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THEATERKRITIK

Ein Sommernachtstraum
nach William Shakespeare. Premiere an der Schaubühne am 2. September 2006. Regie und Choreographie: Thomas Ostermeier und Constanza Macras. Mit Robert Beyer, Lars Eidinger, Bettina Hoppe, Hyoung-Min Kim, Alex Nowitz (Gesang), R. Chris Dalgren (Musikalische Leitung) u. a.


Sommernachtsparty

Tanz und Schauspiel feiern an der Berliner Schaubühne ein Hochzeitsfest

von Michael Bienert

„Hallo, schön dass ihr da seid!“ Mit Küsschen und Bowle wird das Publikum von den Schauspielern empfangen. Der Weg zum Parkettplatz führt über die mit Luftschlangen und Luftballons wie zu einem Kindergeburtstag geschmückte Bühne. Ein Liveband spielt jazzige Partymusik. Die lockere Atmosphäre ist ansteckend, schon sinkt eine elegante Kritikerin mit einem dürftig bekleideten Schauspieler zum Smalltalk in ein bereit stehendes Sofas. So fröhlich hat selten eine Premiere an der Berliner Schaubühne begonnen.

Ein Sommernachtstraum „frei nach Shakespeare“ ist angekündigt. Man weiß also voraus, dass Werktreue nicht erwartet werden darf. Statt dessen beginnt ein schamlos schöner Theaterabend, der den schmutzigen Kern des klassischen Dramas hervorkehrt: die Geilheit und Gewaltsamkeit der Begierde, die lustvolle Auflösung der Grenzen zwischen Mensch, Tier und heidnischer Gottheit.

Wenn die Zuschauer ihre Plätze gefunden haben, rockt die Band auf der Bühne richtig los. Der zum schmierigen Partylöwen aufgebrezelte Schauspieler Lars Eidinger strippt, während das Ensemble um ihn tanzt. Nackt hält er sich eine kleine Theatermaske vors Geschlecht und lässt seinen Schwanz frei heraus züngeln: „Nicht euch zur Freude heut erscheint die Schauspieltruppe, mus´geküßt / Und zeigt euch, was ihr sicherlich schon wißt.“ Wie geschmacklos, dies Schwanzgewackel - und wie zum Brüllen komisch!

Mit vollem Körpereinsatz werfen sich alle Akteure in die grelle Theaterparty. Es sind teils deutsche Schauspieler aus dem Ensemble, teils Tänzerinnen aus Korea, Kanada oder Uruguay, die in ihren Heimatsprachen zu Wort kommen. Verblüffend ist die tänzerische Beweglichkeit der wie befreit wirkenden Schauspieler. Und so geht mit diesem „Sommernachtstraum“ ein Schaubühnentraum in Erfüllung. Vor sieben Jahren wagten der Regisseur Thomas Ostermeier und die Choreografin Sasha Waltz dort gemeinsam den künstlerischen Neuanfang, doch zu einer engen Zusammenarbeit zwischen Tanz- und Schauspielsparte kam es nicht. Nach der Trennung von Waltz vor zwei Jahren scheint nun mit der Choreografin Constanza Macras eine passende Partnerin gefunden: Schauspiel und Tanz an der Schaubühne feiern ein rauschendes Hochzeitsfest.

Der lüsterne Oberon (Markus Gertken) tritt in Minislip und Cowboyhut auf, seine Titania (Bettina Hoppe) vernascht ihre Liebhaber zügig in einem albernen weißen Feenkostüm. Um die Elfengöttin zu verzaubern, verwandelt sich Puck (Robert Beyer) von einem lachhaften Torero in die Biene Maja (Kostüme von Ulrike Gutbrod). Der Tänzer mit Eselskopf, dem Titania verfällt, verstrickt sie in eine gewalttätige Choreografie, bei der ihre Kleider in Fetzen gehen. Sex und Aggressivität gehören nun mal zusammen. Umso zauberhafter sind die stilleren Momente der Aufführung, wenn der Sänger Alexander Nowitz mitten durchs Bühnenbild spaziert. Die Rockröhre mit langen Haaren und Sonnenbrille entpuppt sich als versierter Countertenor. Und die von dem Jazzmusiker Chris Dahlgren geführte Band kann nicht nur Dampf machen, sie hat auch Spaß an Barockmusik.

Mit einer choreografierten Keilerei neigt sich der wilde Reigen nach zwei kurzweiligen Stunden dem Ende zu. Der vieltürige Partyraum (von Jan Pappelbaum) leert sich, ein sanfter Lichtwechsel und Vogelstimmen in der Ferne kündigen den Morgen an. Verzweifelt irrt das noch unschuldige Mädchen Hermia (Eva Meckbach) umher und sucht ihren Lysander, der im Liebesgetümmel verloren ging. Lysander ruft ebenso verloren nach Helena, geblendet durch Pucks faulen Zauber. So furios die Sexparty war, so einsam bleiben die Liebenden zuletzt.


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