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THEATERKRITIK

Spuren.Suche.
Eröffnungsspektakel zum Beginn des Intendanz von Armin Petras am Maxim-Gorki-Theater. Premiere am 29. September 2006. - Mit Besprechung folgender Produktionen:
Baumeister Solness von Henrik Ibsen. Premiere am 29. September 2006 am Maxim-Gorki-Theater. Regie: Armin Petras. Mit Peter Kurth, Christin König, Anja Schneider u. a.
Berlin ein Meer des Friedens von Einar Schleef. Premiere am 29. September 2006 am Studio des Maxim-Gorki-Theaters. Regie: Sebastian Baumgarten. Mit Fabian Gerhardt, Ruth Reinecke und Clara Polina Vogt.
Die Leiden des jungen Werthers nach Johann Wolfgang Goethe. Premiere am 29. September 2006 im Maxim-Gorki-Theater. Regie: Jan Bosse. Mit Hans Löw, Fritzi Haberlandt und Ronald Kukulies.


Luftschlösser für Berlin


von Michael Bienert

Eigentlich ist es ein viel zu schöner Nachsommerabend, um ins Theater zu gehen. Für das Eröffnungspektakel des Maxim-Gorki-Theaters aber, das unter neuer Intendanz in die Saison startet, ist die milde Witterung ein Riesenglück. Alle Türen können programmatisch geöffnet bleiben an diesem Abend mit zehn Premieren, von denen drei unter freiem Himmel angesetzt sind. Gespielt wird vor dem Theater, im Hof, in der Kantine, auf der Studio- und Hauptbühne. Mit lautem Trommeln vor dem klassizistischen Theatertempel geht es los: Wer im Berliner Kulturleben etwas Neues anfängt, muß erst mal kräftig auf die Pauke hauen, damit er wahrgenommen wird.

Das Abendpersonal trägt hellblaue Kopftücher und Schürzen, als solle es in einem Propagandastück über eine sowjetische Kolchose auftreten. Eine ironische Reminiszenz an die Gründungsgeschichte des Maxim-Gorki-Theaters. In den Fünfzigern sollte es den Berlinern den sozialistischen Realismus nahe bringen. Vorher diente es der Singakademie als Konzerthaus. Felix Mendelssohn-Bartholdy führte dort 1829 die wiederentdeckte Matthäuspassion von Bach auf. „Ich will Dir mein Herze schenken“ hallt es durch die Foyers, gesungen von der großartigen Schauspielerin Ursula Werner, die seit 33 Jahren zum Ensemble gehört. Die alten Hausgeister wollen besänftigt sein, ehe das Neue das Haus in Beschlag nimmt.

Intendant Armin Petras, als Regisseur und als Dramatiker unter dem Pseudonym Fritz Kater in den letzten Jahren äußerst erfolgreich, ist gerade mal 42 Jahre alt. In seiner Einstandsinszenierung geht es um einen Mann in der Midlifecrisis, der ängstlich darauf achtet, dass die Jungen ihm seine Erfolge nicht streitig machen. Eine vierschrötige Gestalt, schwarze Hose, halb offenes weißes Hemd, lässig hochgestellter Kragen: So kennt man die Architekten des Nachwendeberlin, da hätte es gar nicht der Videoeinspielung zur Stadtbaugeschichte am Anfang von Ibsens „Baumeister Solness“ bedurft. Um den wuchtigen Peter Kurth in der Rolle des Baumeisters irrlichtert Anja Schneider als verführerisches Mädchen Hilde, ein wahres Zauberkind.

Sie boxt und zerrt an dem Alten, verwickelt ihn samt Gattin in eine fröhliche Wasserplantscherei. Statt auf psychologische Feinmalerei setzt die Inszenierung auf körperliche Intensität, hohes Tempo, harte Schnitte. Das Sperrholz-Bühnenbild und die lächerlichen Architekturmodelle aus Styropor und Pappe (von Susanne Schuboth) wirken wie eine Probendekoration. Die Schauspieler entwickeln darin eine enorme Spielfreude. Entsprechend geht die bürgerliche Tragödie am Ende glimpflicher aus als bei Ibsen. Solness und Hilde nehmen sich vor, das Schönste zu bauen, was es auf dem Theater gibt: Luftschlösser.

Danach verteilt sich das Publikum auf verschiedene Spielorte; schwer, eine Wahl zu treffen zwischen Stücken von Marieluise Fleißer („Der starke Stamm“) und Heiner Müller („Hamletmaschine“), Texten von Wolfgang Borchert („Draußen vor der Tür“) und Rolf Dieter Brinkmann („Westwärts“). Die Entscheidung für Einar Schleefs „Berlin ein Meer des Friedens“ im Studio war jedenfalls eine gute. Ruth Reinecke und Fabian Gerhardt liefern sich unter der Regie von Sebstian Baumgarten einen giftigen realsozialistischen Ehekrieg. Alle Ostalgiker sollte man zwangsverpflichten, sich dieses bitterböse Abbild des DDR-Alltags anzusehen.

Ein simpler Kunstgriff erlaubt es, ohne langen Umbau eine weitere Premiere im großen Saal zu zeigen. Vor dem Bühnenhaus wird eine vierte Wand herabgelassen, das Parkett zum Spielplatz für die „Leiden des jungen Werthers“ gemacht. Unerhört klug haben der Regisseur Jan Bosse und die Hausdramaturgin Andrea Koschwitz Goethes Roman für diese Spielsituation adaptiert. Die Zuschauer sind die Brieffreunde, an die Werther seine Herzensergießungen richtet. Es wird viel und herzlich dabei gelacht, so viel natürlichen Charme leiht Hans Löw der Figur.

Später bauen Bühnenarbeiter einen Riesenspiegel auf, in dem die Zuschauer sich selbst sehen können und Werther mittendrin. Das ist die Gesellschaft, an deren Regeln der allzu Empfindsame zerbricht. Seine geliebte Lotte (Fritzi Haberlandt) ist ein Mädchen aus der fünften Reihe. Sie trägt enge Hosen, weiße Stiefel, einen Pferdeschwanz und fürchtet sich vor den ganz großen Gefühlen. Pech für sie, dass sie schon an Albert (Roland Kukulies) vergeben ist, einen völlig unmusischen und unsentimentalen Menschen, der gern den albernen Spaßmacher gibt.

Der Kampf der beiden Männer um Lotte ist ein Farce, bei der grob zugelangt wird, das Hühnerblut spritzt und die Platzpatronen knallen. Spät nach Mitternacht findet Werther den Ausweg: Er tritt die Wand vor dem Bühnenhaus mit den Füßen ein und verschwindet auf Nimmerwiedersehen im Dunkel. Werthers Leiden: ein großer Spaß!

Statt auf Sentimentalitäten setzt das neue Maxim-Gorki-Theater auf Spielwitz, soviel ist schon mal klar. Statt für die ganz großen Weltentwürfe fühlt man sich eher für die Ausleuchtung von Mikrokosmen zuständig. In den kommenden Wochen sollen noch viele Premieren, darunter etliche Uraufführungen folgen. Das Spektakel hat seinen Zweck erfüllt: Wir sind neugierig geworden.


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