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Wem gehört die Kunst?

Eine Ausstellung über von den Nazis geraubte Kunstwerke im Jüdischen Museum Berlin

von Elke Linda Buchholz


Entspannt reckt der nackte Jüngling seinen schlanken Körper und blickt auf das vor ihm im Grünen sitzende Mädchen, beobachtet von zwei Gefährtinnen. Das idyllische Gemälde des Brücke-Expressionisten Otto Mueller hängt als Sammlungshighlight in der Kunsthalle Emden. Deren Gründer Henri Nannen hatte es 1979 im Kunsthandel erworben, im guten Glauben, es stamme aus den ehemaligen Beständen der Berliner Nationalgalerie. Denn ein altes Foto belegt, dass es 1937 mit dieser Herkunftsangabe in der Ausstellung "Entartete Kunst" gezeigt wurde.

Im August 1998 jedoch enthüllte die Kunsthistorikerin Anja Heuß das wahre Schicksal des Gemäldes. Der jüdische Rechtsanwalt Ismar Littmann hatte es nach dem Ersten Weltkrieg in Breslau erworben, ebenso wie Hunderte anderer Gemälde moderner Künstler. Littmann nahm sich 1934 das Leben, nachdem die Nazis ihm als jüdischem Anwalt die Zulassung entzogen hatten. Seine Familie beschloss, Teile der Kunstsammlung versteigern zulassen, um emigrieren zu können. Doch bevor Otto Muellers Gemälde in Berlin zur Auktion kam, beschlagte die Gestapo es 1936 in dem beauftragten Auktionshaus und übergab es der Nationalgalerie.

Die Emdener Kunsthalle reagierte prompt auf die neue Faktenlage und restituierte das Gemälde 1999 an die Erben. Wäre nicht in den 1990er Jahren das alte Inventar der Sammlung Littmann aufgetaucht, die ganze Geschichte wäre nie ans Licht gekommen. Mit öffentlichen und privaten Geldern konnte die Kunsthalle das Werk zurückkaufen: eine für beide Seiten faire Lösung.

Der etwa gleichzeitig ins Rollen gekommene Streit um Egon Schieles "Bildnis Wally" dagegen ist bis heute nicht entschieden. Das Gemälde aus der Wiener Museumsstiftung des Privatsammlers Rudolf Leopold wurde 1998 in New York während einer Ausstellung als Diebesgut beschlagnahmt. Es war der Wiener Galeristin Lea Bondi-Jaray 1938 im Zuge der Arisierung abgepresst worden. Eine Einigung ist nicht ins Sicht.

Zwei spektakuläre Beispiele unter vielen, die seit etwa 10 Jahren für Aufsehen sorgen. 1998 begann mit der Washingtoner Erklärung ein neues Kapitel im Umgang mit Kulturgütern, die die Nazis ihren meist jüdischen Besitzern geraubt, durch Enteignung, Beschlagnahme oder Zwangsverkauf entzogen hatten. 44 Länder und 13 Nichtregierungsorganisationen verpflichteten sich damals, gezielt ihre öffentlichen Museen, Archive und Bibliotheken nach fraglichen Beständen zu durchforsten, statt Zweifelsfälle schweigend unter den Teppich zu kehren.

De facto allerdings stellte sich heraus, das sich viele, gerade kleinere Institutionen in Deutschland finanziell und fachlich nicht in der Lage sahen, die nötigen umfangreichen Provenienzrecherchen durchzuführen. Seit Anfang dieses Jahres soll daher eine zentrale, vom Bund finanzierte Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin die Institutionen unterstützen.

Die lange vernachlässigte Provenienzforschung ist ein entscheidender Faktor im Streit um Rückgabeforderungen. Denn nur wenn sich lückenlos nachweisen lässt, wer wann welche Kunstgüter besessen, verkauft, beschlagnahmt oder erworben hat, bewegen sich Erben, Anwälte und Museen auf einigermaßen sicherem Terrain. Doch das ist selten der Fall. Fast immer sind die einstigen Besitzer längst tot, die Erben in alle Welt verstreut. Selten konnten die Überlebenden Belege über ihre Besitztümer retten. Wenn eine Nichte sich nur erinnert, dass im Salon ihres Onkels auch ein Liebermann-Bild hing, lässt sich damit wenig beweisen.

Neue Recherche-Instrumente im Internet sollen für mehr Transparenz sorgen: So ging im August eine Online-Datenbank des Deutschen Historischen Museums ans Netz, die alle vorhandenen Informationen über Hitlers geplantes Führermuseum in Linz zusammenträgt. Sie umfasst 4731 Gemälde, Möbel und andere Kunstobjekte, die seit 1939 in Deutschland und den besetzten Gebieten beschlagnahmt. Die Arbeitsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg betreibt - finanziert von Bund und Ländern - eine Lost Art-Datenbank im Internet, in der auch Beutekunst erfasst, die kriegsbedingt aus Deutschland ins Ausland verbracht wurde.

Ein intarsienverziertes Cembalo von 1633, ein expressives Porträt von Corinth, ein silbernes Kinderarmband und die Bibliothek Arthur Schnitzlers - sie alle wechselten in der NS-Zeit den Besitzer: Ohne jede rechtsstaatliche Grundlage, unter Zwang und Bedrohung gelangten sie aus den Wohnungen ihrer Eigentümer in die Hände von Gestapo-Männern, Kunsthändlern, Museumskuratoren und Verwaltungsleuten. "Die größte Eigentumsverschiebung in der europäischen Geschichte seit der Säkularisierung der Kirchengüter" sagen die Kuratoren der Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin, die jetzt 10 Jahre nach der Washingtoner Erklärung eine Zwischenbilanz zieht.

Sie rollt die Bürokratie des Raubes und die verschlungenen Pfade der Restitution auf. Sie lenkt auch den Blick darauf, wie alte antisemitische Stereotype vom geldgierigen Juden unterschwellig die Debatten bestimmen. Erben, Museumsleute, Provenzienzforscher und Anwälte kommen mit ihren konträren Ansichten in Interviews zu Wort. Die Ausstellung fragt auch danach, warum die Rückgabeverfahren häufig so emotionale Reaktionen in der Öffentlichkeit hervorrufen.

Wenn Restitutionsforderungen durch die Medien rauschen, geht es stets um klingende Namen, berühmte Bilder, millionenschwere Werte: Ernst Ludwig Kirchners "Berliner Straßenszene" aus dem Berliner Brücke-Museum, Gustav Klimts goldenes Bildnis der Adele Boch-Bauer aus dem Österreichischen Belvedere in Wien, Picassos "Junge mit Pferd" aus dem Museum of Modern Art: Sie sind Spitzen eines Eisbergs, der nur langsam abschmilzt und die internationale Museumslandschaft in Atem hält.

Wenn ein Bild aus allgemein zugänglichem Museumsbesitz in eine Privatsammlung zu verschwinden droht, ins Ausland geht und im internationalen Kunsthandel versteigert wird, stellt sich in der Öffentlichkeit und in den betroffenen Museen oft ein Gefühl des Beraubtseins ein. So als kehre sich die Täter-Opfer-Rolle um. In der Museumslandschaft wächst das Bewusstsein, dass jede Sammlung, jedes Archiv betroffen sein kann. Franz Marcs "Kleine blaue Pferde" in der Stuttgarter Staatsgalerie etwa stammen aus derselben jüdischen Privatsammlung wie Kirchners bereits restitutierte "Berliner Straßenszene". Noch schwebt das Stuttgarter Verfahren.

Von vielen kritisch gesehen wird das Gebahren amerikanischer Anwälte. Sie arbeiten oft für ein Erfolgshonorar von 50 Prozent, stöbern systematisch fragliche Fälle und die Erben auf. Wird dann ein solches Objekt restituiert, landet es meist auf dem internationalen Kunstmarkt, da die Erben sonst die Anwälte nicht bezahlen könnten. Hätten die betroffenen Museen das Problem von sich aus rechtzeitig offensiv angegangen, wäre eine Einigung, wie im Emdener Fall, vielleicht möglich gewesen.

Auch national unterschiedliche Rechtsauffassungen komplizieren die Lage. Rein juristische Kategorien mischen sich mit moralischen Ansprüchen. Oft haben die strittigen Objekte in der Zwischenzeit mehrfach die Besitzer gewechselt und die derzeitigen Eigentümer pochen auf formalrechtlich gültige Kaufverträge. Nach formalen Regeln wären viele Ansprüche ohnehin schon verjährt. Jeder Fall liegt anders, jeder muss neu en Detail betrachtet werden.

Auf 134 Millionen Euro wird Picassos Gemälde "Junge mit Pferd" aus dem Museum of Modern Art in New York geschätzt. Jetzt fordern der Historiker Julius Schoeps und 26 weitere Erben die Rückgabe des Bildes. Vor fünf Jahren wusste Schoeps noch gar nicht, dass sein Großonkel Paul Mendelssohn-Bartholdy eine großartige Kunstsammlung von Monet bis van Gogh besaß. Picassos "Junge mit Pferd" kaufte ein amerikanischer Unternehmer preisgünstig 1936 in der Schweiz und schenkte es 1964 dem MoMA. Um die Frage, ob sich Mendelssohn-Bartholdy unter dem Druck der Nazis von dem Bild trennte, wird nun erbittert gestritten.

Die Folgen nationalsozialistischen Unrechts zu überwinden, bleibt ein unabgeschlossenes Projekt. Die Kuratoren der Ausstellung vertreten sogar die Ansicht, dass erst die Rückgabe der unrechtmäßig angeeigneten Güter die durch die Nazis zerstörte Rechtsordnung in Deutschland wiederherstellt.

Ausstellung Raub und Restitution bis 25.1.2009 im Jüdischen Museum Berlin
Mo 10-22, Di-So 10-20
(danach 22.4.- 2.8.2009 Jüdisches Museum Frankfurt am Main)
Begleitbuch im Wallstein Verlag, 24,90 ¤


Links:

www.jmberlin.de/raub-und-restitution
www.lostart.de
www.dhm.de/datenbank/linzdb