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THEATERKRITIK

Hedda Gabler
von Henrik Ibsen. Premiere an der Schaubühne am 26. Oktober 2005. Regie: Thomas Ostermeier. Mit Katharina Schüttler, Lars Eidinger, Lore Stefanek, Annedore Bauer, Jörg Hartmann und Kay Bartholomäus Schulze.


Ibsen mit Laptop


von Michael Bienert

Man trägt Schlabberlook statt Stehkragen, man hängt am Handy statt Briefe zu schreiben und man fläzt sich mit dem Laptop auf dem Sofa statt am verschnörkelten Schreibsekretär zu arbeiten. Aber an den Begehrlichkeiten, Ängsten und Seelenverstrickungen des gehobenen Bürgertums scheint sich wenig geändert zu haben. Wie sonst wäre es möglich, dass Ibsens Innenansichten bürgerlicher Familien aus dem späten 19. Jahrhundert sich so wunderbar im Gegenwartstheater behaupten? Jedes Jahr sieht man tolle Inszenierungen seiner Stücke auf deutschen Bühnen, die kein bißchen angejahrt wirken, egal welches Zeitdekor die Regie wählt. An der Berliner Schaubühne ist jetzt wieder zu bestaunen, wie zwanglos sich die Seelen- und Gesellschaftsmechanik einer Ibsentragödie in ein zeitgenössisches Milieu übertragen läßt.

Schon vor drei Jahren ist dem Theaterleiter und Regisseur Thomas Ostermeier mit „Nora“ ein großer Coup gelungen. Damals war die agile und sich verausgabende Anna Tismer der Motor der Aufführung. Ihre Nora, ein gestresstes Muttertier, mutierte zu Lara Croft und erledigte zuletzt den Ehemann kaltblütig mit der Pistole. Es war ein boulevardeske Inszenierung mit starken Oberflächenreizen, auf die Ostermeier diesmal verzichtet hat. Zwar wird auch in „Hedda Gabler“ wieder scharf geschossen. Und anders als in „Nora“ ist das von Ibsen sogar vorgesehen. Aber die schmächtige Katharina Schüttler in der Titelrolle erledigt das ganz beiläufig. So wie es ihr überhaupt gelingt, das Extreme, Mitleidlose und Zerstörerische dieses gelangweilten Eheweibchens ganz selbstverständlich ausschauen zu lassen.

Wieder hat Jan Pappelbaum Architekturfragmente eines neusachlichen Luxusbungalows auf eine Drehbühne gesetzt, nicht ganz so pompös wie bei „Nora“, aber noch raffinierter: In Spiegeln hoch über der Spielfläche, im polierten Fußboden und in einer riesigen Glaswand mit Schiebetüren, an denen Regenwasser herabrinnt, vervielfältigen sich die Figuren. Die sanfte Rotation der Bühne zu gedämpfter Musik und dezente Videoprojektionen auf einer sich mitdrehenden Wand schaffen eine traumhafte Atmosphäre. In diesem hochnoblen Ehegefängnis verliert Hedda Gabler ganz sachte den Boden unter den Füßen.

Sie ist weniger treibende Kraft als Getriebene. Daher ist es vor allem Sache des ganzen Ensembles, den mörderischen Verlauf der Geschichte zu motivieren. Wie schön alles ausbalanciert ist, wie zart und genau alle Figuren gearbeitet sind, das spürt man gleich in der ersten Minute beim Auftreten von Tantchen Juliane (Lore Stefanek), die während der Hochzeitsreise das Nest für Hedda und ihren Mann bereitet hat. Der frischgebackene Ehegatte Tesman (Lars Eidinger) ist ein ewiger Student, auf dem Sprung, eine Professur in Kulturgeschichte zu ergattern. Lächerlich bis zu Karikatur, bleibt er für die Zuschauer eben noch erträglich durch seine sympathische Unbeholfenheit und den Mangel an Bösartigkeit. Als er Hedda umarmt, beißt sie ihn weg.

Dieser Ehemann hat keine Chance gegen den souverän auftretenden Playboy und Hausfreund Brack (Jörg Hartmann). Es ist Brack, der sofort erkennt, welche Gefahr vom Wiederauftauchen des genialischen Eilert Lövborg ausgeht, ehemals Heddas Vertrauter und zudem Konkurrent ihres Mannes im Wissenschaftsbetrieb. Kay Bartholomäus Schulze spielt einen krassen Alkoholiker, der sich mit Gewalt zur Abstinenz gezwungen und in einen grauen Anzug gezwängt hat.

Kühl kostet Hedda die Macht aus, die sie immer noch über Eilert hat: Sie drängt ihm erst das Glas Sekt auf, das ihn endgültig zum Absturz bringt, später die Pistole, um sein Leben zu beenden. Mitleidlos zertrümmert Hedda den Laptop mit dem Text des Buches, das Eilert zusammen mit seiner neuen Freundin Thea (Annedore Bauer) verfasst hat. Nüchtern lügt sie ihrem Mann eine Schwangerschaft vor, damit er die Klappe hält. Aber sie verkalkuliert sich: Eilert will gar nicht in Größe sterben, so wie sich Hedda das vorgestellt hat. Zuletzt hat der pragmatische Brack sie in der Hand. „Früher oder später fügt man sich ins Unvermeidliche“, sagt er und macht es sich schon mal im Bungalow bequem, so als sei er der Hausherr. Da schießt sich Hedda im Nebenzimmer eine Kugel durch den Kopf.

Brack, Tesman und Thea, die im Salon die nachgelassenen Papiere Eilerts sortieren, hören den Knall. Aber da Hedda schon immer gern Blumenvasen aus Langeweile zerschossen hat, reagieren sie überhaupt nicht. So wunderbar unaufgeregt wie der Abend angefangen hat, geht er zuende: Sinnbild einer Gesellschaft, die sich nicht aus der Ruhe bringen läßt, wenn Leute wie Eilert und Hedda aus ihrer Mitte ins Nichts stürzen.


Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 28. Oktober 2005.

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