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THEATERKRITIK

Room Service
von John Murry und Allen Boretz. Premiere an der Schaubühne am 31. Oktober 2007. Regie:Thomas Ostermeier. Mit Kurt Krömer, Jörg Hartmann, Thomas Bading, Robert Beyer u. a.


Antikapitalistischer Edelboulevard

von Michael Bienert

Am Kurfürstendamm wird Boulevard gespielt, was sonst? Man nehme eine zugkräftige Klamotte, engagiere einen oder mehrere TV-Stars und die Theaterkasse wird todsicher klingeln. Auf diese Weise überleben die Privattheater am Kurfürstendamm, die sich fast ohne Subventionen am Markt behaupten müssen. Auch die Berliner Schaubühne ist der Rechtsform nach ein Privattheater, kann aber dank hoher städtischer Zuschüsse wie ein Staatstheater kalkulieren. Es ist heikel, wenn so ein Haus die legitime Überlebensstrategie ökonomisch schwächerer Privattheater nachahmt.

An der Schaubühne haben sie jetzt einen Boulevardkracher ausgekramt, der 1937 am Broadway herauskam und schon ein Jahr später von den Marx Brothers verfilmt wurde: „Room Service“ von John Murray und Allen Boretz ist ein Riesenspektakel um eine Theatertruppe, die mit nichts als Schulden eine Premiere stemmt und einen Überraschungserfolg landet. In der Hauptrolle des Theaterproduzenten Gordon Miller debütiert Kurt Kroemer auf der großen Theaterbühne, raunziges Urgestein aus Berlin-Neukölln und strahlender Comedystar, letztes Jahr Gewinner der Deutschen Fernsehpreises, dieses Jahr ausgezeichnet mit dem Deutschen Kleinkunstpreis. Allein Kroemers rasant wachsende Fernsehfangemeinde dürfte der Schaubühne viele ausverkaufte Vorstellungen garantieren.

Zum Glück ist der Regisseur Thomas Ostermeier kein Theatermacher, der sich einfach zurücklehnt und auf das todsichere Erfolgsrezept verlässt. Er hat auch den seriösen Kunstanspruch seines Hauses zu verteidigen. Ostermeier und sein glänzend aufgelegtes Ensemble liefern akribisch durchgefeilten Edelboulevard ab. Und weil die Sitten seit den Dreißigern auf dem Theater viel lockerer geworden sind, wird buchstäblich auf die Kacke gehauen, man sieht blanke Männerpopos , Anzüge werden vollgepinkelt. Tür auf, Tür zu, rein in den Schrank, raus aus dem Schrank, ab unter die Bettdecke, husch auf den Balkon: Kein Gag ist zu abgestanden, kein Witz zu billig, um als Schmiermittel für die Komödie zu dienen. Die Artistik liegt im richtigen Timing - und das ist ziemlich perfekt. Fast drei Stunden Blödsinn ohne große Langeweile sind auch eine Leistung.

Das Hotelzimmer mit Ledersofa, Zimmerpalme und dunklem Holzfurnier, das der Bühnenbildner Jan Pappelbaum gebaut hat, strotzt vor gediegener Geschmacklosigkeit. Eine vierhändige Tanzkapelle mit Schlagzeug und Orgel (Maurice de Martin und Antonio Palesano) verdichtet die halbseidene Atmosphäre, untermalt einige Gesangseinlagen (Eva Meckbach) und schöne Slapsticks. Vor allem Jörg Hartmann als Hotelchef verschafft sich durch virtuose Verrenkungen Luft. Er will die zahlungsunfähige Schauspielertruppe des Produzenten Miller unbedingt aus seinem Haus werfen, dafür muss er sich bis aufs Blut piesacken lassen. Scharfe Karikaturen sind auch der Nachwuchsautor Leo (Rafael Stachowiak), der tuntige Regisseur Harry (Robert Beyer), der Hotelarzt Dr. Glass (Kay Bartholomäus Schulze), der russische Kellner Sasha (Felix Römer) und alle übrigen Figuren.

Zwischen den Schauspielprofis der Schaubühne bildet das Naturtalent Kurt Krömer in der Rolle des Produzenten den Dreh- und Angelpunkt, so als gehörte er schon immer dazu. Nie spielt er sich aufdringlich in den Vordergrund. Ostermeier hat ihn schlau besetzt: Die Rolle des Thaterunternehmers, der allein durch Chuzpe und Geistesgegenwart zum Erfolg kommt, passt perfekt zu Krömers Kodderschnauze und seinem selbstbewusst prolligen Habitus.

„Room Service“ wirkt wie eine Lockerungsübung für das ambitionierte Schaubühnenensemble. Einen gewissen Charme hat der Abend, weil darin auch ein Märchen versteckt ist. Von einem, der loszog, die Theaterwelt zu erobern, ohne einen Pfennig in der Tasche. Es ist doch immer schön zu sehen, wie sich der Kapitalismus austricksen lässt.

ERSTDRUCK: Stuttgarter Zeitung vom 2. November 2007


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