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Blick in das Modell des Großen Schauspielhauses von Poelzig




Der Moderne eine Form geben
Der Architekt Hans Poelzig in der Berliner Akademie der Künste


von Michael Bienert

Als vor genau 80 Jahren die Wohnkultur der Neuen Sachlichkeit in der Werkbundsiedlung auf dem Weißenhof präsentiert wurde, durfte Hans Poelzig unter den Architekten der Musterhäuser nicht fehlen. Er gehörte zwar nicht zur jüngsten Generation, die das Neue Bauen propagierte, wurde aber als älteres Vorbild und Lehrer respektiert.

Die Gegner der Stahlmöbel und des Flachdachs schätzten Poelzig nicht minder. Als Gegenveranstaltung zum Weißenhof errichteten sie 1928 in Berlin-Zehlendorf unter der Gesamtleitung von Heinrich Tessenow eine Modellsiedlung mit Spitzdächern. Dort war Poelzig ebenfalls mit zwei Häuschen vertreten. Ein Jahr später verlieh die konservative Technische Hochschule Stuttgart dem „mutigen Führer zu einem neuen Fühlen in der Baukunst“ ein Ehrendiplom.

Poelzigs Häuschen in Berlin stehen noch, der Flachbau in Stuttgart wurde zerstört - schade. „So dazwischen“ hat sich Poelzig nach eigenen Worten in den Richtungskämpfen der Architekten gefühlt. Flachdach oder Spitzdach, das war für ihn eine rein ideologische Frage, die ihn nicht sonderlich interessierte. Für Poelzig mussten die Funktionen eines Gebäudes effizient in einem Gehäuse untergebracht werden, doch das allein befriedigte nicht seinen künstlerischen Anspruch. Das Ziel war eine prägnante Gestalt, der man die Mühen des Entwurfsprozesses nicht mehr ansah.

Einen Namen machte Poelzig sich vor dem Ersten Weltkrieg mit Industriebauten und Wassertürmen, die wie monumentale Steinskulpturen in die Landschaft ragten. 1913 war er federführend an der Generalplanung für das Gelände der Jahrhundertausstellung in Breslau beteiligt. Großarchitekturen, die Menschenmassen ein Gefühl von Zusammengehörigkeit vermitteln sollten, wurden seine Spezialität. In Berlin baute Poelzig 1919 ein Zirkusgebäude zum Großen Schauspielhaus mit 3500 Plätzen um. Das spektaktuläre Aussehen im Inneren ergab sich aus funktionellen Überlegungen. Tausende von der Decke herab hängende Zapfen verbesserten die Akustik des Riesensaals und dienten zugleich als stimmungsvolle Beleuchtungskörper. Die sogenannte Tropfsteinhöhle ging als Meilenstein expressionistischen Bauens in die Architekturgeschichte ein. Was nach entstellenden Umbauten davon übrig war, wurde 1985 in Ost-Berlin abgerissen. Bis heute klafft an der prominenten Stelle neben dem Berliner Ensemble eine Brache.

Poelzig liebte Theater und Kino. Er stattete den Stummfilmklassiker „Der Golem“ mit expressionistischen Dekorationen aus und entwarf Bühnenbilder. Als begnadeten Selbstdarsteller hat ihn Theodor Heuss erlebt, der über ihn sagte: „Er konnte den Poelzig wunderbar spielen.“ Temperamentvoll, witzig und charismatisch war er, ein begnadeter Lehrer. In Breslau leitet Poelzig vor dem Ersten Weltkrieg die staatliche Kunstschule, ab 1920 das Meisteratelier für Architektur der Berliner Akademie.

Poelzig genoss sein Ansehen als Stararchitekt der Weimarer Republik. Er wurde um guten Rat und Entwürfe gebeten, wenn es um Prestigeprojekte wie die geplante Reichstagserweiterung ging. Bauen durfte Poelzig das Messegelände mit dem Haus des Rundfunks in Berlin und den gewaltigen I.G-Farben-Komplex, heute Unigebäude, in Frankfurt. Mit ihren klaren, geschwungenen Linien waren diese Gebäude dem modernen Zeitgeist der Zwanziger verpflichtet. Zugleich besaßen sie eine steinerne Schwere, einen für Poelzig typischen Zug ins Monumentale, der bei den Auftraggebern gut ankam.

Poelzig beherrschte die Selbstinszenierung perfekt, davon profitiert nun auch eine opulente Ausstellung über ihn in der Berliner Akademie der Künste. Er hat schon zu Lebzeiten überwältigende Entwurfszeichnungen und Großfotos auf Reisen geschickt. Eine Überraschung sind die großformatigen Ölgemälde, die seit Poelzigs Tod im Jahr 1936 noch nie ausgestellt wurden. In den brodelnden, grell bunten Farblandschaften glaubt man die Lava zu sehen, aus der Poelzigs Entwürfe geronnen sind. Langweilig sind sie nie. Ihre mächtigen Stein- und Klinkerfassaden besitzen immer eine leicht flirrende Oberfläche. Innenräume stattete Poelzig gern mit kräftig leuchtenden Farbflächen aus.

Die von Wolfgang Pehnt und Matthias Schirren kuratierte Poelzig-Retrospektive ist unter einem Dach mit einer Ausstellung über den Deutschen Werkbund zu sehen. Vor 100 Jahren wurde diese Organisation gemeinsam von Künstlern und Gewerbetreibenden gegründet, um das gestalterische Niveau der Alltagsgegenstände in der industriellen Welt zu heben. Poelzig war einige Jahre Werkbundvorsitzender. Beide Ausstellungen ergänzen sich in der Akademie der Künste ganz wunderbar.

Hinzu kommt eine weitere Foyerausstellung über die Internationale Bauausstellung in Berlin vor 50 Jahren, die an die Tradition der Werkbundausstellungen anknüpfte. Die Schau über „Die Stadt von morgen“ kuratierte der Poelzig-Schüler Karl Otto. Der langjährige Werkbund-Geschäftsführer und Poelzig-Biograf Theodor Heuss eröffnete als Bundespräsident die Interbau. Poelzigs Einfluss auf das Bauen in Deutschland reichte weit über seinen Tod hinaus. Architekten der Nachkriegsmoderne wie Egon Eiermann und Fritz Bornemann haben bei ihm gelernt.

In ihrem Ausstellungshaus am herbstlichen Tiergarten hat die Berliner Akademie ein tolles Ausstellungspaket geschnürt. Es war nicht ganz klar, was sie mit dem Gebäude anfangen würde, jetzt wo sie ihren Hauptsitz in Peter Behnischs Glashaus am Brandenburger Tor bezogen hat. Dort aber wäre für das kluge Ausstellungsprogramm gar nicht genügend Platz gewesen.

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„100 Jahre Werkbund“ und „50 Jahre Interbau“ noch bis 18. November, „Hans Poelzig“ bis 6. Januar 2008 in Berlin und ab 1. März im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt/M. - Kataloge zu Werkbund und Poelzig für 38 Euro und 29,90 Euro. Mehr unter
www.adk.de

ERSTDRUCK: Stuttgarter Zeitung vom 26. Oktober 2007