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THEATERKRITIK

Im Schlitten Arthur Schopenhauers
von Yasmina Reza. Premiere am 31. August 2006 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters. Regie: Jürgen Gosch. Ulrich Matthes, Corinna Harfouch, Ernst Stotzner und Gabriele Heinz


Philosophische Ehekrise


von Michael Bienert

Ein Häufchen Elend, so sitzt, halb liegt der Philosophieprofessor Ariel Chipman in einem mächtigen Ledersessel, der auch schon bessere Tage gesehen hat. Ariel hat eine glänzende Karriere als Spinozaexperte hinter sich, er durfte sich in der Anerkennung seiner Studenten und Kollegen sonnen. Nun ist ihm alles verleidet. Eine tiefe Depression macht die ganze Welt unerträglich. Seinen Meister Spinoza, den jüdischen Rationalisten, für den Gott in der Natur allgegenwärtig war, kann Ariel nicht mehr ausstehen. „Ich sitze in einem Schlitten, der in den Tod fährt, Frau Doktor“, sagt er zu seiner stumm und ratlos lauschenden Analytikerin. „Im Schlitten meines Freundes Arthur Schopenhauer.“

Leben sei Leiden, das Glück eine Illusion, der Weltlauf ohne Sinn, lehrte der Philosoph Schopenhauer. Wir alle seien Getriebene, nicht Vernunftwesen, und allenfalls durch radikale Weltverneinung imstande, ein wenig Ruhe zu finden. Von den matten Freuden des Pessimismus allerdings scheint Ariel Chipman noch Lichtjahre entfernt. Beunruhigend steht ihm das Schicksal seiner Lehrer vor Augen: Louis Althusser, ein Guru der französischen Linken seit den Sechzigern, erwürgte seine Frau und verschwand in der Psychiatrie. Gilles Deleuze, ein viel gelesener Meisterdenker der Postmoderne, stürzte sich aus einem Fenster. Haben die Philosophen die Welt nur verschieden interpretiert, um am Ende zu implodieren?

Mit solchen Fragen schlägt sich Yasmina Reza in ihrem neuen Stück „Im Schlitten Arthur Schopenhauers“ herum. Es hat nicht die Leichtigkeit der Komödie „Kunst“, mit der die Autorin weltberühmt wurde. Es lebt nicht vom Dialog wie das vor sechs Jahren uraufgeführte Ehedrama „Drei Mal Leben“. Den dramatischen Kern des jüngsten Stücks bildet wiederum eine Ehekrise, doch diesmal wird überhaupt nicht mehr miteinander geredet. Acht Monologe folgen aufeinander, gleich der erste endet mit dem Diktum: „Welch ein fataler Irrtum, die Liebe in den Mittelpunkt der Ehe zu stellen. Die Gefühle zwischen einem Mann und einer Frau müssen in dieser Konstellation einfach untergehen.“

Das sagt die frustrierte Philosophengattin Nadine, die als hypernervöses Nervenbündel den Monologreigen eröffnet. Eine Rolle wie maßgeschneidert für Corinna Harfouch. Unter einem bieder kaffeebraunen Rock und hellblauer Bluse vibriert der ungestillte Lebenshunger des Professorenweibchens, das die Kinder großziehen mußte, während der Vater als Wolkenschieber das Geld verdiente. Auf die Midlifecrisis ihres Mannes, ideal besetzt mit dem hager-hohläugigen Ulrich Matthes, reagiert Nadine mit heller Wut. Ariel zeigt durchaus dafür Verständnis, dass ihn seine Frau am Silversterabend mit einer Philosophenzeitschrift verprügelte. „Wir haben uns auf die Seite der Gebildeten geschlagen, das war unser Unglück, Nadine, wirf doch bitte einen einzigen Blick auf die Kreatur, die an deiner Seite liegt“, bettelt er zuletzt. Eine Kapitulationserklärung des Philosophen. Nadine nimmt sie nicht an, steht steif daneben. Abgang.

So tragisch und pessimistisch das Stück im Kern ist, ihren Humor und das feine Gespür für die Balance von Banalität und Tiefsinn hat Yasmina Reza nicht verloren. Gegen die Weltverneinungsmonologe und das Schweigen von Ariel lässt sie die optimistischen Tiraden des Hausfreundes Serge anlaufen. Der findet zwar auch, dass es auf den einzelnen Menschen nicht so ankommt, aber lässt sich den Stolz nicht rauben, dass die französische Autoindustrie immer noch Spitze sei. Mit feiner Komik verkörpert Ernst Stötzner das mal stumme, dann wieder aufdringlich geschwätzige Unverständnis für die Depression seiner Freunde.

Die Schlichtheit der Inszenierung von Jürgen Gosch und seines Ausstatters Johannes Schütz an den Kammerspielen des Deutschen Theaters wirkt vertraut. Sie konzentriert alle Aufmerksamkeit auf die mit Understatement agierenden Schauspieler und die Feinheiten ihres Textes. Man kennt diese Kargheit der Bühne von „Macbeth“ und den „Drei Schwestern“, mit denen Gosch und Schütz beim letzten Theatertreffen vertreten waren: ein tiefer grauer Bühnenkasten, darin nichts als ein Sessel und Stuhl, keine Lichtwechsel, Auf- und Abgänge vom Zuschauerraum aus, kaum Requisiten. Die Kostüme völlig unaufdringlich, aber präzise auf die Figuren zugeschnitten. Als Requisiten dienen ein Plastitüte voller Orangen und eine Schale grüner Weintrauben, damit sind die Schauspieler in den eindreiviertel Stunden Spielzeit genug beschäftigt.

Eine Ehe geht in die Brüche, aber das Leben geht weiter. Das letzte Wort hat die bis dahin wortlose, scheinbar mitleidende, aber professionell auf Distanz zu den Ehepartnern bleibende Psychologin. Gabriele Heinz gibt ihr eine mütterliche Erscheinung. Doch statt zum Ende eine Lösung zu präsentieren oder ein Fazit zu ziehen, erzählt sie von eigenen Schwierigkeiten. Sie berichtet, wie sie eine Hassattacke überwältigte, als ihr eine dicke, schwer beladene Frau den Bürgersteig versperrte. Wo Mitgefühl geboten wäre, erlebt sich die überforderte Seelenärztin als giftig, kleinlich und egoistisch.

Wie sie damit fertig wird, bleibt in der Schwebe. Was die anderen Figuren mit dem Rest ihres Lebens anfangen, ist ebenso offen. Da man es nicht ausrechnen kann, schaut man allen auf der Bühne mit Anteilnahme zu.


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