www.text-der-stadt.de
Die Homepage von
Michael Bienert


THEATERKRITIK

Jubiläum
von George Tabori. Regie: George Tabori. Premiere am Berliner Ensemble am 21. Juni 2005. Mit Martin Seifert, Ursula Höpfner u. a.


Jubiläum und kein Ende

von Michael Bienert

Vorbei, das Jubiläum. Der 60. Jahrestag des Kriegsendes hat uns nicht nur eine Flut von Gedenkveranstaltungen beschert, sondern auch eine Verschärfung des Demonstrationsrechts, um Aufmärsche von Neonazis an sensiblen Orten wie dem Holocaust-Mahnmal zu verhindern. Ohne große Störungen gingen die Gedenkrituale über die öffentliche Bühne. Ein Erfolg? Nun ist das Thema schon wieder abgehakt. Im Wahlkampf bröckelt die Einheitsfront gegen die Neonazis. Statt die Rechtsradikalen bauen die großen Parteien jetzt ihre Konkurrenten um Wählerstimmen zu politischen Schreckgespenstern auf.

Vor diesem Hintergrund scheint es eine gute Wahl des Berliner Ensembles, George Taboris Stück „Jubiläum“ auf den Spielplan zu setzen. Der inzwischen 91jährige Autor und Regisseur hat es zum 50. Jahrestag der Machtübernahme Hitlers 1983 in Bochum uraufgeführt und damals furchtlos alle Gedenkrituale durchbrochen. In dem Stück wird der Neonazi Jürgen bei einer Grabschändung auf einem Friedhof von den Toten aufgestört: einem schwulen Pärchen, dem jüdischen Ehepaar Stern und deren behinderter Nichte Mizzi, die Jürgen in den Selbstmord getrieben hat. Die Leichen erzählen Episoden aus ihrem Leben, reißen Judenwitze, singen Nazilieder.

Taboris Humor, seine Kalauer und Schlüpfrigkeiten sind alles andere politisch korrekt. Aber sie lösen die moralische Verkrampfung, die sich zwanghaft einstellt, wenn sich Deutsche mit der Nazivergangenheit beschäftigen. Tabori entfesselt unseren Blick auf die Täter und die Opfer, auf ihre gemeinsame Verstrickung und ihre hilflosen Versuche, sich daraus zu lösen. Das ist ein großes, einzigartiges Geschenk des jüdischen Theatermannes an die Nachkommen der Täter.

Dennoch wirkt seine eigenhändige Neuinszenierung von „Jubiläum“ seltsam unentschieden, ja streckenweise sogar selbst wie ein Gedenkritual. So als habe der Regisseur Tabori nicht ganz genau gewußt, warum er die Vorlage des Dramatikers Tabori Inszeniert. Das ständige Kippen des Textes vom Banalen ins Böse, vom Witz in den Horror müßte eine physische Entsprechung finden. Aber die Figuren stehen oder sitzen allzu oft spannungslos auf der beliebigen, mit weißem Laub und weißen Backsteinen zugemüllten Spielfläche (von Etienne Pluss) herum.

Ehe sich der Vorhang hebt, muß der Totengräber Wumpf (Karsten Gaul) einige Anmerkungen des Autors zum Stück in rheinischem Dialekt aufsagen. „Verstehst Du das?“ fragt der Schauspieler ins Publikum. „Nein“, schallt es aus der ersten Reihe zurück, von dort, wo der greise Tabori thront und wie Gottvater auf seine Schöpfung schaut. Später wuselt Wumpf bloß noch sinnlos und störend mit einem Fotoapparat zwischen den lebendigen Toten herum. Martin Seifert ist ein allzu ruhiger Musikus Stern, Ursula Höpfner seine nervöse jüdische Frau. Alle versierte Schauspieler, die an diesem Abend aber nie vergessen lassen, dass sie versierte Schauspieler sind.

Wie Tabori sie agieren läßt, wirkt oft ausrechenbar wie seine Textpointen - waren seine Inszenierungen nicht vor zwanzig, dreißig Jahren für ihre Unkonventionalität und Unberechenbarkeit berühmt? Auch Boris Jacoby und Dirk Ossig als schwules Pärchen finden nicht den Punkt, ihre tödliche Liebesgeschichte an die Nieren gehen zu lassen. Der kahlköpfige Nazi Jürgen (Ronny Tomiska) scheint nicht wirklich gefährlich, bleibt ein dummer lieber Junge, der halt seinen Spaß auf Kosten anderer haben will. Lichtblick ist die junge Christina Drechsler als Spastikerin Mitzi: Die Hässlichkeit ihres Krankheitsbildes anzuschauen ist eine Qual. Spät hat sie einen Soloauftritt, bei dem sie furios spielt, wie eine ganze Gruppe von Kindern von ihren Peinigern im KZ für medizinische Experimente mißbraucht wird.

Am Ende schlurft Traugott Buhre im Häftlingsanzug auf die Bühne. Er ist der Vater des Musikers Stern, der in Auschwitz umkam, so wie Taboris eigener Vater. In den Öfen dort wurde nur Brot gebacken, sagen die Auschwitzleugner. Nun bringt der Vater dem Sohn ein Brot als Geschenk. Es ist ein ganz großer Moment, und es bleibt ein Eindruck, als habe Tabori das Stück nur wegen dieser Szene noch einmal inszeniert.

Erstdruck in der STUTTGARTER ZEITUNG vom 23. Juni 2005

zurück zur Startseite
zurück zur Rubrik THEATERKRITIK
zum
Spielplan des BERLINER ENSEMBLES