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THEATERKRITIK

Amphitryon
von Heinrich von Kleist. Premiere am Maxim-Gorki-Theater am 22. September 2007. Regie: Jan Bosse. Mit Hans Löw, Anja Schneider, Michael Klammer, Robert Kuchenbuch und Hilke Altefrohne.


Götter sind auch nur Menschen

von Michael Bienert

Eines Tages kommt Herr Sosias an seinen Arbeitsplatz und sieht, dass ihn schon ein anderer besetzt hat. Wenig später erfährt Herr Amphitryon, der Chef, bei der Heimkehr von einer Dienstreise, seine Frau habe am Vorabend einen anderen Liebhaber empfangen. Für beide ist das ein Schock, der sie an ihrem Verstand und ihren Sinnen zweifeln lässt.

Im Mythos von der Zeugung des Herakles sind olympische Götter in Menschengestalt die Doppelgänger. Schon in Kleists „Amphitryon“-Drama tröstet das die betrogenen Menschen wenig. Sie kreiseln haltlos um die einmal aufgeworfene Frage: „Wer bin ich überhaupt?“ Austauschbar zu sein bleibt eine traumatische Erfahrung, egal wer sich frech an den eigenen Platz gesetzt hat.

Originalität ist ein hoher Wert im Turbokapitalismus: Fast jeder will etwas Besonderes sein, weil das Erfolg verspricht. Gleichzeitig werden die Personen in immer schnellerem Tempo ausgetauscht, im Beruf wie in privaten Beziehungen. Das gilt für Angestellte, für Führungskräfte und Medienstars. Wie leicht kommt man in die Lage von Sosias und Amphitryon, die von potenteren Doppelgängern aus ihrem angestammten Revier verdrängt werden.

In Jan Bosses Inszenierung am Maxim-Gorki-Theater betreten keine Götter die Bühne, sondern Schauspieler. Ein bisschen Maskerade und Theaterbudenzauber reichen aus, um Sosias und Amphitryon aus dem Spiel zu bringen. Sosias (Robert Kuchenbuch) ist ein Schmierenkomödiant im Afrolook, dessen schwarze Gesichtsfarbe leicht an den Mitspielern kleben bleibt. Der echte Diener balanciert über ein Proszenium, das aus lauter Fallgruben besteht, während sein Double (Michael Klammer) souverän am Eisernen Vorhang lehnt. Gegen die freche Selbstsicherheit des Doppelgängers hat Sosias keine Chance.

Wenn der Eiserne Vorhang hochgefahren wird, blickt man in einen Palast aus hunderten von Glühbirnen (von Stephane Laimé). Sie umgeben die Verführungskünste des falschen Amphitryon mit einer überirdischen Gloriole. Alles nur Theater: Im Schlussbild hat auch Zeus schwarze Theaterschminke im Gesicht. Während er pathetisch die Bühnenmaschinerie kommandiert, gibt die Elektrik flackernd den Geist auf. Im nüchternen Arbeitslicht kriecht die Dienerin Charis (Hilke Altefrohne), die Frau des echten Sosias, auf den falschen Theatergott zu: Sie will unbedingt auch mal göttlichen Sex.

Als letztes Wort seines Dramas hatte Kleist der getäuschten Alkmene ein vieldeutiges „Ach!“ in den Mund gelegt. Ihre Zerrissenheit zwischen den erhabenen Gefühlen für den Gott und den Gatten ist nicht zu kitten. Da der Gott in der Berliner Inszenierung kein Gott ist, bleibt für Alkmene (Anja Schneider) statt tragischer Größe nur Scham und Erniedrigung. Sie will bloß noch raus, stürmt durch den Zuschauerraum aus dem Stück, verfolgt von ihrem gehörnten Ehemann. An eine Versöhnung im Theaterfoyer mag man nicht glauben.

Es ist alles sehr klar in dieser Inszenierung, das ist ihre Stärke und zugleich ihre Schwäche. Die Figuren werden von den Schauspielern sehr handfest vor die Zuschauer gestellt. Sie stottern und stammeln und tun sich demonstrativ schwer mit den Versen von Kleist. In den Zickereien zwischen beiden Ehepaaren kann sich das Publikum unschwer wiedererkennen. Die Schauspieler müssen nichts Unwirkliches und Zauberhaftes beglaubigen, damit allerdings fehlt die ganz große schauspielerische Herausforderung der Stückvorlage. Richtig gefordert wirkt nur der schlacksige Hans Löw, changierend zwischen der Figur des Zeus und Amphitryon - mal verführter Verführer, der Alkmene umgarnt, mal total konfuser Ehemann, den man herzlich bemitleidet, während man über ihn lacht. Immerhin wissen wir jetzt: Der Theatergott ist auch nur eine Mensch.

Erstdruck in der STUTTGARTER ZEITUNG vom 24. September 2007

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