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THEATERKRITIK

Don Karlos
von Friedrich Schiller. Premiere am Deutschen Theater am 3. Februar 2007. Regie: Nicolas Stemann. Mit Ingo Hülsmann, Katharina Schmalenberg, Philipp Hochmair, Constanze Becker, Alexander Khuon, Henning Vogt, Michael Gerber und Stefan Kaminski.


Matter Aufruhr im Überwachungsstaat

von Michael Bienert

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. So ist es auch am Deutschen Theater in Berlin, wo sieben Stahlrohrstühle vor geschlossenem Vorhang geduldig auf das Personal aus Schillers „Don Karlos“ warten. Da sind sie schon, nehmen geschäftig Platz und gucken ins Publikum, nur der in seinen Frust vergrabene junge Prinz wendet sich zur Seite. Sein Vater, König Philipp von Spanien, sieht in seinem dunklen Anzug wie der agile Vorstandsvorsitzende eines Großunternehmens aus. Oder wie ein technokratischer Nachwuchspolitiker, der kühl verkündet, es sei nun Zeit, den Aufruhr in einer fernen Provinz durch ein „schauerndes Exempel“ niederzukämpfen. Wenig Aufwand scheint in diesen ersten Minuten der Aufführung nötig, um Schillers Drama als Gegenwartsstück zu inszenieren. Sofort hat man die aktuellen Weltkonflikte vor Augen, als ein junger Mann aus dem Zuschauerraum auf die Bühne eilt und der desinteressierten Hofgesellschaft von den „verbrannten menschlichen Gebeinen“ berichtet, die er auf seinen Reisen durchs Reich sah.

Später öffnet sich der Vorhang und gibt den Blick auf eine imposante technische Installation mit Scheinwerferbatterien und Videoprojektionen frei (von Katrin Nottrodt). König Philipp zappt sich mit der Fernbedienung durch die Kamerabilder seines Überwachungsstaates. Mit seinen Räten diskutiert er fragwürdige Videobeweise für einen Betrug seiner Königin. Man sieht Bilder von nachgestellten Bürgerkriegsszenen, die in der Theaterkantine und auf dem Theatervorplatz aufgezeichnet wurden. Weiter freilich reicht Philipps Reich nicht. Je länger sich die Aufführung hinzieht, desto mehr wirkt sie abgedichtet gegen die Welt jenseits des Deutschen Theaters. Das ist einer der Gründe, warum vom Zauber des Anfangs nach drei Stunden nur mattes Interesse bleibt.

Keine Gestalt auf der Bühne hält über diese Zeit unsere Anteilnahme wach. Und das ist schon ein starkes Stück, immerhin ist Schillers „Don Karlos“ großes Gefühlskino aus einer Zeit, als es das Kino noch gar nicht gab. Die Titelfigur (Philipp Hochmair) bleibt in Nicolas Stemanns Inszenierung ein lächerlicher Popanz, der Marquis Posa (Alexander Khuon) ein blasser Schönling, die tiefe Freundschaft zwischen beiden eine leere Behauptung. Ihr Gegenspieler Alba (Henning Vogt) wirkt gefährlich nur durch Grobheit, nicht durch verschlagene Intelligenz. Den Regisseur scheint nicht wirklich interessiert zu haben, was in den Figuren steckt.

Ihr Schillern ist andeutungsweise spürbar, als die nur spärlich bekleidete Prinzessin Eboli (Constanze Becker) in rührender Offenheit dem Prinzen ihre Liebe gesteht. Auch die in prunkvolle Glitzergewänder geschnürte Königin (Katharina Schmalenberg) hat ein paar schöne Momente, wenn sie sich diebisch über eine List gegen ihren Gatten freut oder ihm ihre kalte Wut entgegenschreit. Die Besetzung des alten Königs Philipp mit einem ungemein vitalen Schauspieler ist zwar keine Offenbarung, aber immerhin ein Rettungsanker für die Aufführung. Ingo Hülsmann gelingt das Psychogramm eines rastlosen Machtmenschen, der zwischen Befehlen, Bespitzeln, Huren und Zweifeln den Überblick verliert, dem alles entgleitet, bis er genauso kümmerlich dasitzt wie sein Sohn am Anfang. Doch der wahre König kämpft die Depression nieder, indem er gewaltsam Ordnung um sich schafft und den unzuverlässigen Thronfolger opfert. Schon Schiller hat sich über das Funktionieren von Politikern keine Illusionen gemacht.


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