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Die Krise kommt auf leiser Sohle
Wie wirkt sich der Wirtschaftsabschwung auf die Kulturförderung aus? Eine Umschau

von Michael Bienert


Das kleine Kino an der Ecke übt sich in Krisenbewältigung. Es klebt leuchtende Zettel mit dem Hinweis „Werbefreie Vorstellung“ auf die aushängenden Filmplakaten. Sofort kriegt man Lust, wieder ins Kino zu gehen. Es wäre schade, wenn das letzte Kino im Wohnbezirk auch noch einginge, vor allem wegen der Nachmittagsvorstellungen für Kinder, die man sonst in einen anderen Stadtteil begleiten müsste.

Zuerst erwischt es die Kleinstbetriebe der sogenannten Kreativwirtschaft, die vor wenigen Monaten noch als beschäftigungsintensive Wachstumsbranche gefeiert wurde: Kleinkünstler und Musiker, die nicht mehr für Firmenfeiern gebucht werden, oder Grafikbüros, die keine Aufträge für die Gestaltung von Anzeigen mehr bekommen. Oder Maler und Galeristen, die schon Zusagen für Ankäufe hatten und nun auf den Bildern sitzen bleiben. Hinzu kommt der plötzliche Preisverfall auf dem Kunstmarkt: eine für viele Galeristen existenzbedrohende Situation.

Es aber gibt auch gute Nachrichten. Das Berliner Grips-Theater und die Neuköllner Oper, zwei wichtige Off-Theater der Hauptstadt, haben ihrer Sponsorenverträge mit dem Energieversorger Gasag gerade um weitere vier Jahre verlängert. Unter anderem finanziert die Firma einen Autorenwettbewerb, bei dem neue Stücke für das Kinder- und Jugendtheater entstehen. „Solche gewachsenen Strukturen halten Krisenzeiten aus“, meint Stephan Frucht, Geschäftsführer des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft. Ob sich Firmen derzeit von ihrem Engagement für Kultur zurückziehen, hänge nicht allein von ihrer Wirtschaftslage ab. Jede Firma habe ihre eigene Unternehmenskultur und reagiere verschieden, abhängig von Branche, Region und der Form ihres Engagements.

Als „Schockstarre“ bezeichnet Frucht die momentane Stimmung in den Unternehmen. Eher schlechte Zeiten für Kultureinrichtungen, die Finanziers für neue Projekte suchen. Mit der Kündigung bereits verabredeter Kooperationen und langfristiger Engagements aber halten sich die Unternehmen zurück. Der Imageschaden wäre größer als der finanzielle Nutzen.

Empfindlich getroffen hat der Wirtschaftsabschwung die Kunststiftung Baden-Württemberg, die vor allem junge Künstler fördert. Sie finanziert sich zu 50 Prozent aus Spenden und Sponsorengeldern. Auf jeden so eingenommenen Euro legt das Land Baden-Württemberg einen drauf, daher schmerzt jede ausbleibende Spende doppelt. Um ein Fünftel bis ein Viertel seien die Einnahmen in den letzten Monaten zurückgegangen, schätzt Geschäftsführerin Petra von Olschowski. Auch einer ihrer Hauptsponsoren sei abgesprungen: „Das alles ist besonders bitter, weil es die Künstler, die wir unterstützen, ganz direkt trifft.“

Noch gar nicht zu beziffern sind die Verluste an Stiftungskapital und Zinserträgen durch die Wirtschaftskrise. Das Vermögen aller gemeinnützigen Stiftungen in Deutschland wurde bisher auf rund 100 Milliarden Euro geschätzt. Wie andere auch ist die Kunststiftung Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren dahingehend beraten worden, 20 Prozent ihres Vermögens in Aktien anzulegen. Die sind derzeit nicht viel wert. Dieses Problem habe auch die Stiftung des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft, räumt Stephan Frucht. Es gebe allerdings Rücklagen aus den vergangenen Jahren, deswegen müsse man jetzt gleich nicht brutal mit dem Rotstift die Liste der Förderprojekte zusammenstreichen.

Anders als in Amerika, dem Epizentrum der Finanzkrise, ist bisher kein großes Museum, Theater oder Orchester in Deutschland in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. In den USA hat der Konjuktureinbruch sofort geführt, dass große Ausstellungen, Theaterpremieren, Konzerte gestrichen und Mitarbeiter entlassen werden mussten. Denn dort trägt der Staat nur etwa 10 Prozent der Kulturausgaben, der Löwenanteil muss durch private Spenden, Sponsorengelder oder Eigeneinnahmen hereinkommen. Von den 8,6 Milliarden Euro hingegen, die in Deutschland jährlich für Kulturförderung ausgegeben werden, stammen über 90 Prozent aus den Haushalten der Kommunen, der Länder und des Bundes.

Doch auch Museen, Theater, Literaturhäuser oder Archive, deren laufenden Betrieb die öffentliche Hand sichert, sind vielfach auf Spenden oder Sponsorengelder angewiesen, um zum Beispiel Ankäufe zu finanzieren oder innovative Projekte zu realisieren. Versiegt diese Quelle, wird sich das auch in den Veranstaltungsplänen staatlicher Kunstinstitutionen bemerkbar machen.

In den Interviews der vergangenen Wochen verbreitete Kulturstaatsminister Bernd Neumann die optimistische Botschaft, das deutsche System des Kulturfinanzierung erweise sich als krisenfest. Ja, die Kultur profitiert sogar von der Krise, wenn Mittel aus den Konjunkturprogrammen in die Sanierung maroder Theater oder Bibliotheken fließen. Doch die vermeintliche Stabiliät ist ein Trugbild, da gleichzeitig das Steueraufkommen sinkt und die Staatsverschuldung steigt. „Nicht die private Kulturfinanzierung sollte uns in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise zuerst Sorgen machen, sondern der Zustand der öffentlichen Kassen“, warnt Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer der deutschen Kulturrates. Er rechnet fest damit, dass die Finanzpolitiker nach der Bundestagswahl wieder Kurs auf öffentliche Haushalte mit geringer Neuverschuldung nehmen werden.

In der Zeitschrift „Politik und Kultur“ sieht Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund 2010 bereits „Einsparungen in allen Bereichen auf die Kommunen zukommen“. Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, rechnet mit „beinharten Verteilungskämpfen“ und warnt vor einem „Kannibalismus zwischen den Kultureinrichtungen“. Absehbar ist die Renaissance einer Sparpolitik, die im Jahrzehnt zwischen 1995 und 2005 bereits zu drastischem Personalabbau und einer Unterfinanzierung vieler Kultureinrichtung geführt hat. In der Zwischenzeit hatte der Druck etwas nachgelassen, weil der Bund seine Kulturausgaben erhöhte und die Länder nachzogen.

Von der Wirtschaft ist keine Kompensation zu erwarten, egal wie sich die Konjunktur entwickelt. „Unternehmen wollen eines nicht: dort einspringen, wo die öffentliche Hand sich zurückzieht“, stellt Stephan Frucht vom Kulturkreis klar. Dasselbe Lied hört man aus den gemeinnützigen Kulturstiftungen.

Die hohe Staatsquote bei den Kulturausgaben wirkt momentan wie ein Damm gegen die Schockwellen der Finanzkrise. Aber auch dieser Damm wird irgendwann brüchig. Die hiesigen Kulturmanager haben es besser als ihre Kollegen in den USA, die über Nacht vor eine katastrophale Situation gestellt wurden. Die deutschen Kulturinstitutionen sollten diesen Vorteil nutzen. Sie müssen sich jetzt schon auf das Überleben unter raueren Bedingungen vorbereiten, Allianzen schmieden und eine ähnlich gute Lobbyarbeit betreiben wie die Autoindustrie. Der ist es gelungen, sich als absolut schützenswertes Kulturgut und als Zukunftsindustrie zu positionieren. Jetzt ist es an der Kultur zu zeigen, dass sie nicht nur Opfer der Krise, sondern Teil der Lösung sein kann.

ERSTDRUCK: STUTTGARTER ZEITUNG vom 4. April 2009