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THEATERKRITIK

L´affaire Martin! Occupe-toi de Sophie. Par la fênetre, Caroline! Le mariage de Spengler. Christine est en avance
von René Pollesch. Premiere an der Volksbühne am 11. Oktober 2006. Regie: René Pollesch. Mit Christine Groß, Caroline Peters, Sophie Rois, Volker Spengler und Martin Wuttke

Ganz schön anders

von Michael Bienert

Eine ganz schön steile Karriere. Nach ein paar preisgekrönten Kurzfilmen hat der Autor und Nachwuchsregisseur Florian Henckel von Donnersmarck seinen ersten abendfüllenden Spielfilm gleich in Starbesetzung gedreht. Die Geschichte vom Stasioffizier, der sein Herz für die von ihm zu observierenden Theaterleute entdeckt, wurde ein Kassenknüller. Aber auch viele Kritiker waren von der erzählerischen Raffinesse des Films hingerissen. „Das Leben der anderen“ wurde als bester Film mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Doch woher kommt der neue Regiestar, der diesen Kinoerfolg kühl kalkuliert und realisiert hat?

Dem langen Namen nach stammt er aus einem alten Adelsgeschlecht. Die Donnersmarckhütte in der Stadt Hindenburg war vor hundert Jahren ein Vorzeigebetrieb der oberschlesischen Eisenindustrie. Heute liegt Hindenburg in Polen und heißt Zabrze. Ein Fall für die Vertriebenverbände und für den Theatermacher René Pollesch, den es mächtig gewurmt haben muß, dass ihm ein Newcomer den suggestiven Titel „Das Leben der anderen“ weggeschnappt hat. An der Berliner Volksbühne rächt er sich dafür mit einer frei erfundenen Seifenoper, angesiedelt im (von Bert Neumann) neobarock möblierten Salon der Familie von Donnersmarck.

Dort träumt ein versoffener Ahnherr (Volker Spengler) von den verlorenen schlesischen Besitztümern, während die jüngeren Nachfahren sich den Kopf zerbrechen, wie sie den Familiennamen wieder zu Ruhm und Glanz bringen könnten. Die jüngste Tochter im blauen Kleid (Christine Groß) übt mit ihrer wasserstoffblonden Mutter (Sophie Rois) an einer Kommode Klavierfingersätze, versagte aber bei der Aufnahmeprüfung in Cambridge kläglich. Eine ältere Tochter (Caroline Peters) heißt jetzt Steinbach und hat es immerhin bis zur Präsidentin des Bundes der Vertriebenen gebracht. Dennoch fühlt sie sich als Schlesierin nicht ernst genommen und „orientalisiert“. In den Pausen zwischen ihren Satzkaskaden kuschelt sie sich melancholisch in ein neobarockes Sofa. Den Ausweg aus der Familienkrise, so die fixe Idee, soll ein Kinofilm über das Leben der anderen bringen. „Doch was könnte das sein?“, diese wiederkehrende Frage zieht sich als roter Faden durch das bizarre Bühnenspektakel.

Als urkomischer Gast geistert Martin Wuttke durch die hyperaktive Familie, zunächst in einer Art Taucheranzug, der mit Ausschnitten der häuslichen Fototapete bedruckt ist, so dass er sich vor den Wänden unsichtbar machen kann. Später pellt sich eine Figur wie aus einer französischen Farce des späten 19. Jahrhunderts heraus, ein kleiner Galan mit Schnörkelschnurrbart und lila glänzendem Jackett. Er hetzt gegen den „schlammigen Sumpf der Narration“, gegen die Wiederholung der immergleichen Erzählmuster, gegen die Vorstellung, man könne das Leben der anderen überhaupt verständlich auf der Bühne darstellen.

Radikal und rabiat rechnet Pollesch mit der konventionellen Ästhetik des schönen Scheins ab, die im Film und auf der Bühne immer noch den Massenerfolg sichert. „Glotzt nicht so authentisch!“ lässt er den Bankier Josef Ackermann den Schauspielstars im Berliner Admiralspalast zurufen, die bezahlt von der Deutschen Bank die „Dreigroschenoper“ abnudeln. Polleschs eigenes Theater will nichts lehren, nicht in den Bann ziehen und nichts vortäuschen. Seine ausfransenden Figuren sind charakterlos, zusammengestrickt aus sinnlosen Aktionen und leerlaufendem Gerede. Mit boulevardesker Leichtigkeit zerschreddern sie alle Anmaßungen des Kunstbetriebs. Der Rest ist Komödie.



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