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THEATERKRITIK

Die Fledermaus
von Johann Strauss. Premiere am Deutschen Theater am 29. April 2007. Regie: Michael Thalheimer. Mit Ulrich Matthes, Nina Hoss, Horst Lebinsky, Lotte Ohm, Samuel Finzi u. a.


Bloß kein Champagner!

von Michael Bienert

Ein strenger Zuchtmeister des Vergnügens ist dieser Graf Orlofsky. Wer sich auf der Party nicht amüsiert, wird gnadenlos von seinen schwarzen Lederhandschuhen gepackt und vor die Tür gesetzt. „Warum ich das denn tu? / ´s ist mal bei mir so Sitte: / Chacun á son goût“, droht er mit dünner Fistelstimme. Da blitzt ein Funke sadistischer Lust im Gesicht des alten Mannes auf, der sonst die Miene nur zum Gähnen verzieht. Die Pointe sitzt, der Schauspieler Horst Lebinsky hat die Lacher auf seiner Seite.

Orlofskys Couplet „Ich lade gern mir Gäste ein“ ist ein Evergreen. Selbst wer nie eine Operette von Anfang bis Ende ertragen hat, kennt es aus sonntäglichen Radiowunschkonzerten und Fernsehshows mit Heesters & Co. Michael Thalheimers „Fledermaus“-Inszenierung am Deutschen Theater zerschreddert die Eleganz, den Schwung und den Schönklang der Musik von Johann Strauss. Keine großen Stimmen, kein großes Orchester. Stattdessen singen Schauspieler beherzt zu einer säuselnden, dröhnenden und kratzbürstig fauchenden Hammondorgel (Wolfgang Roggenkamp). Das reicht vollkommen, um die Handlung auf den Rummelplatz, eine Kiffparty der Sechziger oder in einen Swingerclub von heute zu verlegen (Arrangements von Franz Leander Klee und Florian Appel). Als Spielplatz dient zwei Stunden lang lediglich ein kleines Podest mit drei breiten Ledersesseln vor dem geschlossenen samtroten Bühnenvorhang.

Der melancholische Strippenzieher der Intrige, Doktor Falke alias Fledermaus (Michael Benthin), trägt eine traurig-unheimliche Clownsmaske. Sein Opfer Eisenstein (Ulrich Matthes) versteckt sich auf dem Fest unter einem Totenkopf aus Papier (Kostüme von Katrin Lea Tag). Eros und Thanatos, Sexual- und Todestrieb sind eng verschwistert, lehrte schon Doktor Freud in der Wiener Blütezeit der Operette. Der hager-hohläugige Berliner Eisenstein, ein abgehalftertes Lebemännchen, verkörpert die nackte Triebhaftigkeit. Dass er beim Seitensprung unwissentlich an die eigene Gattin gerät, entbehrt jeden tieferen psychologischen Sinns. Immerhin: Nina Hoss als Rosalinde ist eine Wucht neben dem dünnen Kerlchen. Die zum Star gereifte Schauspielerin überrascht mit einer ganz neuen Seite. Perfekt beherrscht sie Rosalindes anspruchsvollen Koloraturen und setzt noch eins drauf. Jeder Kiekser ist ein kleiner Lustschrei. Absolut hinreißend, wie sich die Widerstrebende durch die Witzfigur Alfred (Samuel Finzi) verführen lässt, der nur stimmlos gestikulieren muss, so als singe er, um sie zum Höhepunkt zu bringen.

Operettenseligkeit kommt nicht auf, statt dessen wird die Armseligkeit des ehelichen wie außerehelichen Geschlechtslebens gnadenlos der Lächerlichkeit preisgegeben. Auch tiefschwarzer Humor macht gute Laune. Aber gegen Ende rächt es sich, dass Thalheimer die Doppelbödigkeiten der „Fledermaus“ durch schroffe Eindeutigkeiten ersetzt. Seine Zuspitzmethode funktioniert noch ganz gut, als das stimmlich brillante Dienstmädchen Adele (Lotte Ohm) auf Orlowkys Fest ihren Arbeitgeber Eisenstein abkanzelt: Darin steckt mehr sozialkritischer Biss, als man der Operette zugetraut hätte. Nachher werden die Szenen schwächer. Die pure Lächerlichkeit von Eisensteins Anbaggern der eigenen Ehefrau, die staubtrockenen Lobgesänge auf die Freuden des Champagners, das Ersterben der Party in schierer Langeweile - das alles ist konsequent auf ein trostloses Sinnbild der Gegenwart hin gedacht. Der groteske Spielwitz bleibt dabei zusehends auf der Strecke, wie schade.

„Hoho, das ist ein fideles Gefängnis“, ätzt der hemdsärmelige Gefängniswärter Frosch (Sven Lehmann) und meint damit die ganze bigotte Bürgerwelt. Wir amüsieren uns zu Tode, egal ob mit Walzer oder Hardrock, Sex oder Intrige. Thalheimer weigert sich, wie üblich im Finale die Korken knallen zu lassen. Er findet aber auch keinen Dreh, um die verlorene Zwielichtigkeit in der von Strauss orchestrierten Originalpartitur zu ersetzen. Deshalb überzeugt das Experiment, die Operette mit einem Sprechtheaterensemble aufzuführen, nicht ganz; sehenswert ist es vor allem, weil es alle Schauspieler zu persönlichen Höchstleistungen anspornt.


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