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Der Eiserne Vorhang in der Pause der "Nibelungen"-Premiere

THEATERKRITIK

Die Nibelungen von Friedrich Hebbel. Premiere am Deutschen Theater am 26. März 2010. Regie: Michael Thalheimer. Mit Ingo Hülsmann, Sven Lehmann, Maren Eggert, Natali Seelig u. a.


Gepanzert in den Untergang


von Michael Bienert

Am Burgunderhof in Worms, fernab ihrer nordischen Heimat, fühlt sich die mit Riesenkräften gesegnete Kriegerin Brunhild wie ein verlorenes Kind. Das Blau des Himmels ängstigt sie, sie sehnt sich nach Nebel und einem kräftigen Gewitter: „Ich kann mich nicht an so viel Licht gewöhnen, / Es tut mir weh, mir ist´s, als ging ich nackt, / Als wäre kein Gewand hier dicht genug.“ Das mythische Superweib, am Deutschen Theater eine sinnliche schwarzlockige Schönheit (Natali Seelig), zeigt Schwäche und weckt Mitgefühl. Es ist einer der seltenen Momente in Michael Thalheimers dreistündiger Inszenierung von Hebbels „Nibelungen“, in denen Faszination für den Stoff und Nähe zu einer Figur zugelassen wird. Sonst gleicht sie einem Panzer, der dröhnend am Publikum vorbeirasselt und eine platte blutrote Fahrspur hinterlässt.

Unter dem nur einen Spalt hochgezogenen Eisernen Vorhang kriechen zu Beginn die Burgunden an die Rampe, eher Angehörige einer Urhorde mit grobschlächtigen Sitten als edle Rittersleute. So muss der vom Stuttgarter Staatsschausspiel bekannte, nach Berlin gewechselte Felix Goeser als Spielmann Volker ohne Fidel auskommen und den ganzen langen Abend einen völlig unmusikalischen Kraftkerl mit Rockerfrisur mimen. Volkers Bericht von der sagenhaften Brunhild weckt die Gier König Gunthers, diese Frau zu besitzen. Doch Gunther (Ingo Hülsmann), in einen Pelz gehüllt, besitzt allenfalls die Intelligenz eines Neandertalers. Mit mahlendem Unterkiefer und übertriebenem Herrschergehabe scheint er einem expressionistischen Stummfilm entsprungen.

Der geschwätzige Haudrauf Siegfried (Peter Moltzen) organisiert die Eroberung Brunhilds und bekommt zum Lohn Gunthers wasserstoffblonde Schwester Kriemhild (Maren Eggert) zugeschanzt. Beim königliche Hochzeitsfest spritzt das Bier aus riesigen Dosen, die Rivalität Kriemhilds und Brunhilds artet in einen schrillen Zickenkrieg aus. Als öffentlich wird, dass der starke Siegfried den Keuschheitsgürtel Brunhilds für Gunther im Brautbett lösen musste, schlägt die Stunde des eiskalt kalkulierenden Hagen Tronje (Sven Lehmann). Sein Meuchelmord an Siegfried verwandelt die zarte Kriemhild in eine haßerfüllte Furie, doch da zuvor von Innigkeit zwischen den Eheleuten nichts zu spüren war, lässt ihre Raserei kalt. Die starken Affekte, in die sich die Schauspieler ständig hineinsteigern müssen, klingen hohl, angestrengt und aufgesetzt. Das geht nicht an die Nerven, sondern nervt.

Gespielt wird auf zwei flachen rostbraunen Ebenen, von denen sich die obere  bis zur Ober- und Unterkante des Bühnenausschnitts kippen lässt. Dieses martialische Bühnenbild (Olaf Altmann) droht die Nibelungen mal zu zermalmen, mal in einen schwarzen Abgrund rutschen zu lassen. Zwischen den Szenen wummern Basstöne und kreischt eine E-Gitarre, mit viel Gedröhn jagt der Regisseur seine Mythenfiguren in der finalen Untergang. Eimerweise platscht roter Saft vom Schnürboden auf sie herab. Die halbnackten Recken nehmen ein lustvolles Blutbad. Der bärtige Markgraf Rüdiger (Michael Schweighöfer) trägt einen imposanten nackten Bierbauch vor sich her ins letzte Gefecht, dann geht alles ganz rasch, mit Pfiffpfaff fallen Hagen und Kriemhild. Ermattet übergibt König Etzel (Markwart Müller-Elmau) die Macht an den blassen Ritter Dietrich von Bern (Michael Gerber): „Und schleppt die Welt auf Eurem Rücken weiter.“

Kein Lichtstreif, kein Sonnenstrahl leuchtet in der düstere Inzenierung. Eine zarte Gestalt wie die weise Burgundenmutter Ute (Gabriele Heinz) bleibt eine tragische Randerscheinung und auch ihr Sohn Giselher (Moritz Grove), der seinen weißen Anzug nicht mit Blut beflecken will, hält die Raserei nur für wenige stumnme Minuten auf. Endlich versinkt das mit Menschenkadavern übersäte Schlachtfeld in einem blutroten Glimmen. Hohl, blechern, brutal, gemein und zur neuerlichen Mythenbildung völlig untauglich, so will Michael Thalheimer die Nibelungen vorführen. Dieses Ziel verfolgt er mit derart eiserner Konsequenz, dass einem die Lust aufs Theater gleich mit vergehen kann. 

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 31. März 2010

© Text und Foto: Michael Bienert







Michael Bienert
Mit Brecht durch Berlin
Insel Verlag it 2169
272 Seiten
Mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 3-456-33869-1
10 Euro








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