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THEATERKRITIK

De Frau (Dr. Poundaddylein - Dr. Ezodysseusszeusuzur) DAS ERZMANIFEST DER VORREVOLUTION...
von Jonathan Meese. Premiere an der Volksbühne am 24. Januar 2007. Mit Kathrin Angerer, Silvia Rieger, Jeanatte Spassova, Frank Büttner, Jonathan Meese, Bernhard Schütz u. a.

Theater ist hopp

von Michael Bienert

Auf dem Weg zur Pop-Ikone hat der Turbomaler Jonathan Meese ein neues Orbit erreicht. Schon seit ein paar Jahren ist der junge Wilde ein Darling des Kunstbetriebs, nun hat ihn auch das Showbiz entdeckt. Am letzten Dienstag, seinem 37. Geburtstag, verlieh ihm die größte Boulevardzeitung Berlins ihren Kunstpreis. Kunstexperte Guido Westerwelle aus dem Bundestag hielt die Laudatio. Als Geburtstagsständchen sang Udo Jürgens, ebenfalls Preisträger, seinen Uralthit „Griechischer Wein“.

Tags darauf war ein Video des kuriosen Auftritts in Meeses erster Theaterinszenierung an der Volksbühne zu sehen. So fix geht heutzutage die Verwandlung von Medienevents in Theaterkunst. An der Tür zum Saal klebte übrigens ein Plakat mit dem Hinweis, das Fotografieren während der Aufführung sei ausdrücklich erlaubt. Während der zweistündigen Meese-Performance liefen ständig ein Fotograf und ein Videokameramann über die Bühne, um alles in Großaufnahme festzuhalten. Bestimmt müssen Kunstmarkt und Medien nicht lange auf neues, schrilles Meese-Material warten.

Zwei Inszenierungen von Frank Castorf hat Meese schon mit schrottigen Bühnenbildern bestückt, zwei Foyers der Volksbühne mit seinen groben Strichmännchen und neodadaistischen Parolen ausgepinselt. Nun durfte er noch zwei schwere Bronzeskulpturen in die Kassenhalle stemmen und alle Knöpfe der großen Theatermaschinerie drücken. Seine Aufführung beginnt mit einem Videoclip auf einem Gazevorhang, in dem der langhaarige Künstler mit dem Jesusbart von zwei biblischen Schönen gemeuchelt wird. Dahinter schimmern ein kreuzförmiger Bühnenaufbau aus Sperrholz, eine alte Kanone und die Schauspielerin Kathrin Angerer, die leicht bekleidet mit einem Hulla-Hoop-Reifen trainiert. Ihr küsst der Spielleiter und Hauptakteur Jonathan Meese später leidenschaftlich die Füße.

Nur sparsam hat er die Bühne mit typischer Meese-Kunst möbliert. „De Frau“, so beginnt der Bandwurmtitel der Inszenierung, also liegt eine riesige weiße Gipspuppe mit drei Brüsten und einem gigantischen Penis auf der Bühne herum. „Wir schreiben das Jahr 2023. Die Revolution der Kunst hat begonnen“, knarzt es aus dem Off. Die Drehbühne dreht sich, der Gazevorhang fährt rauf und runter, Bühnennebel wabert, die Lichtfarbe wechselt, die Soundanlage dröhnt: Wie ein staunendes Kind spielt Meese mit allen Knöpfen der Theatertechnik, hingerissen von den Möglichkeiten dieses Bildergenerators. „Theater ist hopp“, liest man auf einem langen Thesenpapier, das vom Schnürboden herabfährt.

Die tollsten Schauspieler der Volksbühne assistieren ihm, aber für ihre extremen Möglichkeiten bleibt der Regisseur blind. So sitzt Silvia Rieger im Napoleonkostüm bloß gelangweilt herum. Bernhard Schütz streift sich Frauenfummel über, damit Meese an ihm oralen Geschlechtsverkehr simulieren kann. Meese ist der Partymeister mit dem Mikro in der Hand, bewundernswert in seiner Unermüdbarkeit, aber dann doch keine Stimmungskanone. Gruselig wird es am Ende, wenn er die „Machtergreifung der Kunst“ binnen fünf Jahren verspricht.

Kunst, so glaubt Meese, ist das, was ohne jede Kontrolle aus dem Künstler quillt. Etwas, das stärker und mächtiger als man selbst. Durch manisches Produzieren will er „Goldnuggets“ zutage zu fördern - und der Kunsthandel gibt ihm recht, indem er seine Auswürfe versilbert. Am Schluss der Inszenierung liegt Meese in einer Badewanne, begraben unter Goldbarren. Sie glänzen echt, sind aber nur aus Styropor.


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