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THEATERKRITIK

Amphitryon
von Heinrich von Kleist. Premiere am Deutschen Theater am 29. Dezember 2005. Regie: Stefan Bachmann. Mit Robert Gallinowksi, Alexander Khuon, Samuel Finzi, Sebastian Blomberg, Anne Ratte-Polle und Katharina Schmalenberg.


„Ach!“


von Michael Bienert

So schwarze Nacht herrscht selten auf dem Theater. Der Zuschauer sieht buchstäblich nicht die Hand vor den Augen. Ein finsterer Kerl im Militärmantel ist auf die Bühne geschlichen und hat mit der Pistole die Deckenleuchte zerschossen. Das war Jupiter, der Göttervater, auf dem Weg zum intimen Stelldichein mit Alkmene, der Gattin des siegreichen Feldherrn Amphitryon.

Im Dunkel rumort es, dann flackern Taschenlampen auf: Amphitryons Diener Sosias (Sebastian Blomberg) muß unsichtbare Prügel von Merkur (Alexander Khuon) einstecken, der die Gestalt des Sosias angenommen hat. Als der arme Diener endlich seinem himmlischen Doppelgänger das Feld räumt, erhellen die Lichter eines neusachlichen Luxusbungalows (von Johanna Pfau) die Finsternis. Alkmene, nur mit einem großen weißen Kissen bedeckt, und ein finster dreinblickender Jupiter im Soldatenmantel treten vor die Tür.

Was nur findet Alkmene an diesem Rauhbein (Robert Gallinowski), das beim Sex die Offiziersmütze nie ablegt? Was bringt sie dazu, den falschen Amphitryon immer noch für den echten zu halten, als sie den Schwindel merkt? Die Antwort, die Stefan Bachmanns Kleist-Inszenierung am Deutschen Theater gibt, ist auf unbefriedigende Weise einfach. Die flammend rothaarige Alkmene (Anne Ratte-Polle) ist hier ein verwöhntes Luxusweibchen. Sie wird zickig, als der echte Amphitryon (Samuel Finzi) im hellen Tageslicht erscheint und sich nicht so verhält, wie sie das erwartet. Der große Feldherr, hier ist er bloß ein Durchschnittsehemann, der seiner Gattin Luxuspräsente schickt, aber keine innige Verbindung mit ihr unterhält. Kein Wunder also, dass sie auf den potenten Doppelgänger hereinfällt.

Alles klar? Es wäre eine gut durchdachte, schön bebilderte, in sich geschlossene Aufführung, wenn da die Verse von Kleist nicht wären. Sie erzählen von ganz ungeheuerlichen Vorgängen und seelischen Erschütterungen der Figuren, die sie an den Rand des Wahnsinns treiben. Dafür aber findet Bachmanns Inszenierung kaum einen theatralischen Ausdruck - außer der demonstrativen Finsternis der Bühnenwelt und dem Slapstick. So verfängt sich Amphitryon in einer Endlosschleife der immergleichen Fragen, als er seinen Diener über die nächtlichen Vorgänge verhört. Oder er klemmt sich am Briefschlitz des verriegelten Hauses die Finger. Alkmenes Erschütterung findet ihr Ventil in hysterischen Anfällen. Unter ihrem orangeroten Prachtkleid unterscheidet sie sich wenig von der Hausangestellten Charis (Katharina Schmalenberg), die sich auf den Boden legt und die Beine breit macht, als sie Wind bekommt, es seien Götter im Hause.

Obwohl gut gespielt, wirkt das alles weder mitreißend komisch, noch rührt es unser Mitempfinden. Lustspiel oder Trauerspiel? Das ist hier nicht die Frage, alles bleibt eine mäßig witzige Farce. Am Ende funzeln wieder die Taschenlampen im Dunkeln, und irgendwo im Off verpufft Alkmenes berühmter Seufzer: „Ach!“

Erstdruck in der STUTTGARTER ZEITUNG vom 3. Januar 2006.

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