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THEATERKRITIK

Zerbombt
von Sarah Kane. Premiere an der Schaubühne am 16. März 2005. Regie: Thomas Ostermeier. Mit Katharina Schüttler, Ulrich Mühe und Thomas Thieme

Horror der Liebe, Horror des Krieges


von Michael Bienert

Es gibt Stücke, die schaut man sich lieber nicht an, es sei denn, man hätte eine besondere Vorliebe für Sadismus, Vergewaltigung, Kriegsgreuel, Leichenschändung und Kannibalismus. Das alles kommt in Sarah Kanes Drama „Zerbombt“ in so hoher Dosis vor, dass es bei der Londoner Uraufführung vor zehn Jahren sogar die abgebrühten Briten schockierte. Danach schrieb die blutjunge Autorin noch eine Handvoll Dramen voller Gewalt und Schmerz, ehe sie sich 1999 mit 27 Jahren das Leben nahm. Sie litt unter schweren Depressionen, was einen nach der Lektüre ihrer Stücke nicht wundert. Zuletzt hat Sarah Kane die Dunkelheit ihrer Phantasie selbst nicht mehr ausgehalten.

Wie aber hält das Publikum die Gräuel auf der Bühne aus? Einige Zuschauer haben die Schaubühne vorgestern noch während der Premiere von „Zerbombt“ verlassen. Sicher wären es mehr gewesen, hätte eine Pause die Gelegenheit dazu geboten. An der Inszenierung von Thomas Ostermeier kann es indes nicht gelegen haben: Sie setzt keineswegs auf Theaterblut und blanken Horror, sondern spielt subtil mit der Einbildungskraft des Publikums.

Das Drama beginnt in einem naturalistisch möblierten Hotelzimmer, das der Bühnenbildner Jan Pappelbaum in einem Guckkasten schief vor das Auditorium gestellt hat: eine von vielen antiillusionistischen Maßnahmen, die dem Zuschauer die Freiheit lassen, jederzeit auf Distanz zu dem unappetitlichen Bühnengeschehen zu gehen. Die nüchtern-realistische Spielweise ist darauf angelegt, das Widerliche ganz normal aussehen zu lassen. Wenn der Journalist Ian rassistische Sprüche klopft oder sich von seiner Freundin einen runterholen läßt, dann wirkt das so alltäglich, als ob er sich duscht oder die Zähne putzt. Ebenso untheatralisch sehen Kates epileptische Anfälle aus, ihr Mitleid mit dem todkranken Ian oder ihre Zärtlichkeit für ein Baby, das sie im Kriegschaos aufsammelt. Mag die Dramatikerin Sarah Kane bei der Konstruktion der kaputten Liebesbeziehung noch so dick aufgetragen haben - Ulrich Mühe als Ian und Katharina Schüttler als Kate lassen das vergessen.

Nach Kates Vergewaltigung und Flucht verwandelt sich das Hotelzimmer in eine apokalyptische Trümmerlandschaft. Ein Soldat im Kampfanzug taucht auf, ein professioneller Kriegshandwerker, Killer und Folterknecht. Bösartig ist er nicht, er hat sich bloß den Gesetzen des Krieges angepaßt wie ein Tier auf der Suche nach Nahrung und Wärme. Ian wird von ihm vergewaltigt. Wie der bullige Thomas Thieme das mit dem duldsamen Opfer vollzieht, fernab von jeder konventionellen Bühnenrammelei, macht etwas vorstellbar, woran wir sonst lieber nicht denken. So wie der folgende Umschlag der soldatischen Lust in Sadismus und das Ausschlürfen von Ians Augen aus schierem Hunger.

„Zerbombt“ schrieb Sarah Kane unter dem Eindruck des Kosovo-Krieges. „Das hier ist keine Geschichte, die irgendwer hören will“, sagt Ian zu dem Soldaten, als der ihm die alltäglichen Massaker schildert. Deshalb muß Ian am eigenen Leibe erfahren, was Krieg heißt, bis hin zur Verstümmelung, zum Sterbenwollen und qualvollen Nichtsterbendürfen. Wer das Schreckliche nicht wahrhaben will, so die Lektion, wird irgendwann davon eingeholt.

Vielleicht kann das Theater diese schreckliche Konsequenz vermeiden helfen, indem es unserer Einbildungskraft rechtzeitig aufhilft? Indem es uns das, was wir lieber nicht sehen wollen, aufs Auge drückt? Das scheint die Hoffnung hinter dieser Inszenierung zu sein. Zum Glück setzen Ostermeier und seine großartigen Schauspieler nicht auf Überwältigung des Publikums, sondern halten meist die Balance zwischen Zeigen und Andeuten des Schrecklichen. Das macht den Horror verkraftbar, ja sehenswert.

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Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 18. März 2005

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