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THEATERKRITIK

Familienbande
von Rolf Hochhuth. Uraufführung am Brandenburger Theater am 25. November 2005. Regie: Oliver Munk. Mit Wolfgang Bahro, Hanne Wolharn, Josephine Schmidt, Robert Lyons und Ulrike Frank


Polit-Trash und Altherrenwitze

von Michael Bienert

Rolf Hochhuth ist ein Dramatiker von altem Schrot und Korn. Unermüdlich benutzt er die Schaubühne als moralische Anstalt, macht daraus einen Gerichtssaal für Delikte, für die sich die Justiz nicht recht zuständig fühlt. Mit „Der Stellvertreter“ hat Hochhuth in den Sechzigern den katholischen Klerus vor den internationalen Gerichtshof der Theatergänger gezerrt, in den Siebzigern brachte er die NS-Vergangenheit des Ministerpräsidenten Filbinger ans Licht und diesen zu Fall. Voriges Jahr übte er mit „McKinsey kommt“ ätzende Kritik an den Rationalisierungsmethoden der deutschen Wirtschaft, insbesondere an Josef Ackermann, dem Chef der Deutschen Bank. Da keine große Bühne das Stück spielen wollte, griff das kleine, ständig ums Überleben kämpfende Stadttheater in Brandenburg an der Havel zu. Aus der teils hölzernen, teils geschwätzigen Textvorlage machte der junge Regisseur Oliver Munk einen flotten Agitpropabend, der in dieser von hoher Arbeitslosigkeit geplagten Region sehr gut ankam.

Man durfte also hoffen, die neuerliche Reise zu einer zweiten Hochhuth-Uraufführung in die brandenburgische Theaterprovinz am vergangenen Freitag werde vielleicht ganz amüsant. Immerhin war mit „Familienbande“ eine Komödie angekündigt. Um einen gewissen Hype zu erzeugen, hatte das Theater eine Woche vorher einen Pressetermin im Neubau der Berliner Akademie der Künste arrangiert. Denn das Akademie-Mitglied Hochhuth erhebt in seinem Stück schwere Korruptionsvorwürfe gegen einen ehemaligen SPD-Bausenator, in dessen Amtszeit ein Teil des Grundstücks der Akademie am Pariser Platz ans benachbarte Adlon-Hotel verkauft wurde. Später arbeitete dieser Senator als Projektmanager genau für die Firma, der das Filetstück gegen den Willen der Akademie zugeschanzt worden war.

Nun ist es in Berlin üblich, dass geschasste Senatoren und sogar Regierende Bürgermeister wie Walter Momper nach ihrer Politikerkarriere gut dotierte Posten bei Baufirmen besetzen. Was dabei zählt, sind Insiderwissen und Kontakte - nicht anders als im Fall des gewesenen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der sich schon während der Koalitionsverhandlungen an einen Schweizer Medienkonzern verkauft hat

Wieder also zieht Hochhuth in „Familienbande“ gegen die Abzockermentalität deutscher Entscheidungsträger zu Felde. Die Grundidee ist sogar ganz lustig: Der alerte Berliner Baubeamte Schachwitz (Wolfgang Bahro) lebt in Saus und Braus, weil er der Kommune die Ausgaben für eine Straße in Rechnung stellt, die es gar nicht gibt. Nach dem Tod eines Kollegen und der Aufdeckung eines Korruptionsfalles gerät seine Frau Britta (Hanne Wolharn), ein aufgezwiebeltes Luxusweibchen, in Panik. Sie sieht sich samt Mann schon hinter Gittern. Doch Gefahr droht allenfalls von der neuen Bausenatorin (Ulrike Frank), die ein Verhältnis mit Schachwitz anfängt. Aus diesem Stoff eine publikumswirksame Komödie zu machen, dürfte nicht so schwer sein. Hochhuth aber hat weder zündende Ideen, noch kann er seine Einfälle und schlüpfrigen Altherrenwitze zügeln. Sein Drama gleicht einer Stopfwurst: Die komplette Berliner Baugeschichte seit Kaiser Wilhelms Zeiten soll sich in der Schachwitzchen Familiengeschichte spiegeln, zugleich geht es um inzestuöse Geschwisterliebe und die Zwangsläufigkeit des Ehebruchs. Auch Stuttgart kommt vor, weil Frau Schachwitz dort ein Gemälde von Menzel ersteigern will.

Solcher Trash ist längst nichts Ungewöhnliches mehr auf deutschen Bühnen, will aber auch gekonnt sein - und so man sehnt sich geradezu in eine Theaterschlacht von Rene Pollesch oder Christoph Schlingensief. Die brave Inszenierung von Oliver Munk setzt auf fünf Starschauspieler aus der TV-Soap „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“, um den Anschluß an die Telefavela-Hochkultur zu schaffen. Diese Idee fand sogar der 74-jährige Rolf Hochhuth gut, deshalb hat er zum Dank auch schon in einer Folge der Serie mitgespielt. Nur leider versagen auf der großen, halligen Bühne in Brandenburg die Schauspielkünste der Soap-Stars aus dem Fernsehen ziemlich kläglich. Sie sind hier so fehl am Platze wie die ganze Berliner Bausumpfgeschichte. Zurück also vor die Kameras mit ihnen! Und für Rolf Hochhuth sollte ein fester Platz in der TV-Serie gefunden werden, damit wir nicht nächstes Jahr wieder ins frostklirrende Brandenburg reisen müssen.


Erstdruck in der STUTTGARTER ZEITUNG vom 28. November 2005

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