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THEATERKRITIK

Die Dreigroschenoper
von Berolt Brecht und Kurt Weill. Regie: Robert Wilson. Premiere am Berliner Ensemble am 27. September 2007. Mit Stefan Kurt, Christina Drechsler, Angela Winkler, Traute Hoess, Jürgen Holtz, Axel Werner u. a.


Geisterstunde mit Mackie Messer


von Michael Bienert

Die „Dreigroschenoper“ wird von den Berliner Theatern reihum gespielt. Sie ist eine sichere Zugnummer, selbst in eine so missratene Veranstaltung wie Brandauers All-Star-Event mit Campino im vergangenen Jahr strömten Zehntausende. Jetzt kam das Berliner Ensemble zum Zuge, dessen Chef Claus Peymann sich gern mit guten Auslastungszahlen brüstet. Eine „Dreigroschenoper“ am Schiffbauerdamm, da kann eigentlich nichts schiefgehen. Immerhin ist das Stück genau für dieses Theater geschrieben und komponiert worden. Der phänomenale Erfolg der Uraufführung im Jahr 1928 wirft allerdings einen langen Schatten: Die Erwartungen, dass etwas Neues und Aufregendes mit dem Stück passiert, sind am Berliner Ensemble besonders hoch.

Es war ein geschickter Schachzug von Claus Peymann, mit dem Remake Robert Wilson zu beauftragen. Der Texaner entwickelt seit 40 Jahren seine eigene, unverwechselbare Theatersprache, hat viele Opern inszeniert, aber noch nie ein großes Brecht-Stück. Berühmt geworden ist Wilson durch seine vielstündigen Theaterbilderbögen mit zeitlupenartig choreografierten Schauspielern, surrealen Szenen und zuvor nie gesehenen Lichteffekten. Dieses fast stumme Theater der Gesten und Zeichen besaß einmal eine ähnliche Sprengkraft wie die freche „Dreigroschenoper“. Aber das ist lang her, so wie das Stück hat sich Wilsons Ästhetik auf den großen Bühnen der Welt längst etabliert.

In Berlin wird die Begegnung der großen Theatergeister Brecht, Weill und Wilson zur Geisterstunde. Wie Gespenster lässt Wilson die schwarz gewandeten Dreigroschenfiguren mit bleich geschminkten Stummfilmgesichtern am Bühnenrand defilieren. Die Moritat von Mackie Messer im Vorspiel unterlegt er mit dem Knarzen einer alten Schellackplatte.

Der Bildermagier Wilson verzichtet darauf, die „Dreigroschenoper“ zu bebildern. Der Lichtzauberer Wilson geizt mit dem Bühnenlicht. Durch wenige Lichtstäbe schafft er minimalistische Räume, stellt die Figuren als schwarze Schatten vor eine beleuchtete Rückwand oder schneidet sie durch Spots aus dem umgebenden Dunkel heraus. Diese Armut der Mittel steht der Bettleroper gut zu Gesicht. Vor allem hilft sie den Ohren, den Reichtum der Partitur und des Librettos voll und ganz wahrzunehmen.

Das neunköpfige Miniorchester im Graben (angeführt von Hans-Jörn Brandenburg und Stefan Rager) besticht durch ziselierte Klangeffekte, die aggressive Schärfe der Weillschen Musik ist zurückgenommen. Auch die Schauspieler fetzen sich den rüden Text nie um die Ohren, sondern tragen ihn mit viel Gespür für Zwischentöne vor. Dem Amerikaner Wilson kommt hierbei die Erfahrung so grandioser deutscher Sprecher wie Walter Schmidinger (Zwischentexte und reitender Bote), Jürgen Holtz (Peachum) und Traute Hoess (Celia) zugute.

Die Schauspieler stecken im engen Korsett aus grotesk überzeichnenden Kostümen (Jacques Reynaud) und Gesten, wirken aber wunderbar frei im Singen und Sprechen. Allen voran Stefan Kurt als Mackie, kein gefährlicher Haifisch, sondern ein Dandy mit blonden Schmalzlocken. Diese karikaturistische Witzfigur stattet Kurt mit so viel Geschmeidigkeit und falschem Charme aus, dass man ihr den verführerischen Zauber schließlich doch abnimmt.

Die junge Schauspielerin Christina Drechsler als Polly wirkt nicht ganz so souverän in der Wahl ihrer Töne. Vielleicht soll das die Unreife der Figur zeigen. Von größerer Bedeutung für Mackie ist Jenny, die verlassene Hure, ein völlig abgekämpftes Geschöpf (Angela Winkler). Die Grausamkeit in den menschlichen Beziehungen geht durch die extreme Künstlichkeit der Inszenierung nicht verloren. Der oberste Repräsentant der gesellschaftlichen Ordnung, der Polizeichef Brown (Axel Werner), sieht aus wie ein Stummfilmvampir. Auch das hätte Brecht gefallen.

Wilson traut der „Dreigroschenoper“ keine revolutionäre Kraft mehr zu. Schon Brecht zweifelte daran. Aber Wilson verrät auch nicht den gesellschaftskritischen Impuls des Stücks. Er zwingt niemanden, in dem Spuk auf der Bühne ein Spiegelbild der Gesellschaft sehen, doch er lässt es zu. Damit können alle leben: Der Jubel nach der Premiere wollte gar nicht aufhören.

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 29. September 2007


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