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Beuys-Ausstellung im Hamburger Bahnhof. Foto: Bienert


Im Labyrinth der Künstlerlermythen

Der „Kult des Künstlers“ in Berlin

von Michael Bienert

Wie ein griechischer Tempel auf hohem Sockel beherrscht die Alte Nationalgalerie die Berliner Museumsinsel. Eine Überfülle von Reliefs und Skulpturen zur Verherrlichung des Künstlerberufs schmückt das ganze Haus. Ganz oben in dieser preußischen Walhalla sitzt ein unbekannter Künstler auf einer Holzkiste vor der Staffelei. Bei Wasser und Brot malt er den heiligen Martin, der mit dem Schwert seinen Mantel teilt, um einen frierenden Bettler zu bekleiden. Dabei wird der junge Maler von Mäusen abgelenkt, die sich in seiner engen Dachkammer über den letzten Kanten Brot auf dem Tisch hermachen.

Der Wiener Josef Danhauser hat das Atelierbild 1831 gemalt, es hängt in einem wunderschönen Oberlichtsaal zwischen ähnlichen Motiven. Caspar David Friedrich richtet in einer kargen, weltabgeschiedenen Kammer seinen kritischen Blick auf die Staffelei. Einem Palast gleicht das Wohnatelier des Marinemalers Theodor Gudin, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu den Arrivierten gehörte. Bittere Armut und bürgerlicher Wohlstand, tiefe Einsamkeit und fröhliche Geselligkeit sind an den Atelierbildern abzulesen.

Eine Etage tiefer widmet sich eine Ausstellung dem Maler Hans von Marées, der im 19. Jahrhundert immer wieder an seinem eigenen Kunstanspruch scheiterte, indem er Bilder durch häufiges Übermalen verdarb, daneben einige großartige Werke zuwege brachte wie die Fresken der Zoologischen Station in Neapel. Lange galt Marées als gescheitert, wurde um 1900 postum zur Kultfigur der Moderne erhoben, dann wieder halb vergessen.

Um die Glorifizierung und Gefährdung der Kreativen geht es in allen zehn Ausstellungen zum „Kult des Künstlers“, mit denen die Berliner Staatlichen Museen in diesem Oktober ihren Generaldirektor Peter-Klaus Schuster in Rente schicken. Alte und Neue Nationalgalerie, sowie der für Gegenwartskunst reservierte Hamburger Bahnhof zeigen teils ihre Sammlungen in ungewohnter Hängung, teils umfängliche Sonderausstellungen zu Hans von Marées, Paul Klee, Jeff Koons und Joseph Beuys. In allen drei Häusern der Nationalgalerie gehen die Ausstellungen räumlich fließend ineinander über, was den Überblick nicht erleichtert.

Christina Weiss, als Vorsitzende des Freundeskreises der Nationalgalerie maßgeblich an der Finanzierung beteiligt, nennt den „Kult des Künstlers“ unverblümt eine „Dachmarke“. Und niemand hinterfragt die steile These des scheidenden Generaldirektors, der Künstler sei „die zentrale mythische Figur des Abendlandes.“ Das nährt den Verdacht, bei dem kultigen Motto handle sich vor allem um einen Marketingtrick. Doch die Kuratoren - rund ein Dutzend - haben sich redlich bemüht, die Wandlungen des Künstlerbildes aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Ihr Angebot reicht von einer filigranen Kabinett-Ausstellung über die Künstlerfreundschaft zwischen dem Architekten Schinkel und dem Dichter Brentano bis zur erschöpfenden Beuys-Retrospektive im Hamburger Bahnhof.

Beuys war nicht nur eine Kultfigur, er hat auch den alten Glauben an die messianische Kraft der Kunst erneuern wollen. Kunst begriff Beuys als „die einzige wirklich revolutionäre Kraft“, deshalb propagierte er die Erweiterung des Kunstbegriffs und forderte jedermann auf, den Künstler in sich zu entdecken. Kurator Eugen Blume hat Skulpturen, Zeichnungen, Zitate und 50 Videodokumente zu einer überwältigenden Beuys-Collage montiert. Sie soll vor allem die Nachgeborenen mit dem Kosmos seines Denkens konfrontieren. Eine überraschend neue Sicht auf den charismatischen Kunstguru ermöglicht die Schau nicht. Die weltweite Krise des kapitalistischen Finanzsystems allerdings verleiht der Retrospektive eine hohe Brisanz: Wer jetzt in Zweifel gerät, ob in Wirtschaft, Politik und Kultur einfach so weitergewurstelt werden darf bisher, entdeckt in Beuys einen beherzten Vordenker.

Spannend ist auch die Umklammerung des Beuys-Komplexes durch zwei konträre Ausstellungen im Hamburger Bahnhof. Eine widmet sich Andy Warhols Lust am Starkult in einer knallbunten Inszenierung mit rotem Laufsteg und Museumsshop mitten im Saal. Warhol, das freche Genie der kapitalistischen Selbstvermarktung, hat sich selbst die antikapitalistischen Kultfiguren Mao und Beuys anverwandelt. Die andere Ausstellung in den Rieck-Hallen geht von Marcel Duchamp aus, der jeden Anspruch auf Wahrhaftigkeit oder gar kultische Verehrung der Kunst strikt ablehnte. Duchamps Readymades eröffnen einen Parcours der lustvollen Dekonstruktionen von Künstlermythen im 20. Jahrhundert.

„Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden“, frozzelte etwa Martin Kippenberger und nagelte einen silbernen Frosch ans Kreuz. Dieter Roth stapelte 150 Fernseher in Regale, auf denen der Künstler bei allen möglichen Alltagsvorrichtungen zu sehen ist: ein modernes Pendant zu den selbstkritischen Atelierbildern aus dem 19. Jahrhundert in der Alten Nationalgalerie. Rein gar nichts können viele Künstlerinnen mit den männlich geprägten Schöpfermythen anfangen. So sucht die Verwandlungskünstlerin Cindy Sherman in ihren Verkleidungen keinen genialischen Ausdruck, sondern experimentiert ergebnisoffen mit ihrem Körper als Material.

Dass der Kult um die Künstler von vielen Kreativen sehr kritisch gesehen wird, ist keine Überraschung. Doch es hat Witz, wie in den großzügigen Rieck-Hallen wenige Werke pointiert mit knackigen Künstlerzitaten kombiniert sind. Am Ende der schier endlosen Hallenflucht wartet eine Sackgasse. „Where Do We Go From Here?“ heißt die finale Installation von Ugo Rondidone. Auf allen vier Innenwänden eines Sperrholzverschlags flimmern überlebensgroße Videoprojektionen von träge herumlungernder Clowns. Es sind Künstler, denen die Lust vergangen ist, ihr Publikum zu unterhalten. Kult des Künstlers, adieu!

Ausstellungen zum „Kult des Künstlers“:

In der Alten Nationalgalerie bereits eröffnet:

„Im Tempel der Kunst“, bis 18. 1. - „Hans von Marées. Sehnsucht nach Gemeinschaft“, bis 4. 1. - „Schinkel und Brentano“, bis 11. 1. Kataloge zu allen Ausstellungen im Prestel Verlag, je 19.90 Euro.

Im Hamburger Bahnhof bereits eröffnet:

„Beuys - Die Revolution sind wir“, bis 25. 1. Umfangreicher Katalog, herausgegeben von Eugen Blume im Steidl Verlag, 49 Euro. - „Celebrities. Andy Warhol und die Stars“, bis 11.1. - „Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden. Dekonstruktionen des Künstlermythos“, bis 22. 2. - Kataloghefte in der Reihe „Hamburger Bahnhof. Museum für Gegenwart“, Nr. 13 und 14, je 10 Euro.

Am Kulturforum ab Ende Oktober:

„Das Universum Klee“ und „Jeff Koons. Celebrations“, beide in der Neuen Nationalgalerie vom 31. 10. bis 8.2.. Nebenan in den Ausstellungshallen am Kulturform „Idea“, eine Ausstellung der Kunstbibliothek, vom 28. 10. bis 15.2.

Außerdem im Alten Museum vom 29. 10. bis 1. 3. „Giacometti, der Ägypter“. Weitere Informationen unter www.kultdeskuenstlers.de oder Tel. 030-2663666.