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Ohne Fingerspitzengefühl gibt es keine Lösung

Der Streit um die Restitution geraubten jüdischen Kulturbesitzes geht 2009 in eine neue Runde

von Michael Bienert

Fröhlich kommen dem Bildbetrachter drei splitternackte Frauen entgegen, die vordere mit ausladenden Hüften, die mittlere tänzelnd mit erhobenen Händen, während die dritte sich eben erst aus dem Schutz eines Wäldchens zu lösen scheint. Die Gesichtslosigkeit der Damen und der expressive Pinselstrich steigern die unbeschwerte Erotik des Motivs. Das 1912 gemalte Bild „Drei Akte im Wald“ von Ernst Ludwig Kirchner galt 70 Jahre lang als verschollen. Nun wird es am 27. Mai vom Kölner Auktionshaus Van Ham versteigert, der Schätzpreis liegt bei 400.000 bis 600.000 Euro.

Die „Drei Akte im Wald“ gehörten zur umfangreichen Expressionistensammlung des jüdischen Kunstliebhabers Alfred Hess, der bereits 1931 starb. In der Nazizeit musste seine Frau Bilder verkaufen, um zu überleben. Kirchners Bild wurde 1936 von Zürich an den Kölner Kunstverein geschickt und als Schnäppchen von einem Sammler erworben, danach blieb es in Familienbesitz. In derselben Bilderlieferung befand sich Kirchners berühmte „Berliner Straßenszene“. Dieses Bild war bis 2006 ein Hauptwerk im Berliner „Brücke“-Museum, wurde dann vom Berliner Senat an die Hess-Erben restituiert und in New York für rund 38 Millionen Dollar versteigert.

Vorgewarnt ließ das Auktionshaus Van Dam die Provenienz der „Drei Akte im Wald“ untersuchen und stellte einen Kontakt zwischen den Noch-Besitzern und den Hess-Erben her. Anwälte handelten eine Einigung aus, über die - wie in solchen Fällen üblich - Stillschweigen bewahrt wird. Die Nachfahren der jüdischen Vorbesitzer verzichteten auf jegliche Restitutionsansprüche. „Wir würden uns ins eigene Fleisch schneiden, ein Bild anzubieten, bei dem der Käufer mit Rückgabeforderungen rechnen muss“, sagt dazu Kristina Erlemann vom Auktionshaus.

Private Käufer hätten zwar kaum etwas zu befürchten, sie könnten sich darauf berufen, dass das NS-Unrecht verjährt ist. Ein öffentliches Museum aber müsste das erworbene Bild an die Hess-Erben zurückgeben. Auf Basis der „Washingtoner Erklärung“ von 1998 haben sich Bund, Länder und Kommunen dazu verpflichtet, in der Nazizeit „verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter“ aufzuspüren und zurückzugeben - unabhängig davon, wann sie in öffentliche Sammlungen gelangt sind. Deswegen konnte die im Landesbesitz befindliche „Berliner Straßenszene“ nicht im Brücke-Museum bleiben.

Auch die Stuttgarter Staatsgalerie ist ein öffentliche Einrichtung. Daher droht sie „Die kleinen blauen Pferde“ von Franz Marc und die „Barfüßerkirche in Erfurt“ von Lyonel Feininger zu verlieren. Seit 2006 fordern die Hess-Erben die Rückgabe. Es gibt allerdings Hoffnungszeichen, dass die Bilder nicht automatisch den Weg ins Auktionshaus gehen müssen. In Hannover verhandelt das Sprengel-Museum mit den Erben über den Verbleib eines weiteren Bildes von Franz Marc. Das „Kinderbild“ war 1983 von der Norddeutschen Landesbank gutgläubig erworben und dem Museum als Dauerleihgabe überlassen worden. Als die Anwälte der Hess-Erben an die Bank herantraten, habe man gemeinsam die Umstände des Besitzerwechsels geklärt, berichtet Pressesprecher Jan-Peter Hinrichs. Über die Ergebnisse sei allerdings Stillschweigen vereinbart worden, denn die Hess-Erben wünschten nicht, dass alle Details ihrer Verfolgungsgeschichte an die Öffentlichkeit gezerrt würden. „Wir haben eine moralische Verpflichtung gesehen, ihnen das Bild zurückgeben“, so der Sprecher der Bank. Vorerst bleibt es als Leihgabe der Hess-Erben im Sprengel-Museum. Wie lange, das hängt nun auch vom Verhandlungsgeschick des Museumsdirektors ab.

„Wir kommen ja nicht wie die Raubritter“, sagt der auf solche Fälle spezialisierte Berliner Anwalt Peter Schink. Zusammen mit einer amerikanischen Kanzlei vertritt er die Interessen der Hess-Erben gegenüber deutschen Museen. „Wenn die Chemie stimmt, umso besser für alle Beteiligten“. Der Anwalt mag seine Verhandlungstaktik nicht offenlegen, aber es klingt nicht so, als sei er beauftragt, knallhart den maximalen Profit herausschlagen. Schink mag nicht ausschließen, dass das „Kinderbild“ in Hannover bleiben kann. Und wenn die Klärung der Provenienz bei der Stuttgarter Bildern abgeschlossen sei, dann werde man sicher „mit ausgestreckter Hand“ auf die Staatsgalerie zugehen.

Bei der Suche nach einem fairen Interessenausgleich zwischen alten und neuen Eigentümern hängt viel vom Verhandlungsklima ab. Schrille Begleitmusik stört dabei. Der lautstarke „Spiegel“ hat Anfang April den britischen Kunstexperten Norman Rosenthal mit der Forderung zu Wort kommen lassen, einen Schlussstrich unter die Restitution zu ziehen. Natürlich hat Rosenthal recht, wenn er feststellt, dass die Rückgabe einiger alter Gemälde und Bücher den Judenmord nicht wiedergutmachen kann. Wenn findige Juristen sich daran eine goldene Nase verdienen, ist das ärgerliche Geschäftsmacherei. Doch es geht nur in Ausnahmefällen um hohe materielle Werte. Gerade die Rückgabe von weniger wertvollen Erinnerungsstücken ist ein Zeichen des Respekts vor denen, die ganz persönlich gelitten haben. Die Selbstaufklärung des Kulturbetriebs über die Ausplünderung der jüdischen Mitbürger in der Nazizeit jetzt einzustellen, wäre das falsche Signal.

Daher hat sich die Stiftung Preußischer Kulturbesitz umgehend von Rosenthals Forderungen distanziert, auch die Kultusministerien und der Kulturstaatsminister wollen den eingeschlagenen Weg nicht verlassen. „Provenienzrecherche ist und bleibt die beste Grundlage für faire und gerechte Lösungen“, erklärte Kulturminister Bernd Neumann am vergangenen Mittwoch. Anlass war die Bewilligung von 900.000 Euro vom Bund für 17 Rechercheprojekte in Museen, Archiven und Bibliotheken. Auch Baden-Württemberg bekommt Geld vom Bund, mit dem Stellen für Provenienzforschung in der Staatsgalerie und im Württembergischen Landesmuseum eingerichtet werden. Das werde „der Recherchearbeit einen wichtigen Schub geben“, erklärt Kulturstaatssekretär Dietrich Birk. In beiden Museen müsse die Herkunft von jeweils mehr als 1000 Sammlungsobjekten geklärt werden. „Alle öffentlichen Museen, Archive und Bibliotheken im Land sollen ihre Bestände überprüfen“, so Birk. Dafür sind 120.000 Euro Landesmittel zur Verfügung gestellt worden, die allerdings kaum ausreichen dürften.

Sprengstoff birgt ein Urteil des Berliner Landgerichts vom Februar. Der Sohn des jüdischen Sammlers Hans Sachs klagte auf Herausgabe eines Plakates, das 1938 von der Gestapo beschlagnahmt worden war. 1961 hatte Sachs senior von der Bundesrepublik eine Entschädigung erhalten, fünf Jahre später erst erfuhr er, dass 4000 Plakate seiner Sammlung im „Museum für Deutsche Geschichte“ in Ostberlin lagerten. In einem Brief äußerte sich Sachs zufrieden mit der Abfindung und dem Verbleib der Plakate. Dennoch habe er sein Eigentumsrecht nie verloren, befand nun das Gericht: Demnach müsste das Museum die Plakate an den Erben herausgeben.

Damit aber gerät das gerade erst etablierte System der späten Entschädigung auf Basis der „Washingtoner Erklärung“ ins Wanken. Denn es setzte voraus, dass alle früheren Entschädigungsregelungen juristisch abgeschlossen sind und vor Zivilgerichten wegen Verjährung keine Rückgabe mehr durchgesetzt werden kann. Nun drohen neue langwierige Prozesse. Daher legte das Museum im Einvernehmen mit Kulturstaatsminister und Finanzministerium am 12. März Berufung gegen das Sachs-Urteil ein, das juristische Tauziehen geht in die nächste Instanz.

Im Fall Sachs konnten sich Museum und Erbe nicht auf eine faire Lösung verständigen. In solchen Situationen ist vorgesehen, dass beide Seiten eine Schlichtungskommission unter Vorsitz der ehemaligen Bundesverfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach anrufen. Sie empfahl im Januar 2007 den Verbleib der Sachs-Plakate im Deutschen Historischen Museum. Die Autorität dieser höchsten Schlichtungsinstanz ist durch das Urteil des Berliner Landgerichts beschädigt. Das ganze außergerichtliche Verfahren der späten Restitution aus öffentlichem Besitz steht in Frage. Es sollte den NS-Opfern und ihren Nachkommen helfen, geraubtes Kulturgut leichter zurückzubekommen. Für sie wäre es nicht automatisch von Vorteil, wenn wieder Richter das letzte Wort haben.


Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 28. April 2009

Links:

www.jmberlin.de/raub-und-restitution
www.lostart.de
www.dhm.de/datenbank/linzdb