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Haifische an der Spree
Brecht, Berlin und der Admiralspalast









I.

»Ich habe eine kleine Untersuchung angestellt, welches Buch oder welcher Abschnitt in der Stadtbibliothek am meisten gelesen wird, was sich an den Fettflecken ungefähr erkennen lässt. Am meisten wird gelesen Brehms Kapitel über die Haifische«, berichtet 1921 der Feuilletonist Victor Auburtin im Berliner Tageblatt. Sieben Jahre später entsteht in Berlin während der Proben zur »Dreigroschenoper« die »Moritat von Mackie Messer«: »Und der Haifisch, der hat Zähne / Und die trägt er im Gesicht...« Bald ist das Lied ein Schlager, den jeder Berliner kennt.

In den Augen des jungen Brecht ist die große Stadt ein Haifischrevier. Im Häusermeer gelten archaische Spielregeln: Jeder kämpft gegen jeden. Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Die Städte in Brechts frühem Werk heißen London, Chicago, Mahagonny oder sind namenlos wie in den Gedichten des »Lesebuchs für Städtebewohner«. Hinter all diesen fiktiven Topografien verbergen sich Brechts Erfahrungen mit einer einzigen Stadt: Berlin.

»Es ist eine graue Stadt, eine gute Stadt, ich trolle mich so durch. Da ist die Kälte, friß sie!«, notiert er 1921. Die Viermillionenstadt ist schwer gezeichnet von den Folgen des verlorenen Ersten Weltkriegs, von wirtschaftlicher Not und politischer Instabilität. Themen und Motive der »Dreigroschenoper« liegen im damaligen Berlin buchstäblich auf der Straße: Kriegskrüppel, Bettler, Prostituierte. Der Lustmörder Karl Großmann bringt in den Nachkriegsjahren 23 Frauen um und entsorgt die Leichenteile in Parks, Mülleimern und Kanälen. Joseph Roth schildert 1924 in einer Reportage den »Zug der Fünftausend« - der Obdachlosen und Bettler, die täglich zum Städtischen Obdachlosenasyl marschieren. Berufskriminelle sind in so genannten „Ring- und Sparvereinen“ gut organisiert, ihre jährlichen Ballveranstaltungen werden von leitenden Kriminalbeamten gern besucht. Das Berliner Publikum der ersten Berliner »Dreigroschenoper« hat keinerlei Schwierigkeiten, die eigene Stadt im fiktiven London des Stücks wiederzuerkennen.

Auf den Augsburger Brecht übt Berlin eine gewaltige Anziehungskraft aus. Zwischen 1920 und 1924 reist er neunmal an die Spree, in der Hoffnung, ein Auskommen im hauptstädtischen Kulturbetrieb zu finden. 1924 vermittelt ihm Erich Engel, der spätere Uraufführungsregisseur der »Dreigroschenoper«, einen Jahresvertrag als Dramaturg am Deutschen Theater. Die Schauspielerin Helene Weigel überlässt ihm ihre Wohnung in der Spichernstraße 16. Anders als viele Schriftstellerkollegen jener Jahre, die unstet von Ort zu Ort jagen, wird Brecht in Berlin sesshaft. An allen wichtigen Berliner Bühnen ist Brecht in den folgenden Jahren präsent, in wechselnden Rollen als Autor, Regisseur oder dramaturgischer Berater: am Deutschen Theater, am Staatstheater am Gendarmenmarkt, an der Volksbühne und der Piscatorbühne am Nollendorfplatz.

II.

In der Rückschau wird Brechts Name vor allem mit dem Theater am Schiffbauerdamm in Verbindung gebracht, dem heutigen Berliner Ensemble. Seit 1954 besaß Brechts Truppe dort ein eigenes Haus, nach dem Tod des Meisters zwei Jahre später wurde sein Aufführungsstil dort konserviert. In den Zwanzigern aber war das Theater am Schiffbauerdamm nur eine von vielen Bühnen, auf denen Brecht theaterpraktische Erfahrungen sammelte. Dass die »Dreigroschenoper« dort zur Uraufführung kam, war ein Zufall. Ebensogut hätte sie auch im wenige Schritte entfernten Admiralspalast oder einem anderen Theater über die Bühne gehen können.

»Wir sahen das Stück so wie es geschrieben ist, als lustige literarische Operette mit einigen sozialkritischen Blinklichtern«, erinnert sich der Theaterproduzent Ernst Josef Aufricht, der die »Dreigroschenoper« bei Brecht und Kurt Weill in Auftrag gab. Aufricht suchte einen Reißer für den Beginn seiner Direktion am Schiffbauerdammtheater. Das Premierenpublikum hatte keine hohen Erwartungen an diese Bühne und an das angekündigte Singspiel aus dem Verbrechermilieu. Umso größer war am 31. August 1928 der Überraschungserfolg: »Es war eine raffinierte Aufführung, kalt berechnet. Es war der genaueste Ausdruck dieses Berlin. Die Leute jubelten sich zu, das waren sie selbst und sie gefielen sich. Erst kam ihr Fressen, dann kam ihre Moral, besser hätte es keiner von ihnen sagen können, das nahmen sie wörtlich. Jetzt war es gesagt, keine Sau hätte sich wohler fühlen können.« (Elias Canetti)

Im Juli 1931 gab Aufricht nach einigen Misserfolgen das Theater am Schiffbauerdamm auf, mietete das spielfertige Theater am Kurfürstendamm und brachte dort am 21. Dezember mit großem Erfolg den »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« von Brecht und Weill heraus. Um Brecht, der inzwischen zum glühenden Kommunisten konvertiert war, von den Proben fern zu halten, bot er ihm an, auch sein kommunistisches Tendenzstück »Die Mutter« zu produzieren, das dann in verschiedenen angemieteten Sälen vor einem Arbeiterpublikum gezeigt wurde. Aufrichts letzte Station als Theaterleiter vor der Vertreibung durch die Nazis war der Admiralspalast. 1932 füllte er die gut 2000 Plätze des Theaters, indem er den Publikumsliebling Hans Albers (in Molnars »Liliom«) und den Startenor Richard Tauber (in der Operette »Frühlingsstürme«) verpflichtete. Nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler griff die Nazipresse den »roten Direktor« an. SS-Leute stürmten Aufrichts Büro. Im Exil produzierte Aufricht noch einmal eine »Dreigroschenoper«, diesmal unter dem Titel »Opéra de Quat´Sous« zur Weltausstellung 1937 in Paris.

Auch andere Namen aus dem Umfeld Brechts sind mit der Geschichte des Admiralspalastes verknüpft. So trat die Schauspielerin Trude Hesterberg, in deren Kabarett »Wilde Bühne« Brecht 1921 zur Gitarre sang und die in »Mahagonny« mitspielte, zwischenzeitlich als Star in Admiralspalast-Revuen auf. 1931 wurde im Admiralspalast Theo Mackebens Millöcker-Operette »Die Dubarry« uraufgeführt, 1943 folgte dort eine weitere Operette mit dem Titel »Der goldene Käfig«. Der Kapellmeister der »Dreigroschenoper« war in der Nazizeit ein gefragter Komponist von Unterhaltungs- und Filmmusiken, von ihm stammen Evergreens wie »Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da«. Auch Brechts Schulkamerad und Bühnenbildner Caspar Neher konnte in Nazideutschland seine Karriere fortsetzen (was Brecht nicht hinderte, nach der Rückkehr erneut eng mit ihm zusammenzuarbeiten). 1935 stattete Neher die Strauß-Operette »Die Fledermaus« im Admiralspalast aus. In den Dreißigern arbeitete er dort mit dem Walter Felsenstein zusammen, dem selben Regisseur, der nach dem Zweiten Weltkrieg an der Komischen Oper in der Behrenstraße eine neue Opernästhetik durchsetzte.

III.

Der Admiralspalast liegt am Bahnhof Friedrichstraße, einem wichtigen innerstädtischen Verkehrsknotenpunkt seit der Eröffnung der Stadtbahn im Jahr 1882. In der Kaiserzeit mauserte sich die Friedrichstraße zu einer der wichtigsten Geschäftsstraßen und Vergnügungsmeilen der Hauptstadt. »Hier ist das Herz, die unaufhörlich atmende Brust des großstädtischen Lebens«, schwärmte 1909 der Schweizer Schriftsteller Robert Walser. »Und abends, ah, wenn es beginnt zu dunkeln und wenn die Lichter angezündet werden, tut sich ein Vorhang langsam auf, um in ein Stück üppig voll immer derselben Gewohnheiten, Lüsternheiten und Begebenheiten schauen zu lassen. Die Sirene Vergnügen fängt dann an in himmlisch lockenden und anmutenden Tönen zu singen, und Seelen werden dann zerrissen von den vibrierenden Wünschen und Nichtbefriedigungen, und ein Geldauswerfen beginnt dann, wie es der bescheidene kluge Begriff nicht kennt, wie es sich kaum eine dichterische Phantasie mühselig vorstellen kann. Ein wollüstig auf und nieder atmender Körpertraum sinkt dann auf die Straße herab und alles läuft, läuft und läuft diesem vorherrschenden Traum mit ungewissen Schritten nach.«

Vor dem Admiralspalast begann der Laufsteg der Prostituierten auf der nördlichen Friedrichstraße. Die unwirkliche, erotische aufgeladene Atmosphäre der Straßenbühne wurde von den Lichtern des Bahnhofs verstärkt, von Straßenbeleuchtung und Lichtreklamen, die sich an der Weidendammer Brücke in der Spree spiegelten. Nirgendwo gab es so viele Lokale und Theater wie um den Bahnhof Friedrichstraße. Das in ganz Europa berühmte Varieté Wintergarten spielte gleich nebenan, ebenso die Komische Oper und der Zirkus Schumann, den Max Reinhardt 1919 von Hans Poelzig zum Großen Schauspielhaus mit 3000 Plätzen umbauen ließ. Fußläufig lagen das Neue Theater und das Lustpielhaus am Schiffbauerdamm, das Metropol-Theater in der Behrenstraße (heute Komische Oper), aber auch das Lessing-Theater, das Deutsche Theater, die Staatsoper und das Staatstheater am Gendarmenmarkt - um nur die größten Bühnen zu nennen. Diese Theaterlandschaft hat Brecht seit seinem ersten Berlinbesuch intensiv erkundet: »Die Theater sind wundervoll, sie gebären mit hinreißender Verve kleine Blasensteine. Ich liebe Berlin, aber m. b. H.«

Mitten im Amüsierviertel wird 1911 der Admiralspalast nach Plänen der Architekten Heinrich Schweitzer und Alexander Diepenbrock eröffnet. Vorher gab es auf dem Grundstück lediglich eine Badeanstalt, das Admiralsgartenbad über einer 1867 entdeckten unterirdischen Solequelle. Der Boom der Friedrichstraße in der Kaiserzeit ließ den Wert des Grundstücks steigen; es lag viel zu günstig, um dort lediglich Wannenbäder für Berliner anzubieten, die zuhause noch kein Badezimmer hatten. Zwar besaß auch der neue Admiralspalast eine Therme mit luxuriös ausgestatteten russisch-römischen Bädern, doch sie beanspruchte lediglich einen kleinen Teil der Nutzfläche. Unter den Bädern im vierten Stock des Hintergebäudes entstand als Hauptattraktion eine Eisarena, umschlossen von Logen in drei Etagen für 3000 Zuschauer.

Eine moderne Dampfmaschine im Keller lieferte gleichzeitig elektrischen Strom für die Eisherstellung und Wärme für den Badebetrieb. Täglich ab 10 Uhr früh konnte man in der Eisarena Schlittschuh fahren, abends Eistänzer in großen Revuen mit Orchester bewundern. »Montreal. Die Stadt auf Schlittschuhen« hieß die erste Eisshow nach der Eröffnung am 20. April 1911. Auch Eishockeyspiele, Tanzbälle und Boxkämpfe füllten die große Halle. Von der belebten Friedrichstraße war sie unsichtbar. Man erreichte sie nur über den Hof und durch das Vordergebäude mit seiner von monumentalen Pilastern gegeliederten Granit- und Kalksteinfassade. Dort war Platz für ein einladendes Kaffeehaus, ein Kino und eine Kegelbahn im Keller.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Eisarena aufwändig zum Theatersaal umgebaut und als »Welt-Varieté« am 11. November 1922 neu eröffnet. Es konnte sich aber nicht gegen die Konkurrenz des benachbarten Wintergartens und anderer Varietés behaupten. Mehr Erfolg hatten die Ausstattungsrevuen des versierten Operettenregisseurs Herman Haller. Am 4. September 1923 begann seine Ära mit »Drunter und Drüber«, einem Bilderreigen nach Motiven aus dem Berliner Alltagsleben. Im Jahresabstand folgten nach dem Gesetz der Serie ähnlich gestrickte Inszenierungen mit Titeln wie »Noch und Noch« (1924), »An und Aus« (1926), »Wann und Wo« (1927) oder »Schön und schick« (1928). Markenzeichen der Haller-Revuen waren die Auftritte leicht bekleideter Girls, die synchron die Beine durch die Luft schleuderten und andere gymnastische Verrenkungen vollführten. Sie zählten zu den touristischen Hauptsehenswürdigkeiten des damaligen Berlin - eine Kunst, die heute einige Häuser weiter immer noch den Friedrichstadtpalast füllt, das zu DDR-Zeiten errichtete größte Revuetheater Europas.

Die heraufziehende Wirtschaftskrise und die Baupolizei verdarben dem Revuekönig Herman Haller 1929 das Geschäft. Auf eine längere Umbaupause folgte ein Flop, eine mißglückte Revuefassung der »Csardasfürstin« mit Hans Albers. Haller gab auf, danach wurden im Admiralspalast am laufenden Band Operetten gespielt. 1939 beauftragte NS-Kulturminister Joseph Goebbels den Architekten Paul Baumgarten mit der Sanierung, technischen Modernisierung und klassizistischen Neugestaltung des stark abgenutzten Theaters. Die Art-Deco-Ornamente verschwanden, eine größere Drehbühne wurde eingebaut. »Die Neuschaffung sozialer Einrichtungen - z. B. Kantine, Musikeraufenthaltsräume, Vermehrung der Künstlergarderoben und deren Einrichtung, Anlage von Brauseräumen usw. war für den Betrieb einer nationalsozialistischen Kulturstätte selbstverständlich«, berichtet 1940 das »Zentralblatt der Bauverwaltung«. Ein Jahr später erhielt das Theater eine »Führerloge«. Anders als die Staatsoper, die Volksbühne oder das Lessing-Theater kam der Admiralspalast unversehrt durch den Bombenkrieg. Ab Februar 1944 diente er als Ausweichspielstätte für das Ensemble der zerstörten Oper an der Charlottenburger Bismarckstraße. Mit der Ausrufung des »totalen Krieges« wurde auch der Admiralspalast zum 1. September 1944 geschlossen.

IV.

»Berlin, der Schutthaufen bei Potsdam«, notiert Brecht in sein Tagebuch, als er nach vierzehn Jahren Exil seine alte Wahlheimat wiedersieht. Eingeladen haben ihn der Kulturbund und das Deutsche Theater, wo er seine »Mutter Courage« mit Helene Weigel in der Titelrolle inszenieren soll. Am 22. Oktober 1948 trifft er in Berlin ein und wird in einem unzerstörten Flügel des Hotels Adlon am Pariser Platz einquartiert. Zwei Tage später sitzt er mit Helene Weigel im Admiralspalast auf der Bühne. Der Kulturbund veranstaltet eine Friedenskundgebung, eine Propagandaveranstaltung im aufgeheizten Ost-West-Konflikt. Es sind die Tage der Blockade West-Berlins durch die Sowjets, über der Stadt hängt das Dröhnen der Flugzeuge der Luftbrücke. Brecht kann sich der Einladung seiner Gastgeber zur Kundgebung schlecht entziehen, bleibt aber schweigsam: »Ich selber spreche nicht, entschlossen, mich zu orientieren und nicht aufzutreten.« Statt dessen läßt er ein Gedicht auf den Tod des Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzkys verlesen, der die Drangsalierung durch die Nazis nicht überlebt hat.

Seit Kriegsende ist der Admiralspalast häufig Schauplatz politischer Kundgebungen. Hier wird am 21./22. April 1946 die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED im Sowjetsektor durch den Händedruck der Parteivorsitzenden Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl besiegelt. Am 15. Oktober 1946 hat im Admiralspalast der erste deutsche Nachkriegsfilm Premiere, Wolfgang Staudtes »Die Mörder sind unter uns«. Brecht sitzt wieder am 24. März 1950 auf dem Podium, als dort feierlich die Deutsche Akademie der Künste in Ost-Berlin gegründet wird. Zehn Jahre lang, von 1945 bis 1955, trägt der Admiralspalast den Namen Deutsche Staatsoper. So lange dauert es, bis das Stammhaus der Staatsoper Unter den Linden wiederaufgebaut ist.

Für den größten Opernskandal in dieser Ära sorgt Brecht, unterstützt vom Staatsopernintendanten Ernst Legal, der in den Zwanziger Jahren bereits Leiter der Kroll-Oper war, der avantgardistischsten Berliner Opernbühne. Im Februar 1951 beginnen im Admiralspalast die Proben zu der Oper »Das Verhör des Lukullus« von Brecht und Paul Dessau. Die Ausstattung besorgt (wie schon bei der »Dreigroschenoper«) Caspar Neher, als Dirigent wird Hermann Scherchen eingeladen. Die pazifistische Tendenz des Textes jedoch stößt bei SED-Kulturfunktionären ebenso auf Ablehnung wie die Musik, denn sie können »keinen Tschaikowsky aus Dessaus Partituren heraushören.« (Hans Mayer) Wenige Tage vor der geplanten Uraufführung setzt das Sekretariat des Zentralkommitees der SED unter Vorsitz von Walter Ulbricht das Stück ab. Brecht wendet sich direkt an Ulbricht und erreicht wenigstens die Erlaubnis zu einer »Öffentlichen Probe« am 17. März 1951. An diesem Tag findet eine ZK-Tagung statt, auf der Maßnahmen gegen den »Formalismus« in der Kunst beschlossen werden. Am Abend kommt die gesamte SED-Parteispitze in den Admiralspalast, in sicherer Erwartung, die als »formalistisch« gebrandmarkte »Lukullus«-Oper werde vor einem vom Volksbildungsministerium handverlesenen Publikum durchfallen. Trotzdem wird die Aufführung ein großer Erfolg, der Schlußapplaus dauert eine halbe Stunde.

Eine Woche später treffen Staatsführung, Librettist und Komponist beim DDR-Staatspräsidenten Wilhelm Pieck zusammen, um für alle Beteiligten einen Ausweg ohne Gesichtsverlust zu suchen. Brecht erklärt sich zu einigen Textänderungen bereit, mit denen die pazifistische Tendenz des Stücks gemildert wird. Die politisch entschärfte Fassung wird am 12. Oktober 1951 unter dem Titel »Die Verurteilung des Lukullus« uraufgeführt und ins Repertoire der Staatsoper übernommen. Wenige Tage zuvor hat Brecht bei einer Feierstunde im Admiralspalast einen Nationalpreis 1. Klasse entgegen genommen.

V.

März 2006. Ein Gerüst verdeckt die Fassade des Admiralspalastes an der Friedrichstraße. Auch der Innenhof ist eine wüste Baustelle. Von der Stadtbahn aus springt ein Totenkopf in die Augen, den Graffitisprayer vom Dach aus aufs Hintergebäude gezaubert haben. Die Nachbargrundstücke sind unaufgeräumte Brachen oder Baustellen. Auf der Friedrichstraße herrscht die ungepflegte Geschäftigkeit eines Bahnhofsviertels. »Und ein Mensch geht um die Ecke,/ Den man Mackie Messer nennt...«

Eine Leuchtreklame am Admiralspalast verspricht THEATER. Sie gehört dem Kabarett »Distel«, das im ehemaligen Kinosaal seit 1953 seine Stacheln zeigt. Unter dem Fassadengerüst glimmen den ganzen Tag rot die Buchstaben METROPOL THEATER. Dabei hat sich der Vorhang der Operettenbühne schon vor neun Jahren für immer geschlossen. Seit 1955 war das Metropol-Theater im Admiralspalast sesshaft. Im Wechsel mit Operettenklassikern spielte es Musicals und musikalische Lustspiele aus dem sozialistischen Leben. Ein paar Stunden konnte dort das Publikum den grauen DDR-Alltag vergessen. Strömte es nach der Vorstellung hinaus auf die Friedrichstraße, fiel der erste Blick auf den »Tränenpalast«, auf das bald nach dem Mauerbau errichtete Abfertigungsgebäude für die Glücklichen, die via Bahnhof Friedrichstraße nach West-Berlin ausreisen durften.

Nach dem Fall der Mauer verlor das Metropol-Theater, wie andere Bühnen auch, einen großen Teil seines Publikums. Im Zuge der Wiedervereinigung wurde aus der sozialistischen Staatsbühne ein Stadttheater, ein tödliches Verhängnis. Denn die Stadt wollte die Subventionen für die Operettenbühne möglichst schnell absenken. Das Metropol-Theater wurde 1996 privatisiert und dem als Theaterdirektor unerfahrenen Tenor René Kollo übergeben. Schon nach einer Spielzeit war das Haus pleite. Danach verhandelten ständig wechselnde Kultursenatoren mit vielen Interessenten über eine Wiederbelebung. 2001 erwarb es der Musical-Konzern Stage Holding zum symbolischen Preis von einem Euro, trat aber schon bald wieder zurück, abgeschreckt von den hohen Sanierungskosten und angelockt von einem anderen Schnäppchen, dem Theater des Westens. Zuletzt drohte dem Admiralspalast sogar der Abriß. Im Senat kursierten Überlegungen, den Denkmalschutz aufzuheben und das wertvolle Grundstück meistbietend zu verscherbeln. Schon kreisten die Immobilienhaie um das Filetstück am Bahnhof Friedrichstraße.

Nach zweijährigem Hin und Her wurde der Admiralspalast Anfang 2005 dann doch an eine Berliner Bietergruppe verkauft, die das Baudenkmal für Kulturveranstaltungen nutzen will. Im großen Saal soll es wieder Theater und Konzerte geben. Neu entstehen ein kleinerer Theatersaal und ein Club. Ein schönes Café soll die Straßenfront an der Friedrichstraße wiederbeleben. Sogar das historische Damenbad wird wiederaufgebaut und um eine Wellness-Oase ergänzt. Plantschen dürfen die Herren und Damen Haifische dort künftig gemeinsam, ganz oben im vierten Stock, hoch über der Spree.

Mit einer »Dreigroschenoper« in Starbesetzung startet der Admiralspalast in eine neue Ära und knüpft zugleich an seine Tradition als populäres Musiktheater an. Was ist dort nicht alles schon gespielt worden: Eisballette und Berlin-Revuen, das klassische Opernrepertoire von »Orpheus und Eurydike« über die »Zauberflöte« bis zu »Parsifal«, Operetten vom »Pariser Leben« bis zum »Weißen Rössl«, Musicals wie »My Fair Lady« und »Cabaret« - das ganze Spektrum des Musiktheaters von der seichtesten Unterhaltung bis zum Bühnenweihfestspiel. Erstaunlich genug, dass es noch nie eine »Dreigroschenoper« auf diese Bühne geschafft hat. Das Stück bereicherte 1928 das Musiktheater und die Berliner Unterhaltungskultur um eine ganz neue Farbe. Die »Dreigroschenoper« passt in den Admiralspalast, hat mit seiner Tradition zu tun und steht doch auch für einen frechen Neuanfang. Wenn in den alten Mauern noch gute Geister schlafen, dann müssten die Synkopen der Weillschen Musik sie wachrütteln. Bühne frei für die Haifische!