber zu reden.

STZ: Herr Lehmann, der Außenminister nnannte Sie den „Kapitän des kulturellen Flaggschiffs der Bundesrepublik Deutschland“. Sie haben in ihrer Antrittsrede erkennen lassen, dass Sie sich eher als Fährmann sehen.

Lehmann: Ich habe das Bild mit Blick auf die deutsche Sprache gebraucht. Man kann sie lediglich als ein Werkzeug sehen, dann funktioniert sie wie eine Brücke. Sie verbindet gradlinig zwei Punkte, man geht ganz rational über diese Brücke. Wenn ich dagegen die Sprache mit einer Fähre vergleiche, dann ist sie in einen kulturellen Kontext eingebunden. Die Fähre ist Teil des Flusses. Und es gibt eine Gemeinschaft auf der Fähre, die von einem Punkt zum anderen übersetzt. Mich fasziniert diese Nähe, die unsere deutsche Sprache zur Kultur und Lebensweise hat.

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 15. April 2008
© Text und Foto: Michael Bienert



 

 
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