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AUSSTELLUNGEN
I DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM


Mit Kunst im Rücken regiert es sich besser

von Michael Bienert

„Kunst ist für mich die schönste Tochter der Freiheit“, steht in goldenen Buchstaben an einer Ausstellungswand im Deutschen Historischen Museum, doch nicht Schiller wird dort gehuldigt, sondern die Kunstbegeisterung eines Liberalen unter die Lupe genommen. Das Zitat stammt von Guido Westerwelles Website. Typisch für ihn, dass er Schillers geflügeltes Wort mit einem Superlativ („schönste“) aufpeppt und zugleich („für mich!“) zu einer persönlichen Meinungsäußerung verkleinert. Auch in puncto Kunstbegeisterung mag sich Westerwelle derzeit von niemandem übertrumpfen lassen. Der „Frau im Spiegel“ hat er erzählt, nach seiner politischen Karriere wolle er bei einem guten Lehrer nochmal richtig malen lernen.

Unter dem Schiller-Plagiat strahlt der FDP-Chef auf einem Foto aus Oppositionszeiten. Er hält zwei Skulpturen des Bildhauers Ottmar Hörl in den Händen: je einen roten und schwarzen Gartenzwerg, Sinnbilder für die Geisteszwerge der Großen Koalition. Damals war das eine Machtfantasie, heute ist es Realität. Westerwelle beherrscht die politische Tagesordnung, indem er sich als politischer Avantgardist inszeniert. Die Avantgarden in der modernen Kunst waren elitäre Minderheiten, die den Konsens einer Gesellschaft und die Regeln des  guten Geschmacks bewusst verletzten. Marcel Duchamp hat zum Beispiel ein Pissor zum Kunstwerk erklärt und Christoph Schlingensief proklamierte: „Tötet Helmut Kohl!“ Ähnlich agiert Westerwelle, wenn er die  wirtschaftlich Schwächsten der Gesellschaft attackiert und die Mittelschichten gegen die vermeintlichen Drückeberger aufhetzt. Bisher galt das im politischen Diskurs der Bundesrepublik als unfein. Wer immer an die Macht kam, predigte den sozialen Ausgleich.

Aber der Mehrheitsgeschmack ist nicht Westerwelles Sache. Auch nicht als Kunstsammler. Mit sicherem Gespür hat er vor Jahren von dem jungen Maler Norbert Bisky - pikanterweise dem Sohn des damaligen PDS-Vorsitzenden - Bilder gekauft, als diese noch keine exorbitanten Preise auf dem Kunstmarkt erzielten. Er ließ sich damals von dem renommierten Porträtfotografen Dieter Bauer dabei ablichten, wie er mit dem Maler eines seiner Werke bei sich an die Wand hängte. Auch diese Fotos sind in der Berliner Ausstellung über Kunst und Macht zu sehen. Sie hängen nicht weit von denen, die die Gerhard Schröder mit seinen Malerfreunden bei der Verschönerung des Berliner Kanzleramtes zeigen. Schröder hat vorgemacht, wie man durch den souveränen Umgang mit zeitgenössischer Kunst geistige Überlegenheit demonstriert. Momentan beherrscht keiner dieses Spiel virtuoser als Westerwelle.

Die Kanzlerin hat dem nichts entgegen zu setzen. Als sie ins Kanzleramt einzog, musste sie sich zu Schröders Erbe verhalten. Hinter dem Schreibtisch hing ein von Georg Baselitz mit dem Fingern gemalter Adler, der kopfunter ins Ungewisse stürzte. Die Konsenskanzlerin Angela Merkel hat das zerrupfte Wappentier durch ein altes Adenauer-Porträt von Kokoschka ersetzt. Sie ist eben keine Avantgardistin, sondern sieht sich eher als Hüterin des bundesrepublikanischen Erbes.

Die Bonner Republik möblierte sich mit abstrakter Kunst, um sich vom Naziprotz abzusetzen und bei den Künstlern zu entschuldigen, die von den Nazis als entartet diffamiert worden waren. Ludwig Erhard gab bei dem Architekten Sep Ruf einen gläsernen Kanzlerbungalow im Stil der klassischen Moderne in Auftrag. An Helmut Schmidts Bürotür stand nicht „Bundeskanzler“, sondern „Nolde-Zimmer“. Mit solchen Gesten hielt das politische Bonn zugleich Abstand zum sozialistischen Realismus und KIassizismus in der DDR. Helmut Schmidt versuchte einen Brückenschlag, als er sich von dem Leipziger Maler Bernhard Heisig für die Kanzlergalerie malen ließ.

Die Indienstnahme der Gegenwartskunst für staatliche Repräsentation hat eine lange Vorgeschichte, die Ausstellung „Macht zeigen“ verfolgt sie bis an die barocken Fürstenhöfe mit ihren Kunstkammern zurück. Heute sind nicht nur das Kanzleramt und der Bundestag, sondern auch die Zentralen großer Wirtschaftskonzerne durchgestylt und mit Kunst gepflastert wie einst die Schlösser der Aristokratie. Moderne Kunst soll unternehmerische Tugenden wie Einfallsreichtum und Zukunftssinn repräsentieren. Spitzenmanager lassen sich besonders gern vor kräftigen Farbflächen abstrakter Gemälde fotografieren. Die Aura der Kunst soll die Eigenschaftslosigkeit der Abgebildeten überstrahlen, doch das Nebeneinander vieler solcher Porträts zeigt erst recht ihre Austauschbarkeit.

Es ist eine im besten Sinne aufklärerische Schau, die der Kurator Wolfgang Ullrich mit Studenten der Karlsruher Hochschule für Gestaltung erarbeitet hat. Ihren Fluchtpunkt bilden wenige Arbeiten von Künstlern, die sich der Vereinnahmung widersetzen. Das Künstlerduo Clegg & Guttmann fotografiert die Mächtigen und montiert die Zeichen ihren Macht zu unheimlichen Gruppenporträts. Eines zeigt Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank und hat sich inzwischen als völlig unbrauchbar für PR-Kampagnen erwiesen hat. Die Malerin Verena Landau war schockiert, als sie eines Tages in der Zeitung entdeckte, wie ein Bankmanager vor einem ihrer Fotos posierte. In einem Bilderzyklus imaginiert sie einen Bankeinbruch, um sich ihr Werk wieder anzueignen. Die meisten Künstler nehmen die Nutzung ihrer Werke freilich achselzuckend oder geschmeichelt hin. Schließlich steigert es den Marktwert enorm, wenn man von den Reichen und Mächtigen geliebt wird.

Noch bis 13. Juni im Deutschen Historischen Museum. Der Katalog kostet 24 Euro. Öffnungszeiten und weitere Infos unter www.dhm.de

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG v. 25. Februar 2010
© Text und Foto: Michael Bienert 



 


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