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THEATERKRITIK

Die Hamletmaschine
von Heiner Müller. Premiere am Deutschen Theater am 8. September 2007. Regie: Dimiter Gotscheff. Mit Valery Tscheplanowa, Alexander Khuon und Dimiter Gotscheff


Die Müllermaschine mahlt unerbittlich weiter

von Michael Bienert

Immer wieder Heiner Müller. Für den Regisseur Dimiter Gotscheff gibt es keinen wichtigeren Dramatiker. Seit den Siebzigern hat er Müller vielfach inszeniert, auch seine glasklare Aufführung der „Perser“ von Aischylos am Deutschen Theater in Berlin, die kürzlich in einer Kritikerumfrage zur „Aufführung des Jahres“ gekürt wurde, basiert auf einer Übersetzung des 1995 verstorbenen Weggefährten. Das Stück beleuchtet ein glückliches Ereignis der hellenischen Geschichte, den Sieg über die Perser, aus der Perspektive der Unterlegenen. Ein optimistisches Geschichtsbild wird durch einen finsteren Geschichtspessimismus unterlaufen. So sah es Heiner Müller, der die DDR-Oberen jahrzehntelang damit provozierte, dass er ihre Fortschrittsideologie verhöhnte. Auf die verschleiernde Sprache der Nomenklatura antwortete der Dramatiker mit Sätzen, so hartkantig wie Felsbrocken, und mit schwarzgalligem Humor.

Diese poetische Sprache ist für Gotscheff immer noch zeitgenössisch, obwohl sie nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus viele Aktualitätsbezüge eingebüßt hat. Der Erfolg der „Perser“ bei Publikum und Kritikern gibt ihm recht. Am Wochenende nun hat Gotscheff versucht, die Müllersche „Hamletmaschine“ im kleineren Rahmen der Kammerspiele erneut ans Laufen zu bringen. Viele Ausnahmeschauspieler wie Sepp Bierbichler, Samuel Finzi, Wolfram Koch oder Corinna Harfouch waren zu sehen, aber nicht auf der Bühne, sondern im Premierenpublikum. In die Menge, die in den Zuschauerraum strömte, mischte sich Dimiter Gotscheff, wie man ihn kennt, mit ins Gesicht fallender weißer Haarmähne, den Kopf etwas schief geneigt. Aus der ersten Reihe kletterte er dann auf die Bühne, um selbst Müllers Text zu sprechen, assistiert von zwei jüngeren Berufsschauspielern.

Alexander Khuon im roten Hemd, Valery Tscheplanowa im gelben Kleidchen, Dimiter Gotscheff im schwarzen Anzug, das war ein dezenter Hinweis auf die bundesdeutschen Nationalfarben. Als Szenerie genügte das nackte schwarze Bühnenhaus mit seiner Theatermaschinerie. Zwei Reihen rechteckiger Vertiefungen in der Bühne (von Mark Lammert) symbolisierten Grabreihen. Deutschland, ein Finstermärchen.

Um eine Brücke von Müllers Stück in die Gegenwart zu bauen, begann Gotscheff nicht sofort mit den ersten Sätzen der „Hamletmaschine“: „Ich war Hamlet. Ich stand an der Küste und redete mit der Brandung BLABLA, im Rücken die Ruinen von Europa.“ Mit dem Rücken zum Publikum setzte er sich auf die Bühnenbretter und zündete sich eine Zigarette an. Vorn an der Rampe sprach Alexander Khuon einen erfundenen Monolog aus einer Konferenz in der Deutschen Bank. Er handelte von einer anonymen Person, die unbedingt gekauft werden müsse, um strategische Ziele auf dem weltweiten Markt zu erreichen.

Was für Heiner Müller in DDR-Zeiten das Zentralkomittee der SED war, sind für Gotscheff heute die Führungsetagen der Großkonzerne. Es herrscht immer noch ein Kalter Krieg mit vielen stummen Opfern. So klar scheint es ihm, dass er im weiteren Verlauf weiter nichts unternimmt, Müllers Text zu aktualisieren. Langsam sagt Gotscheff ihn auf, Wort für Wort mit starker Betonung, so dass der Text trotz seines weichen bulgarischen Akzents vor teutonischer Bedeutungsschwere nur so trieft. Wenn Gotscheff nicht ins Publikum schaut, dann schlurft er bedrückt um die symbolischen Gräber herum. Man fühlt sich an einen alten Schauspieler erinnert, der sich ganz sicher ist, auf die Hilfe eines Regisseurs verzichten zu können, weil im Text ja alles steht. So bewegend dieser Auftritt Gotscheffs als persönliches Bekenntnis ist, so sehr fällt er gegen das ab, was der Regisseur sonst aus seinen Schauspielern herauskitzelt.

Schlagartig wird das bei den beiden Szenen von Valery Tscheplanowa als Ophelia klar, aus deren zierlicher Mädchengestalt ein wahres Sprechfeuerwerk hervorbricht. Den von Gotscheff langsam zelebrierten Hamlet-Monolog wiederholt sie in wahnsinnigem Tempo, kreischt und stöhnt, weiß aber auch Müller-Sätze messerscharf zu setzen: „Es lebe der Hass, die Verachtung, der Aufstand, der Tod. Wenn sie mit Fleischmessern durch Eure Schlafzimmer geht, werdet ihr die Wahrheit wissen“. Das letzte Wort ist kein Wort, sondern ein Schrei in der Dunkelheit, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 10. September 2007

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