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Wie man mit Dreck malt
Berlin zeigt Rembrandt als Maler, als Zeichner, als Graphiker
von Elke Linda Buchholz
Rembrandt schaut in den Spiegel und grimassiert. Er spitzt den Mund, reißt die Augen kugelrund auf: Der Ausdruck puren Erstaunens malt sich auf seinen Zügen. Er zieht die Stirn in Falten, presst die Lippen aufeinander: Skepsis und Widerwillen lesen wir in seiner Miene. Winzig klein sind diese Ausdrucksstudien, nur wenige Zentimeter groß, aber sie bilden einen furiosen Auftakt zur Ausstellung Rembrandt - Ein Virtuose der Druckgraphik. Sie ist nur der unscheinbarste Teil der großen Ausstellungstrilogie, mit der die Berliner Museen das Rembrandt-Jahr feiern. In mehr als 270 Werken zeigt sie den ganzen Rembrandt, den Maler, den Zeichner und den Radierer. 110 000 Besucher haben einen Großteil der Gemälde bereits im Amsterdamer Rembrandthuis bewundert, die Zeichnungen und Grafiken sind selten gezeigte Kostbarkeiten aus Berliner Bestand.
Dem Meister selbst begegnet man beim Rundgang immer wieder, einmal als Bettler kostümiert, dann wieder stolz mit Samtbarett wie ein Künstlerfürst der Renaissance, mal auf feingestrichelten Radierungen, mal im repräsentativen Gemäldeformat. Selbst auf Historiengemälden glaubt man seine Züge wiederzuerkennen. Kein Zufall, denn der Meister nahm sich selbst am liebsten zum Modell. So konnte er ungestört sein künstlerisches Vokabular erproben, das er für Bibelszenen und mythologische Darstellungen brauchte: sprechende Mimik, packende Beleuchtung, glaubhafte Kostümierung.
Rembrandt war ein Meister der Inszenierung, und er war unablässig auf der Suche nach neuen Bildlösungen, nach eindringlichen Formulierungen. Seine Figuren sprechen den Betrachter bis heute mit einer fast unheimlichen Intensität an. Woher kommt diese Lebendigkeit noch der winzigsten, rasch hingeworfenen Skizze, diese Unmittelbarkeit der Porträts? Das sind Fragen, die auch die Kunstwissenschaft nicht wirklich zu beantworten weiß.
Die Ausstellung ist eine Bestandsaufnahme: Sie zeigt den aktuellsten Erkenntnisstand der Rembrandt-Forschung. Und wartet mit Überraschungen auf. Gleich eines der frühesten Gemälde galt noch vor wenigen Monaten als Werk des Amsterdamer Genremalers Pieter Codde, jetzt wird der Student mit Pfeife aus Lille als Arbeit Rembrandts vorgestellt. Missmutig lümmelt darauf ein Student neben seinem bücherbeladenen Studiertisch. Es könnte ein augenzwinkernder Kommentar des Malers zur eigenen Vita sein: Denn er selbst hatte wenige Jahre zuvor das Lateinstudium an den Nagel gehängt, um sich der Malerei zu widmen.
Zwei seiner frühesten Historienbilder, die kurz nach seiner Lehrzeit in Leiden und Amsterdam entstanden, würde auf den ersten Blick niemand für Rembrandt-Arbeiten halten. Sie wirken vor allem bunt und vielfigurig. Wie rasant der junge Maler sein Ausdrucksrepertoire entwickelte, lässt sich auf faszinierende Weise in der Ausstellung verfolgen. Bald spielt Rembrandt sein Erzähltalent voll aus. Er wählt große Formate und große Gesten. Da schüttelt der biblische Held Simson drohend die Faust, Minerva thront überwältigend mit Lorbeerkranz und üppiger Leibesfülle, und der Prediger Anslo ergreift gewaltig das Wort.
Das Bildnis des Amsterdamer Laienpredigers Anslo und seiner Frau aus der Gemäldegalerie gehört zu den vielen unbestrittenen Meisterwerken der Ausstellung. Statt das Paar wie üblich steif posieren zu lassen, fügte der Maler die beiden Personen zu einer lebendigen Szene, die den Betrachter zum Zuhörer macht: An ihn richtet Anslo mit suggestiver Redegeste sein Wort.
Das war eine völlig neue Art von Porträt. Aufsehenerregender in der Ausstellung ist jedoch das kleine, unscheinbare Frauenbildnis daneben. Es ist eine Beleuchtungsstudie zur der Frauenfigur auf dem Anslo-Porträt - und gilt erst seit kurzem als eigenhändiger Rembrandt. Zuvor hatten dicke Übermalungsschichten die originale Malerei verdeckt, ein Pelzkragen hatte die schlichte Ölstudie aufgehübscht. Dass darunter ein echter Rembrandt zum Vorschein kommen würde, konnte niemand ahnen.
Umgekehrt liegt der Fall bei der Heiligen Familie aus St. Petersburg. Die dazugehörige Studie zum Kopf der Maria ist nach neuester Erkenntnis gar keine Vorstudie, sondern eine Detailkopie nach dem fertigen Gemälde. Solche Kopien waren in Rembrandts Werkstatt gängige Praxis. Ganze Kompositionen sind in der Ausstellung gleich zweimal zu bewundern, etwa Die Verleumdung Josephs durch die Frau des Potiphar. Hier kann jeder Besucher mit eigenen Augen Meister- und Schülerhand vergleichen. Für sich genommen sind beides Meisterwerke. Die frappierende Fähigkeit der Rembrandt-Schüler, sich den bewunderten Stil des Meisters anzueignen, stellt die Nachwelt vor hartnäckige Probleme.
400 Jahre ist es her, dass Rembrandt geboren wurde, und noch immer ist sein Werk im Fluss. Ja, momentan vergrößert es sich sogar, nachdem es jahrzehntelang drastisch geschrumpft war. Wie ist das möglich? Im späten 19. Jahrhundert war es zu einer explosionsartigen Vermehrung von Rembrandt-Werken gekommen. Nahezu jedes dunkeltonige Gemälde in Rembrandtmanier galt den Experten, allen voran Wilhelm von Bode in Berlin und Abraham Bredius in Amsterdam, als eigenhändig. Natürlich auch der Mann mit dem Goldhelm. Der boomende Kunstmarkt frohlockte. Jahrzehnte später folgte die Katerstimmung in den Museen, nur wenige Werke hielten dem nüchternen Urteil des Rembrandt Research Projects stand. Seit 1969 arbeitet das internationale Forscherteam daran, alle vermeintlichen Rembrandtwerke mit kunsthistorischen und naturwissenschaftlichen Methoden unter die Lupe zu nehmen. Nicht nur der Gemäldebestand wurde drastisch reduziert. Von den einst 126 Rembrandt-Zeichnungen des Berliner Kupferstichkabinetts gelten nach neuestem Stand nur noch 55 als eigenhändig. Kurator Holm Bevers hat jetzt einen kritischen Katalog dazu vorgelegt: ein Produkt wahrer Kennerschaft. Bevers kennt buchstäblich jede einzelne Linie, jede Schraffur. Aber er sagt: Die Wahrheit gibt es nicht. Was wir wissen, ist immer nur das Wahrscheinliche.
Wen solche Sorgen kalt lassen, der kann die Ausstellung genießen als das, was sie ist: die umfangreichste Ausstellung des Rembrandt-Jahres. Und die einmalige Gelegenheit, einige seiner großartigsten Werke im Original beieinander zu sehen, die sonst in New York, Warschau, Dublin, Rotterdam, Madrid oder Toronto hängen. Rembrandts berühmtestes Bild, die Nachtwache, musste natürlich in Amsterdam bleiben, wird aber würdig durch eine kleine zeitgenössische Kopie vertreten. Die Nachtwache wurde zum Wendepunkt in Rembrandts Schaffen. Der vielbeschäftige und erfolgreiche Maler geriet danach in eine Krise. Seine junge Frau Saskia war gestorben, und auch künstlerisch stand er offenkundig in einer Sackgasse.
Welchen Ausweg er fand, zeigen die rauhen, pastos gemalten Werke der späten Jahre. Auf manchen seiner Porträts sei die Farbe so dick aufgetragen, dass man sie an der Nase vom Boden aufheben könne, spotteten die Zeitgenossen. Andere gingen in ihrer Kritik noch weiter: Seine Bilder sähen aus wie mit Dreck gemalt, wie mit der Maurerkelle zusammengeschmiert. In der Tat: diese Bild sind dunkel, braun, schwarz. Sie sind in ganzen Partien unklar, vage, rätselhaft. Doch dieser Dreck leuchtet wie Gold. Wer den Blick des Christus mit dem Pilgerstab aus dem Metropolitan Museum gesehen hat, wird ihn nicht vergessen.
Bis 5. November 2006
Kataloge der Gemälde und der Druckgraphik im DuMont Verlag; Katalog der Zeichnungen im Hatje Cantz Verlag; zu beziehen auch übers Internet: www.MuseumShop.de
Zeitfenstertickets sind im voraus buchbar unter www.smb.museum/rembrandt oder www.ticketonline.com