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THEATERKRITIK

Lange Nacht der Autoren im Rahmen der ersten Autorentheatertage am Deutschen Theater mit Stücken von Carsten Brandau ("Fabelhafte Familie Baader"), Julia Kandzora ("In Neon"), Laura Naumann ("süßer vogel undsoweiter") und Katharina Schmitt ("SAM") am Deutschen Theater, 17. April 2010.

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von Michael Bienert

Träumt diese freundliche Kartenabreißerin etwa auch von einer Karriere als Dramatikerin? Die ersten Autorentheatertage in Berlin waren für einige Überraschungen gut. Dazu zählt die Entdeckung des künstlerischen Potentials im Abenddienst des Deutschen Theaters. Die Dramaturgieabteilung staunte nicht schlecht, als sie herausfand, dass eine der vier Autorinnen, deren Stücke Juror Michael Althen für eine Werkstattaufführung vorgeschlagen hatte, bereits im Hause arbeitete. Als Programmheftverkäuferin und Türschließerin verdient die Autorin Julia Kandzora einen Teil ihres Lebensunterhalts. Zuvor hat sie vier Jahre Studium am renommierten Literaturinstitut in Leipzig die Schreibkunst studiert. Ihr Fall ist symptomatisch für die prekäre Situation des dramatischen Nachwuchses im Lande. So gierig der Theaterbetrieb nach Uraufführungen und jungen Talenten giert, so schnell sind sie wieder vergessen. Wer Dramatiker werden will, sollte sich nach einem passenden Zweitjob umsehen.

Julia Kandzoras erstes Theaterstück „In Neon“ verarbeitet diese Unsicherheit: Hauptperson ist ein Mann auf der vergeblichen Suche nach einem Lebensziel, einer großen Liebe, einem Beruf. In der Stückvorlage knackt er Nüsse, bis die ganze Bühne voller Schalen liegt. Die in zehn Tagen erarbeitete Werkstattaufführung von Simon Solberg geriet zur munteren Kissenschlacht mit Slapstickeinlagen. Am Ende setzte sich Felix Goeser in der Hauptrolle eine Bohrmaschine an den blutverschmierten Kopf.

Mit 20 Jahren ist Laura Naumann schon mehrfache Preisträgerin und die jüngste Autorin, der am Wochenende die Ehre einer Werkstattinszenierung auf der großen Bühne des Deutschen Theaters widerfuhr. In ihrem Drama  „süßer vogel undsoweiter“ lungert eine Jugendclique desillusioniert an einer Citytoilette herum. Es passiert fast nichts. Naumanns Stärke ist die unblumige und dennoch hoch poetische Sprache, zu der sich in der kurzen Probenzeit jedoch kaum originelle Spielideen einfanden. Dagegen schreibt der doppelt so alte Carsten Brandau gezielt auf Bühnenwirksamkeit hin. In „Fabelhafte Familie Baader“ transformiert der ehemalige Regieassistent den RAF-Stoff zu einer schrillen Verwechslungskomödie: Aus dem Terroristen Andreas Baader wird ein autoverliebter Karrierist, Gudrun Ensslin führt mit ihm eine sehr bürgerliche Ehe und sehnt sich nach einem Kind. Baaders Sekretär -  er trägt den Namen des Stückeschreibers Brandau - schwängert Gudrun, was zu üblichen Verwicklungen führt. Technische Pannen und Texthänger der knallig charchierenden Schauspieler machten alles noch skurriler und die Farce zum Lacherfolg. Als vierte Werkstattinszenierung stellte Samuel Finzi den Monolog  „Sam“ von Katharina Schmitt vor. Er wurde durch die Kunstaktion eines taiwanesischen Performancekünstlers inspirierte, der schweigend ein ganzes Jahr in einem selbstgebauten Käfig lebte. Wie Carsten Brandau hat die 1979 geborene Autorin im Theaterbetrieb schon Fuß gefasst. In Deutschland wurden Stücke von ihr aufgeführt, in Tschechien ist Katharina Schmitt als Regisseurin gefragt.

Der Filmkritiker Michael Althen, der für die Aufführung in der „Lange Nacht der Autoren“ vier Stücktexte aus rund 160 Einsendungen auswählte, ist kein Theaterfachmann: ein geglücktes Experiment. Dabei stand die Suche nach neuen Talenten gar nicht im Mittelpunkt des neuen Autorentheaterfestivals. Es ist auf nachhaltige Förderung der Gegenwartsdramatik angelegt. Und dazu gehören eben auch Elfriede Jelinek, Dea Loher, René Pollesch oder Roland Schimmelpfennig, deren Stücke in herausragenden Aufführungen aus dem deutschsprachigen Raum zu sehen waren. Wenige Wochen vor dem Berliner Theatertreffen mit seinem festgefahrenen Auswahlmodus zeigte das Deutsche Theater eindrucksvoll, was dort alljährlich durchs Raster fällt. So kam auch das Stuttgarter Theater zu seinem Recht. Sibylle Bergs „Hauptsache Arbeit“ in der Inszenierung von Hasko Weber wurde in der Hauptstadt freundlich aufgenommen, an der Depot-Produktion „Fundament“ des Autors und Regisseurs Jan Neumann beeindruckte die spielerische Ernsthaftigkeit, mit der von Schicksalen rund um einen fiktiven Terroranschlag erzählt wird. 

Die Finanzierung jährlicher Autorentheatertage war eine der wenigen Bedingungen, die der neue Intendant Ulrich Khuon dem Berliner Senat stellte, als dieser ihn vom Hamburger Thalia Theater ans Deutsche Theater abwarb. Noch ein Theaterfestival in der Hauptstadt, wozu sollte das gut sein? Diese Frage kann man jetzt abhaken: Das Theater der lebenden deutschen Autoren hat es einfach verdient, so groß wie nur möglich in Szene gesetzt zu werden.

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 19. April 2010

© Text und Foto: Michael Bienert







Michael Bienert
Mit Brecht durch Berlin
Insel Verlag it 2169
272 Seiten
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ISBN 3-456-33869-1
10 Euro








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