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THEATERKRITIK

Die Gottlosen (Trilogie)
von Paul Claudel. Premiere am Maxim-Gorki-Theater am 30. März 2007. Regie: Stefan Bachmann. Mit Peter Kurth, Anja Schneider, Sebastian Blomberg, Ulrich Anschütz, Melanie Kretschmann, Florian Stetter, Ruth Reinecke.


Von Gott zu Schrott

von Michael Bienert

Durch die Foyers und Toiletten des Maxim-Gorki-Theaters hallen Kirchengesänge. Im Garten lehnen Kruzifixe an den Bäumen, die sich Besucher gratis ausleihen können, um sich kurz vor Karfreitag auf ihren ganz persönlichen Passionsweg zu begeben. Ungewöhnlich viele Mitglieder der Katholischen Akademie in Berliner seien zur Premiere gekommen, verrät eine auf religiöse Literatur spezialisierte Buchhändlerin. „Die Zeit ist derart bedürftig geworden / dass sie nicht mehr in der Lage ist zu erkennen / das Fehlen Gottes als Fehlen zu erkennen“, steht auf Theaterplakaten. Mit dem Zitat von Jean-Luc Godard wirbt das Theater für „Die Gottlosen“: Unter diesem Titel firmiert in Berlin die „Trilogie“, die der erzkatholische Autor Paul Claudel vor dem Ersten Weltkrieg schrieb. Vorab hat der Regisseur Stefan Bachmann verbreiten lassen, dass er Claudel für einen völlig verkannten Autor halte, dessen Stücke den Nerv unserer Zeit träfen.

Schön, dass man wirklich nicht weiss, was einen an diesem Premierenabend erwartet. Als sich der schwarze eiserne Vorhang hebt, schaut man auf einen Lichtkranz in tiefer Bühnennacht. Eine reinweiß gekleidete junge Frau richtet ein großes Kruzifix auf. Ein berückendes Bild wie aus einem Mysterienspiel, von Schlachtenlärm unterlegt. An der schwarzen Rückwand entlang schiebt sich ein vor Erschöpfung zitternder Soldat in zerrissener Uniform auf das Kruzifix und die Frau zu.

Signe (Anja Schneider) und ihr Cousin Georges (Sebastian Blomberg) sind die Überlebenden einer Adelsfamilie, die durch die Französische Revolution fast ausgelöscht wurde. Die Frau kauft die enteigneten Güter zurück, er entführt 1812 den Papst (Ulrich Anschütz) auf eigene Faust aus napoleonischer Gefangenschaft. Beide werden kein Paar, weil der im nachrevolutionären Frankreich zum einflussreichen Politiker aufgestiegene Präfekt Turelure (Peter Kurth) davon Wind bekommt. Er erpresst Signe. Um den Papst zu retten, muß sie ihren gehassten Feind heiraten. Dass sie gläubig ist, macht ihr das Selbstopfer nicht leichter, sondern treibt sie erst in einen extremen inneren Konflikt hinein.

Dieser erste Teil des Abends („Die Geisel“) entpuppt sich als zupackende Tragödie. Der zweite Teil („Das harte Brot“) ist eine böse Farce: Am selben Schauplatz, einem ehemaligen Kloster, geht es der folgenden Generation nur noch ums Geld. Es ist die Zeit des Eisenbahnbaus, der Industrialisierung und des aufblühenden Kapitalismus. Signes Sohn (Florian Stetter) verhökert das von der Mutter gerettete Kruzifix zum Schrottwert an einen Juden. Im dritten Teil („Der Erniedrigte“) kehrt nach vielen Jahren die Liebe in die Familie zurück. Doch auch die Verbindung von Signes blinder Enkelin Pensée (Melanie Kretschmann) und ihres Geliebten Orian (Sebastian Blomberg) bleibt spirituell, findet keinen dauerhaften Ort in der irdischen Welt.

Die Liebenden stehen lange in zwei Lichtspots, durch einen Abgrund von Dunkelheit getrennt, und versuchen durch Worte hinüberzugelangen. Einige Szenen werden als Schattenspiel hinter einem Vorhang gespielt. Meist ganz einfach und dennoch traumwandlerisch genau sind die Bilder dieser Aufführung (ausgestattet von Michael Simon und Annabelle Witt). Claudels poetisch präzise Sprache (in der Neuübersetzung von Herbert Meier) treibt die Schauspieler in eine Intensität des Ausdrucks hinein, die niemals in Schwulst und falsches Pathos ausartet. Eine tolle Ensembleleistung!

Noch nie ist Claudels „Trilogie“ in Deutschland am Stück aufgeführt worden. Fünfeinhalb hoch konzentrierte Stunden mit zwei Pausen dauert das Familiendrama. Der Aufwand lohnt sich, denn das Ganze wirkt viel stärker als die Summe seiner Teile. Ein großer philosophisch-dramaturgischer Bogen wird sichtbar: Die im ersten Teil verhandelte Austreibung der Religion aus Frankreich hat ein Sinnvakuum hinterlassen, das im zweiten Teil nur notdürftig durch Humanismus, Materialismus, Indiviualismus, Kolonialismus und Nationalismus ausgeflickt wird. Am Ende bleibt die Mystik der reinen Liebe.

Zwar spielt das Stück im 19. Jahrhundert, aber die Inszenierung hat die jüngere Gegenwart im Blick. So tritt der Vertreter der französischen Revolution mit dem Habitus eines opportunistischen Altachtundsechzigers auf. Nach ihm übernimmt eine sexuell zügellose Aussteigergeneration die Geschäfte und im dritten Teil ringen die Figuren wie in einem Stück von Handke oder Strauss nach der Erfüllung im geliebten Anderen. Erstaunlich, wie zwanglos dieses Parallelisierung der Zeitebenen aufgeht. Der als Reaktionär verschrieene Dramatiker Paul Claudel wird als schonungsloser Diagnostiker der modernen Welt rehabilitiert, in der Gott nur noch eine kleine Nebenrolle spielen darf. Man muß wirklich nicht katholisch sein, um diesen Theaterabend für einen großen Wurf zu halten.
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