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Der Gutshof in Kreisau, heute Begegnungsstätte; links das Gutshaus


KULTURMENSCHEN I FREYA VON MOLTKE


Widerstand und Versöhnung

Am 1. Januar 2010 ist Freya von Moltke in ihrer Wahlheimat in Vermont/USA gestorben. Im polnischen Krzyzowa/Kreisau wird ihr Erbe gepflegt.


von Michael Bienert

Wenn die Verschwörer im Wohnzimmer der Familie Moltke debattierten, wurden die Türen geschlossen, weil dem Hauspersonal nicht zu trauen war. Die Hausherrin tat alles, damit die Versammlung wie ein rein privates Wochenendvergnügen erschien. Schweigend saß sie bei den Männern, die sich über die Zukunft Deutschlands heiß redeten, Pläne für eine Nachkriegssordnung schmiedeten und zu Papier brachten. Es waren Adlige, Bürger und Sozialdemokraten, katholische und protestantische Oppositionelle. Gemeinsam suchten sie eine Vision für ein friedliches Deutschland, die stärker sein sollte als Hitlers Diktatur.

„Die Gruppe hatte die Demokratie in sich, weil sie in sich so verschieden war“, erinnerte sich später die Hausherrin Freya von Moltke. Die Verschwörer um ihren Mann Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg konspirierten seit 1940 auch in München und Berlin, aber drei Geheimtreffen in Moltkes Wohnhaus im schlesischen Kreisau gaben der Widerstandsgruppe den Namen in den Geschichtsbüchern: Kreisauer Kreis.

Der kleine Ort heißt heute Krzyzowa und liegt in Polen. Aus dem großen Gutshof der Moltkes ist eine deutsch-polnische Begegnungstätte geworden, vor allem für Jugendliche. Von dort führt ein Weg durch die zauberhaft verschneite Landschaft zum bescheidenen Berghaus, dem Ort der konspirativen Treffen. Es ist heute eine einladende Gedenkstätte ohne musealen Mief. Im Wohnzimmer stehen Bücherregale mit Literatur, dort können Besuchergruppen bequem sitzen und diskutieren. Im Dachgeschoss wohnen Mitarbeiter der deutsch-polnischen Stiftung Kreisau für europäische Verständigung, die vor 20 Jahren gegründet wurde. Als Freya von Moltke im Jahr 2004 zum letzten Mal Kreisau besuchte, spielten Kinder um das Berghaus. Es hat ihr gefallen, dass die Gedenkstätte auch von einer ganz normalen Familie mit Kindern bewohnt wurde. Für ihre beiden Söhne hatte sie in den Dreißigerjahren unterm Dach das Kinderzimmer eingerichtet.

Die Bankierstochter heiratete 1931 mit 20 Jahren den Gutsherrn Helmuth James von Moltke in Köln und folgte ihm nach Kreisau. Trotz der anmutigen Landschaft war es nicht die reine Idylle: Drei Jahre zuvor war die Familie Moltke aus dem Gutshaus ins bescheidene Berghaus gezogen, weil der 400 Hektar große Landwirtschaftsbetrieb tief in Schulden steckte und der Verkauf drohte. In Kreisau packte die junge Frau bei der Verwaltung des Gutes mit an. Vor allem in den Kriegsjahren trug sie die Hauptlast, als ihr Mann für den geheimen Nachrichtendienst der deutschen Wehrmacht arbeitete.

Der Widerständler stammte aus der Familie des preußischen Militärstrategen Helmuth Graf von Moltke, der Kreisau 1867 erworben hatte, seine Mutter jedoch war Südafrikanerin britischer Abstammung. Schon wegen der weltläufigen Verwandtschaft konnten die Moltkes mit dem Rassenwahn der Nazis nichts anfangen. Die völkerrechtswidrige Kriegsführung der Wehrmacht verschärfte die Opposition des studierten Juristen Moltke gegen das Hitlerregime. Seine Frau Freya unterstützte seine Suche nach Gleichgesinnten. Sie versteckte seine Briefe und die Dokumente des Kreisauer Kreises und rettete sie für die Nachwelt. Ihr Mann wurde im Januar 1944 verhaftet, nach dem fehlgeschlagenen Hitlerattentat Stauffenbergs enttarnte die Gestapo sein geheimes Netzwerk. Moltke kam vor den NS-Volksgerichtshof, im Januar 1945 wurde er gehängt und seine Asche verstreut.

Freya von Moltke musste Berghaus und Gut im selben Jahr verlassen, als es unter polnische Verwaltung kam. Sie hat nie einen Anspruch auf Rückgabe erhoben. Wichtiger war ihr, dass die Geschichte des Widerstands nicht in Vergessenheit geriet.

Die Familie besaß Vermögen im Ausland, davon konnte Freya von Moltke ab 1947 in Südafrika und ab 1960 in den USA leben. Dort wurde der 1933 wegen seiner jüdischen Abstammung aus Deutschland emigrierte Jurist und Soziologe Eugen Rosenstock-Huessy ihr zweiter Lebensgefährte, ein ehemaliger Lehrer ihres Ehemannes.

1961 veröffentlichte sie mit Annedore Leber, der Frau des Sozialdemokraten Julius Leber, ein Buch über „Entscheidungen in Deutschland 1918-1945“, das den gescheiterten Widerstandskämpfern gewidmet war. Sie übersetzte und überarbeitete eine englische Biografie ihres Mannes, die 1975 erschien, und gab seine Briefe heraus. Auf Einladung polnischer Intellektueller reiste sie 1977 und 1978 nach Kreisau und freundete sich mit dem Dorfpfarrer an, doch die polnische Regierung zeigte kein Interesse an einer Gedenkstätte für den deutschen Widerstand auf ihrem Gebiet. Als der Eiserne Vorhang fiel, wurde Kreisau dann sehr schnell zu einer Brücke im deutsch-polnischen Verhältnis und die Gräfin zu einer auch in Polen gern gesehenen Integrationsfigur.

Sie empfand es als Geschenk, dass der heruntergewirtschaftete Gutshof seit 1990 als deutsch-polnische Begegnungsstätte zu neuem Leben erwachte. „Man hatte nie das Gefühl, dass da eine alte Dame mit dem schweren Gepäck der Vergangenheit kommt, sondern eine Freundin. Freya von Moltke war eine Person, die in der Gegenwart lebte und sich immer für die Zukunft interessierte“, sagt Annemarie Franke, die Leiterin der Begegnungsstätte. Um deren Arbeit auch finanziell zu unterstützen, gründeten Freunde 2004 die Freya von Moltke-Stiftung. Am Neujahrstag 2010 ist die Namensgeberin an einer Virusinfektion in Vermont/USA verstorben. Sie wurde 98 Jahre alt und hat sich bis zuletzt mit hellwachem Geist für die deutsch-polnische Aussöhnung eingesetzt.


Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 5. Januar 2010

© Text und Fotos: Michael Bienert


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Freya von Moltke bei der Gründung der nach ihr benannten Stiftung im Jahr 2005.
© Mit freundlicher Genehmigung des Archivs der Stiftung Kreisau.








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